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Aus Karl Heinz Müller wird Kalle M.

In sozialen Netzwerken benutzen viele Menschen Aliasnamen, und nur Eingeweihte wissen, mit wem sie es zu tun haben. Facebook jedoch fordert von seinen Nutzern, nur mit echtem Namen aufzutreten - und hat damit den Zorn von Datenschützern auf sich gezogen.

Von Philip Banse | 20.12.2012
    Das Kernargument ist: Nur wenn wir uns im Internet auch anonym oder zumindest unter Pseudonym äußern können, ist die Meinungsfreiheit gewahrt, weil man nur dann gefahrlos seine Meinung auch äußern kann. Deswegen muss man bei Demonstrationen auf der Straße ja auch seinen Namen nicht nennen.

    Nun verlangt Facebook aber in seinen Nutzungsbedingungen, den richtigen Namen anzugeben und hat deshalb auch schon Nutzer raus geworfen, die unter falschen Namen posten. Das verstößt nach Ansicht von Datenschützern und Juristen ganz klar gegen ein deutsches Gesetz, nämlich Paragraf 13 Absatz 6 Telemediengesetz, sagt der Kölner Medienrechtler Christian Solmecke:

    "Generell ist es so, dass das Telemediengesetz tatsächlich für Forenbetreiber vorsieht, dass auch immer eine anonyme Nutzung gegeben sein muss. Und Facebook ist auch so was Ähnliches wie ein Forenbetreiber."

    Der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, will Facebook daher nun zwingen, sich an dieses deutsche Gesetz zu halten:

    "Wir haben Facebook Inc. in den USA und Facebook Ltd. in Irland angeschrieben und per Verfügung aufgefordert, betroffenen Menschen in Schleswig-Holstein zu ermöglichen, mit Pseudonym Facebook zu nutzen."

    Dagegen hat Facebook Widerspruch eingelegt, und auch Thilo Weichert rechnet mit einem längeren Rechtsstreit, der Antworten auf ganz grundsätzliche Frage bringen könnte:

    "Bei der Gelegenheit werden die Gerichte dann eben auch entscheiden, welche Gesetze für Facebook gelten."

    Denn die Frage, welche Datenschutz-Gesetze für Facebook gelten und wer sie durchsetzt, ist völlig unklar und sehr umstritten, sagt Medienrechtler Solmecke. Deutsche Datenschützer argumentieren zwar, Facebook wende sich an deutsche Nutzer, biete seine Dienste in Deutschland an und müsse sich daher auch an deutsche Gesetze halten. Doch: Deutsche Gerichte setzen deutsche Gesetze durch – das gelte beim Datenschutz so einfach in der EU nicht immer:

    "In Europa haben wir die Waren- und Dienstleistungsfreiheit. Und wenn jedes Gericht in Europa bei einem europaweit auftretenden Unternehmen immer ein Wörtchen mitzureden hätte, dann wäre das schwierig, weil dann eben die Waren- und Dienstleistungsfreiheit durch die Gerichte eingeschränkt werden könnte. Insofern gibt es jetzt hier im Datenschutz eine zuständige Behörde, die muss kontrollieren, ob alles in Ordnung ist. Aber genau darüber ist ja der Streit entstanden: Wer ist hier die zuständige Behörde? Und da liegt die Schwierigkeit."

    Eine Facebook-Sprecherin schreibt in einer Mail: Zuständig für Facebook in Europa sei der irische Datenschützer, für Facebook würden irische Gesetze gelten, denn die Europa-Zentrale ist in Irland. Und der irische Datenschützer habe bestätigt: Facebooks Klarnamen-Zwang sei rechtens. An deutsche Datenschutzgesetze fühlt sich Facebook nicht gebunden. Ja, das deutsche Telemediengesetz hält Facebook gar für europarechtswidrig.

    Das sei Unsinn, entgegnet der schleswig-holsteinische Datenschützer Thilo Weichert. Zwar gebe es das gesetzlich verbriefte Recht auf eine pseudonyme Facebook-Nutzung tatsächlich nur in Deutschland. Dieses Recht auf Pseudonyme sei aber abgeleitet aus europäischen Datenschutz-Vorschriften und müsste daher auch vom irischen Datenschutzbeauftragten durchgesetzt werden.

    Klarheit in diese völlig wirre Lage könnte eine europäische Datenschutzgrundverordnung bringen, die als Entwurf vorliegt. Würde die geltendes EU-Recht, wäre im Fall Facebook zwar allein der irische Datenschutzbeauftragte für die Rechtsdurchsetzung bei Facebook zuständig. Er müsste sich aber zuvor mit allen europäischen Datenschützern abstimmen, und auf diesem Weg ließe sich dann auch deutsches Datenschutzrecht bei Facebook durchsetzen, hofft Thilo Weichert, hält die geplante EU-Regelung aber für zu bürokratisch:

    "Da muss noch sehr viel Gehirnschmalz auch weiterhin verbraten werden, um eine saubere und auch grundrechtsfreundliche Lösung zu finden."