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Aus für die Steinkohle
Bleibende Bergschäden in den Siedlungen

Schiefe Fassaden, rissige Wände, unterirdische Hohlräume - der Steinkohlebergbau im Ruhrgebiet verursacht in vielen Orten enorme Schäden. Bald schließt die letzte Zeche. Die Menschen in den Wohngebieten befürchten, dass es dann noch schwieriger werden wird, Schadenersatzansprüche durchzusetzen.

Von Vivien Leue | 17.12.2018
    Fördertürme im Ruhrgebiet - die stummen Zeugen einer vergangenen Epoche: Der steinerne über 30 Meter hohe Malakoff - Förderturm des Steinkohle - Bergwerks "Zeche Prosper II in Bottrop.
    Fördertürme im Ruhrgebiet - die stummen Zeugen einer vergangenen Epoche: Der steinerne über 30 Meter hohe Malakoff - Förderturm des Steinkohle - Bergwerks "Zeche Prosper II in Bottrop. (picture alliance / Horst Ossinger)
    Wenn am 21. Dezember der Ausstieg aus der Steinkohleförderung in Deutschland gefeiert wird, dann stehen die Errungenschaften dieser Ära im Vordergrund. Dann fallen wieder Stichworte wie Arbeit, Mut und Solidarität oder Wirtschaftswachstum.
    "Dabei gehen eben die Bergbau-Betroffenen, die Bürger in der Oberfläche, die viel mehr Leute, ein Vielfaches an Personen umfasst, die Belange gehen eben unter, und die sind eigentlich in den letzten 50 Jahren immer untergegangen. Die spielten nie eine Rolle."
    Ulrich Behrens ist die romantischen Erzählungen leid. Der Sprecher des Landesverbands Bergbau-Betroffener in NRW möchte, dass auch über die schiefen Häuser, kaputten Straßen und wiederkehrenden Erdbeben gesprochen wird.
    Denn: Die über Jahrzehnte aus dem Boden geholten Abermillionen Tonnen von Kohle und Gestein haben gewaltige Hohlräume hinterlassen, die an der Oberfläche für Probleme sorgen. Das Ruhrgebiet ist im Schnitt um zwölf Meter abgesackt, einzelne Bereiche gar um bis zu 30 Meter.
    Rissige Hauswände
    Familie von Irmer in Dortmund weiß, was es bedeutet, ein Haus zu besitzen, das auf instabilem Boden gebaut ist.
    "Es ist einfach alt und hat Risse, hier… Das Haus ist von 1880, und hier sieht man das auch überall."
    Vor 13 Jahren haben Heidrun und Arne von Irmer das stuckverzierte Einfamilienhaus gekauft.
    "Wenn man davor steht, merkt man es nicht, aber das ist zur Straße gekippt, das Haus. Das sind von hinten nach vorne zwölf Zentimeter."
    Gestört hat die Familie das nicht.
    "Ich bin in Recklinghausen aufgewachsen. Da kennt man das, da sind die Häuser ein bisschen schief."
    Allmählich bemerkten die von Irmers allerdings, dass ihr Haus nicht nur schief steht, sondern sich offenbar noch weiter bewegt.
    "Die Risse wurden mehr. Wir haben dann alles neu verputzt und alle Risse zugemacht und ziemlich schnell gemerkt: Oh, die kommen ja wieder. Das arbeitet irgendwie." - "Ja, das kann man schwer beschreiben, das kannten wir vorher nicht. Aber dann gingen Türen mal gut zu, und dann gingen sie plötzlich nicht mehr zu, und dann gingen sie wieder zu, also funktionierten wieder. Wir haben auch zwischendurch Geräusche gehört, irgendwie ein Rumpeln."
    Unterirdischer Hohlraum
    Dann sackte in der Nachbarschaft plötzlich eine Baugrube weg.
    "Es wurden dann Probebohrungen durchgeführt, und es wurde festgestellt, der Boden trägt gar nicht."
    Was zuvor niemand wusste: Das Haus der von Irmers stand auf einem riesigen Hohlraum. Der stammte offenbar von einem längst vergessenen Altbergbau und musste jetzt aufwändig verfüllt werden.
    "Die haben wirklich ein halbes Jahr lang hier Beton unters Haus gefüllt." - "Ich würde sagen, wir haben das europaweit größte Fundament."
    Die immensen Kosten dieser Bodensanierung hat Nordrhein-Westfalen übernommen. Das Land springt immer dann ein, wenn für die unterirdischen Schächte kein Alteigentümer zu finden ist.
    Rund 60.000 Gruben und Stollen soll es im Ruhrgebiet und im Aachener Revier geben, für knapp 5.000 von ihnen ist der Bergbaukonzern RAG, die frühere Ruhrkohle verantwortlich. Sind Schäden auf die Abbaugebiete der RAG zurückzuführen, muss der Konzern auch für sie aufkommen.
    Beseitigung von Bergschäden dauert Jahrzehnte
    "Die Förderstilllegung hat für unser Tagesgeschäft, auch für den Eigentümer, keinerlei Auswirkungen. Die rechtliche Verpflichtung, Schäden zu ersetzen, wird sich nicht ändern",
    … erklärt der Leiter der Schadensregulierungs-Abteilung der RAG, Stefan Hager.
    "Wenn es ein Bergschaden ist oder teilweise ein Bergschaden ist, dann bekommt der Eigentümer von uns ein Entschädigungsangebot. Das kann sein, dass er Geld ausbezahlt bekommt in der Höhe des Schadens oder wir reparieren mit Fachfirmen."
    Mehr als 20.000 solcher Meldungen nimmt die RAG jährlich entgegen. In den allermeisten Fällen liegen die begutachteten Schäden unter 5.000 Euro. Noch mindestens 30 Jahre wird das Unternehmen dafür zahlen müssen, dann - so heißt es - hat sich der Untergrund beruhigt.
    Erdbebengefahr
    Ulrich Behrens vom Verband der Bergbau-Betroffenen ist da nicht so optimistisch. Vor allem der geplante Grubenwasseranstieg macht ihm Sorgen.
    "Neue Bergschäden befürchten wir durch Hebungen, die dadurch entstehen und eben auch Erdbeben, die auch wieder zu Schäden führen. Und je weiter der Bergbau beendet ist, je länger das dauert, desto schwieriger wird eben auch die Schadensregulierung, dass also nachgewiesen wird, dass dieser Schaden im Haus kein Bauschaden ist, sondern ein Bergschaden."