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Aus zwei mach eins

Nach mehrjährigen Umbauarbeiten verschmelzen das Lübecker St. Annen-Museum und die Kunsthalle zum Museumsquartier St. Annen. Das neue Quartier spannt einen Bogen von mittelalterlichen Altären bis zur modernen Kunst und gibt Einblick in die bürgerliche Wohnkultur der Hansestadt.

Von Rainer Berthold Schossig | 19.01.2013
    Ortstermin im Lübecker Viertel St. Annen. Hier, im Süden der Altstadt wohnten traditionell Handwerker, rund um die gotische St. Ägidien. Heute leben hier, hinter Puppenstubenfassaden, viele Menschen am Tropf sozialer Fürsorge. Neben den Renaissancehäusern der Beginenkonvente, dem Logenhaus und der Synagoge aus dem 18. Jahrhundert - das St. Annen-Kloster - ein altes Museum, für Thomas Baltrock, Pastor an der Ägidienkirche, lange ein Fremdkörper:

    "Bisher ruhte dieses Museum ein bisschen wie ein UFO hier in der Bewohnerschaft dieses Quartiers!"

    Das soll sich jetzt ändern: Hans Wisskirchen, dem leitenden Direktor der Lübecker Museen, kam vor fünf Jahren, anlässlich einer Ausstellung für den Lübecker Komponisten Dieterich Buxtehude, die Idee, das alte Museum und seine Bestände umzukrempeln. Das Ergebnis kann sich sehen lassen:

    "Wir gründen ein neues Museumsquartier, indem wir die Kunsthalle St. Annen und das St. Annen-Museum – 4.500 Quadratmeter Ausstellungsfläche, Gänge, Höfe und Gärten – zu einem Quartier zusammenfassen, wo man einen halben Tag verbringen kann."

    Man betritt das 500 Jahre alte Gebäude durch einen gotischen Torbogen der Ruine der St. Annenkirche. Im Erdgeschoss stößt man auf Dutzende lübischer Reliefs und Skulpturen sowie ausladender niederländischer Altäre. Der Kunsthistoriker Jan Friedrich Richter ist zuständig für die mittelalterliche Sammlung:

    "Wir haben den Vorteil, dass von der Brandkatastrophe des 19. Jahrhunderts große Teile des Klosters erhalten sind, die zwar ursprünglich keine Ausstattungsstücke enthalten haben, aber die trotzdem einen sehr guten Eindruck davon bieten, wie mittelalterliche Räume mit den Klostergewölben, den Säulenstützen ausgesehen haben."

    Lübeck war als Zentrum des südwestlichen Ostseeraums Jahrhunderte lang Hauptmacht der Hanse und damit lukrativer Standort für Kunsthandwerker, die nicht nur Lübecker Kirchen schmückten, sondern bis nach Skandinavien hin wirkten. Zugleich gab es lebendige Beziehungen zu niederdeutschen und flämischen Künstlern.

    Glanzstück der Sammlung: Hans Memlings prächtiger Passionsaltar aus dem Jahre 1491. Als würdige Neuerwerbung ist kürzlich ein kostbarer Flügelaltar Jacob von Utrechts hinzugekommen. Direktor Hans Wisskirchen legt Wert darauf, die Trias von religiöser, bürgerlicher und moderner Kunst zu inszenieren:

    "Glaube, Gesellschaft und Kunst. Die entwickeln sich aus der Geschichte dieses Ortes. Es war uns wichtig, dass wir nichts von außen aus Marketinggründen hier aufsetzen, das kann nie funktionieren. Dieser Ort ist 1515 gegründet worden, als Jungfrauenkloster. Die reichen Lübecker Bürger brauchten einen neuen Ort, an dem die jungen, unverheirateten Frauen als Nonnen leben konnten. Es kam auch nach Lübeck die Reformation, da gab es einen Funktionswandel, ab 1601 ist es Armen- und Waisenhaus gewesen, teilweise auch mal Gefängnis, und 1915 dann das große Staatsmuseum – also ein Ort der Kunst."

    Über 1000 Exponate aus fünf Jahrhunderten von kleinen Alltagsdingen, wie Schiefertafeln oder Medaillons, über Musikinstrumente, Möbel, Tapeten und Freundschaftsbilder bis zu ganzen Prunkräumen aus Renaissance, Barock und Klassizismus beglaubigen die große bürgerliche Kulturgeschichte Lübecks. Bettina Zöller-Stock, die Leiterin des St. Annen-Museums, über ihre Schätze:

    "Es ist ein Spezifikum unserer Sammlung, dass die Schätze, die wir hier bewahren, überwiegend aus bürgerlichem Besitz stammen. Und ein weiteres Spezifikum ist die Atmosphäre dieses Hauses, Einbauten, die vor 100 Jahren zur Museums aus Abbruch- und Altenhäusern in Lübeck entnommen und hierhin transloziert worden sind."

    Die Konzentration und Neuinszenierung des Gesamtbestandes weitet und schärft zugleich den Blick auf die bislang eher im Verborgenen schlummernden ererbten Reichtümer der Stadt. Auch die Kinderspielzeug-Abteilung sowie die bisher eher im Schatten stehende moderne Kunsthalle haben nun endlich eine Chance, weit über die Grenzen der Stadt wahrgenommen zu werden. Zugleich ist St. Annen auch ein metropoles Museumsquartier im nahezu dörflichen Ägidienviertel. Pastor Thomas Baltrock sieht darin aber keine Konkurrenz:

    "Ob dieses Viertel in 50 Jahren als Museumsquartier firmiert oder immer noch als Ägidienviertel, das mögen die Herrschaften in 50 Jahren entscheiden."

    Weiterführende Infos zur Neugestaltung: Museumsquartier St. Annen in Lübeck