Freitag, 29. März 2024

Aus der Nachrichtenredaktion
Journalismus in Norwegen: Weniger ist mehr

Nachrichten-Redakteurin Jana Sinram hat zwei Monate als Gastjournalistin beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Norwegen gearbeitet. Zurück beim DLF zieht sie Bilanz: In Tromsø fast 350 Kilometer nördlich des Polarkreises ist es nicht nur kälter als in Köln, sondern auch die aktuelle Berichterstattung läuft ein bisschen anders.

Von Jana Sinram | 01.06.2016
    Zu sehen ist eine Fahne vor dem Redaktionsgebäude des norwegischen Rundfunksenders NRK in Tromsø. Im Hintergrund sind schneebedeckte Berge zu erkennen.
    Die Regionalredaktion von NRK in Tromsø. Vom Büro aus kann man die Berge sehen. (Deutschlandradio / Jana Sinram)
    Morgens um 8.40 Uhr passiert beim Norges rikskringkasting – kurz NRK – in Tromsø das, was in vielen Redaktionen rund um die Welt passiert: Es ist Früh-Konferenz. 15 bis 20 Journalisten sitzen um einen großen Tisch in einem fensterlosen Raum und diskutieren das Programm für den Tag. Was wird wichtig, wer arbeitet an welchem Thema, was passt in die Nachmittagssendung, was für den nächsten Tag? Ist das eine Fernseh-Geschichte, ist es Radio, vielleicht beides, und eignet sich das Thema fürs Netz? Anders ist eigentlich nur das Bild des Eisbären an der Wand: Auch die Inselgruppe Spitzbergen mit ihrem arktischen Klima gehört zum Berichtsgebiet von NRK Troms.
    Im Konferenz-Raum von NRK in Tromsø hängt ein Eisbär, aufgenommen auf Spitzbergen.
    Im Konferenz-Raum von NRK in Tromsø hängt ein Eisbär, aufgenommen auf Spitzbergen. (Deutschlandradio / Jana Sinram)
    In einer solchen Früh-Konferenz am einem Montagmorgen Anfang April stellte mich NRK-Nachrichten-Chefin Nina Einem den norwegischen Kollegen vor. Das ist Jana, Journalistin aus Deutschland, sie spricht Schwedisch und versteht Norwegisch. Ich nickte dazu, froh, mit ein wenig Konzentration sogar den nord-norwegischen Dialekt zu verstehen – und mit hochrotem Kopf, nicht gewohnt, die steilen und schneebedeckten Berge hochzuradeln.
    Zwei Monate später ist der Schnee auf den Straßen geschmolzen und es ist Frühling geworden in Tromsø. In den acht Wochen als Gastredakteurin mit einem Stipendium der Internationalen Journalisten-Programme habe ich mich an die Berge gewöhnt, an vielen Konferenzen teilgenommen, nette, hilfsbereite und talentierte Kollegen kennengelernt und dabei viel über den öffentlich-rechtlichen Journalismus in Norwegen gelernt. Vieles ist ähnlich wie bei uns, einiges anders, und oft gilt hier: Weniger ist mehr.
    Das Smartphone als Arbeitsmittel
    Zum Beispiel in Sachen Technik. In der aktuellen Abteilung von NRK Troms arbeiten gut 30 Journalisten. Festnetz-Telefone gibt es genau drei. Die haben die für Fernsehen, Radio und Internet zuständigen Chefs vom Dienst bei sich, wenn sie im Haus unterwegs sind. Die übrigen Kollegen nutzen ausschließlich ihre Handys, beruflich wie privat – oder den Internet-Dienst Skype. Auch Drucker gibt es nur zwei, das papierlose Büro ist hier Realität.
    Ziemlich neidisch bin ich auf das Programm, mit dem sich alle Social-Media-Kanäle – Facebook, Twitter und Instagram – in einem Fenster verwalten lassen. Snapchat wird übrigens auch bespielt – und bei Terminen, auf denen etwas Spannendes passiert, posten die Kollegen ganz selbstverständlich Live-Videos auf Facebook, aufgenommen mit dem Smartphone.
    NorwegischeJournalisten sitzen in einem Großraum-Büro vor ihren Computern
    Die norwegischen Kollegen planen die Radiosendung von NRK Troms (Deutschlandradio / Jana Sinram)
    Ehrlicherweise muss man sagen: Die "Nachrichtenredaktion" ist mit der des Deutschlandfunks nicht ganz vergleichbar. Die Redaktion arbeitet aktuell, aber regional, das Programm dauert nicht 24 Stunden, sondern einige Stunden am Morgen und einige am Nachmittag, außerdem gibt es eine eigene Fernsehsendung und die Redaktion liefert bei Bedarf dem nationalen Programm zu.
    Die Arbeit wird also weniger vom Nachrichten-Ticker bestimmt als bei uns - im Mittelpunkt stehen Planung, Recherche und Interviewtermine. Der Dienstplan richtet sich nach dem Talent: Manche Redakteure arbeiten fast nur fürs Radio, manche werden vor allem für Online-Dienste eingesetzt, andere haben sich noch weit jenseits der 50 weitergebildet und sind mit Radio-Aufnahmegerät und VJ-Kamera unterwegs. Und fast alle haben ein Spezial-Thema, in dem sie sich auskennen und regelmäßig Geschichten "ausgraben".
    Kurze Arbeitszeiten, kaum Formalitäten
    "Weniger ist mehr", das gilt in Norwegen auch für die Arbeitszeiten. Spätestens um vier machen die Redakteure, die keine laufende Sendung oder die Internetseite betreuen, Feierabend, die Chefs übrigens auch. In Behörden und Ministerien kann man danach sowieso niemanden mehr erreichen, deren Presseabteilungen sind ab vier Uhr nicht mehr besetzt.
    Schon um elf Uhr morgens ist bei NRK Troms also Mittagessenszeit. Dann sitzen alle eine halbe Stunde lang zusammen in der kleinen Kantine. Dort kocht June, angestellt vom Sender und die "wichtigste Person im Haus", so hat Chefin Nina sie mir am ersten Tag vorgestellt. Weniger ist mehr, das gilt hier unbedingt: Es gibt ein Gericht am Tag, außerdem ein Salatbuffet. Nichts gegen die DLF-Kantine - aber Junes Essen ist phantastisch und ich würde die Auswahl in Köln jederzeit dagegen eintauschen.
    DLF-Nachrichtenredakteurin Jana Sinram im Großraum-Büro von NRK in Tromsø
    DLF-Nachrichtenredakteurin Jana Sinram im Großraum-Büro von NRK in Tromsø. (Deutschlandradio / Jana Sinram)
    Weniger ist mehr, das gilt in Norwegen schließlich auch für Formalitäten. Alles ist ein bisschen unkomplizierter. Eine deutsche Journalistin, die nur Schwedisch spricht? Kein Problem, sagte die Chefin direkt am ersten Tag. Wir Norweger verstehen doch alle Schwedisch. Wenn Du also eine Reportage für unser Programm machen möchtest: Gern. Ergebnis war ein Stück über die erfolgreiche Integration von Flüchtlingen in der Bibliothek, selbst eingesprochen und - dank eines netten Kollegen - mit Online-Version in korrektem Norwegisch.
    Die Anrede "Sie" gibt es im Norwegischen übrigens nicht, man ist also automatisch auch mit Chefs und Politikern per Du. Das macht vieles einfacher, hat mich aber vor allem am Anfang vor Schwierigkeiten gestellt. Welche Anrede verwendet man in einer E-Mail an den Finanzausschuss-Vorsitzenden des norwegischen Parlaments, den man um ein Interview fürs deutsche Radio bittet? Ich fragte eine Kollegin. Die Antwort war dann doch ganz einfach: "Hei".
    Minister-Interview: "Hei, ich heiße Tord"
    Das Interview habe ich bekommen, zu hören war es unter anderem in einem "Hintergrund" für den Deutschlandfunk über Norwegens Umgang mit dem niedrigen Öl-Preis. Dafür habe ich auf der Barentssee-Konferenz in Hammerfest auch Ölminister Tord Lien interviewt. In dem Fall habe ich es mit der Informalität vielleicht ein bisschen übertrieben. "Hei, ich heiße Jana und arbeite fürs deutsche Radio", stellte ich mich vor. Im selben Moment wurde mir klar: Bei einem Minister wäre der Nachname wohl doch angebracht gewesen. Lien reagierte glücklicherweise so unkompliziert, wie die Norweger das eben tun. "Hei", antwortete er und gab mir die Hand, "ich heiße Tord".