Donnerstag, 25. April 2024

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Aus für Sturmgewehr G36
"Es gibt eine ganze Reihe von Alternativen"

Einen Ersatz für das Sturmgewehr G36 zu beschaffen, sei keine Frage von zehn Jahren, wie Medien berichteten, sondern lediglich von Monaten, betonte der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, im Deutschlandfunk. Auch der Hersteller selbst, die Firma Heckler & Koch, könnte Alternativen anbieten.

Harald Kujat im Gespräch mit Jasper Barenberg | 22.04.2015
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr
    "Über viele Jahre haben wir unseren Soldaten nicht das gegeben, was sie eigentlich brauchen", kritisiert Ex-Generalinspekteur Harald Kujat. ( picture alliance / ZB)
    Jasper Barenberg: Ausrüstungsprobleme sind für die Bundeswehr ja derzeit nichts Neues. Jetzt allerdings gerät auch die Standardwaffe der Truppe in Verruf, das Sturmgewehr G36. Jeder Soldat muss sich darauf verlassen können, sein Leben kann buchstäblich davon abhängen. Die Zweifel an der Zuverlässigkeit, an der Präzision dieser Waffe werden immer größer, genährt zuletzt durch ein umfangreiches Gutachten, das Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in Auftrag gegeben hatte.
    Doch auch der Christdemokratin wirft die Opposition vor, das Problem lange vernachlässigt und zu spät reagiert zu haben, wie schon ihre Vorgänger. Heute war Ursula von der Leyen zu Gast im Verteidigungsausschuss des Bundestages.
    Am Telefon ist General a.D. Harald Kujat, der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr. Schönen guten Tag, Herr Kujat.
    Harald Kujat: Ich grüße Sie. Hallo!
    Barenberg: Nach allem, was jetzt inzwischen öffentlich bekannt ist, müssen alle 180.000 Gewehre von diesem Typ G36 ausgemustert werden?
    Kujat: Ich kann das nicht beurteilen. Ich kenne den Untersuchungsbericht nicht, also die Fakten, und ich spekuliere ungern in einer so wichtigen Frage, denn diese Frage ist in der Tat sehr wichtig für unsere Soldaten. Aber man muss vielleicht in dem Zusammenhang sagen: Das Gewehr ist vor 20 Jahren eingeführt worden, und wenn es Probleme gibt und Probleme gab, dann erstaunt es mich schon, dass keine Gelegenheit gefunden wurde, in der Zwischenzeit mit dem Hersteller über diese Probleme zu sprechen und dann auch Verbesserungen zu verlangen, wozu der Hersteller sicherlich in der Lage gewesen wäre.
    "Ich beklage schon seit zehn Jahren den Ausrüstungsstand der Bundeswehr"
    Barenberg: Man wundert sich ja auch insofern, Harald Kujat, wenn man den Verteidigungspolitikern zuhört, egal welcher Partei, dann sind sich jetzt im Grunde alle einig: Das Testergebnis ist eindeutig und wir können diese Waffe nicht mehr gebrauchen.
    Kujat: Na ja, das weiß ich eben nicht. Ich kenne das Testergebnis nur aus der Presse, was ja überhaupt verwunderlich ist. Auch hier finde ich es erstaunlich, dass bisher auch über dieses Ergebnis nicht mit dem Hersteller im Einzelnen gesprochen wurde. Es handelt sich immerhin um eine sehr renommierte deutsche Firma und niemand kann doch ein Interesse daran haben, diese Firma in den Ruin zu treiben durch diese öffentliche Diskussion.
    Barenberg: Haben Sie den Eindruck, das Gefühl, dass der Hersteller, Heckler & Koch, der sich massiv wehrt gegen die Vorwürfe, dass dem ein bisschen jetzt der schwarze Peter zugeschoben wird?
    Kujat: Es geht ja hier tatsächlich um zwei Fragen. Die erste Frage ist die: Ist das Gewehr technisch geeignet, den Einsatzbedingungen zu entsprechen, die jetzt und in Zukunft auf uns zukommen? Und wenn es in der Zwischenzeit Probleme gegeben hat mit dem Einsatzwert dieses Gewehres, warum hat man eigentlich nicht mit dem Hersteller gesprochen und Abhilfe verlangt, oder ein neues Gewehr beschafft, wenn eine Abhilfe nicht möglich war?
    Das Zweite ist ja eine grundsätzliche Frage. Ich beklage ja schon seit zehn Jahren den Ausrüstungsstand der Bundeswehr. Man muss die Leistungsfähigkeit dieses Sturmgewehres - es ist ja kein Maschinengewehr - auch in einem operativen Zusammenhang, das heißt unter den Einsatzbedingungen sehen, und da ist es eben so, dass wir über viele Jahre unseren Soldaten nicht das gegeben haben, was sie eigentlich brauchen, was auch ein Staat wie Deutschland, der über Hochtechnologie verfügt in allen Bereichen, wozu dieser Staat in der Lage wäre.
    "Blick erweitern und schnell Abhilfe schaffen"
    Ich will nur einige Beispiele nehmen: Weitreichende Aufklärungssysteme, damit unsere Soldaten gar nicht erst in einen Hinterhalt geraten und dann Dauerfeuer schießen müssen mit einem Gewehr, das für Dauerfeuer nicht ausgelegt ist. Ein integriertes Führungs- und Informationssystem, weitreichende Distanzwaffen wie zum Beispiel ein integriertes Mörsersystem, Kampfhubschrauber, MedEvac-Hubschrauber, all diese Dinge sind ja über Jahre nicht in den Einsatz gekommen und es haben sich dann Situationen ergeben, in denen unsere Soldaten zurückgeworfen waren, beispielsweise in einen Hinterhalt, und sich auf dieses Gewehr verlassen mussten. Das macht es so wichtig. Aber es zeigt eben auch, dass allein mit einem Gewehr ein solch herausfordernder Auftrag unter den schwierigen Einsatzbedingungen wie in Afghanistan beispielsweise nicht zu bewältigen ist.
    Also ich rate dazu, den Blick zu erweitern, aber schnell auch Abhilfe zu schaffen und nicht das Ganze durch neue Expertenkommissionen immer weiter in die Zukunft zu verlagern, denn der nächste Einsatz kann sehr schnell kommen und unsere Soldaten sind dann wieder auf dieses Gewehr angewiesen.
    Barenberg: Nun haben Sie selbst gesagt, das Gewehr wurde 1996 in Auftrag gegeben, verhandelt mit dem Hersteller Heckler & Koch unter ganz spezifischen Bedingungen, mit ganz spezifischen Anforderungen. Wenn es jetzt in dem Ausschuss ja absehbar darum gehen wird, zumindest die Soldaten im Einsatz relativ schnell mit einer Ersatzwaffe zu versehen, ist das überhaupt so schnell vorstellbar, wenn wir berücksichtigen, dass es ganz bestimmte Anforderungen erfüllen müsste?
    "Schnelle Lösung finden für Einsatzkontingente"
    Kujat: Es gibt eine ganze Reihe von Alternativen auf dem Markt und es gibt auch Waffen von der Firma, über die wir sprechen, die man möglicherweise mit leichten Modifikationen, aber die man relativ schnell beschaffen könnte. Sicherlich könnte man nicht die gesamte Bundeswehr ausrüsten, eine so große Zahl von Waffen beschaffen, aber für die Einsatzkontingente muss jetzt sehr schnell eine Lösung gefunden werden und diese Lösung ist möglich, ohne Frage. Aber wie gesagt: Man muss auch mal mit dem Hersteller reden, was er leisten kann und was er nicht leisten kann.
    Barenberg: Wie schnell wäre das denn Ihrer Erfahrung nach möglich, neue Waffen zu beschaffen, von der Stange sozusagen?
    Kujat: Das kann ich jetzt so aus dem Stegreif nicht sagen. Ich will da auch nicht spekulieren. Aber es ist mit Sicherheit keine Frage von zehn Jahren, wie ich in der Zeitung gelesen habe, sondern es ist eine Frage von Monaten.
    Barenberg: Aber ich höre bei Ihnen auch immer wieder durch und Sie kennen das, denke ich, aus Ihrer Zeit als Generalinspekteur, es gibt eine enge Zusammenarbeit mit den Herstellern von Waffensystemen, auch mit Heckler & Koch, und dieses Unternehmen wird jetzt schon ein wenig im Regen stehen gelassen.
    "Es muss einen permanenten Dialog zwischen Hersteller und Bundeswehr geben"
    Kujat: So ist das! Es muss eine enge Zusammenarbeit geben und es muss auch im Grunde einen permanenten Informationsaustausch zwischen der Bundeswehr und den Herstellern von Waffen geben. Ich habe das immer sehr stark vorangetrieben, und zwar aus zwei Gründen. Die Bundeswehr muss den Herstellern sagen können, in welche strategische Richtung sie geht, was der Bedarf für die Zukunft ist, und die Hersteller müssen der Bundeswehr auch sagen können, was technologisch machbar ist und was nicht machbar ist. Man arbeitet sozusagen an dem gleichen Gegenstand, nämlich an der Sicherheit unserer Soldaten und an der Leistungsfähigkeit unserer Streitkräfte.
    Wir müssen also ein Interesse daran haben, dass es diesen engen Dialog gibt. Und die gegenwärtige Diskussion, die über die Öffentlichkeit, über die Medien geführt wird, erweckt bei mir nicht den Eindruck, dass es hier ein Interesse gibt an einer engen Zusammenarbeit und an einem fairen Informationsaustausch.
    Barenberg: Sie erweckt im Gegenteil den Eindruck, als ob diese Zusammenarbeit sehr schlecht funktioniert, als wenn es diese Zusammenarbeit gar nicht richtig geben würde.
    Kujat: So ist das wohl. So ist das wohl.
    Barenberg: Und liegt das am Ministerium, oder liegt das am Hersteller?
    Kujat: Na ja, gut: Der Hersteller argumentiert ja seit einiger Zeit, man muss mit uns reden, wir sind in der Lage, das zu erklären. Ich denke, es liegt im Wesentlichen am Verteidigungsministerium. Das Verteidigungsministerium hat auch die Pflicht, mit dem Hersteller zu reden und ihm zu sagen, was nicht richtig gelaufen ist. Offensichtlich ist das aber, wie wir gerade in diesen Tagen aus den Zeitungen erfahren, seit 2012 zumindest nicht geschehen, denn da waren diese Probleme ja schon bekannt.
    Wahrscheinlich waren sie schon wesentlich früher bekannt, aber auch da ist das Gespräch nicht gesucht worden. Leider, muss man sagen. Leider! Letzten Endes geht dieses alles, auch die Frage, wie dieses Problem im Augenblick gehandhabt wird, am Ende zulasten unserer Soldaten.
    Barenberg: ..., sagt der ehemalige Generalsekretär der Bundeswehr. Vielen Dank für dieses Gespräch, General a.D. Harald Kujat.
    Kujat: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.