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Ausbeutung auf Baumwollfeldern

Usbekistan ist der drittgrößte Baumwollexporteur der Welt. Hilfsorganisationen werfen dem Land seit Jahren vor, Arbeitskräfte auszubeuten - auch Jugendliche. Nun kommen erstmals Beobachter der Internationalen Arbeitsorganisation, um sich ein Bild vor Ort zu machen.

Von Gesine Dornblüth | 13.11.2013
    Baumwolle ist einer der führenden Wirtschaftszweige Usbekistans und eine wichtige Devisenquelle, erläutert Andrej Grozin, Zentralasienexperte am Institut für GUS-Staaten in Moskau.

    "Usbekistan hat nicht viel mehr, was Devisen bringt, nur Gold, Uran und Gas. Bauwolle ist das wichtigste Agrarerzeugnis Usbekistans. Die Erträge aus dem Export betragen im Schnitt 1,5 Mrd. US-Dollar im Jahr."

    Das ist mehr als zehn Prozent des Staatshaushaltes. Dazu benutzt der Staat seit Jahren systematisch Zwangsarbeit. Das unabhängige Internetportal fergananews, spezialisiert auf Nachrichten aus Zentralasien, berichtet von Hunderttausenden in den Baumwollfeldern, die auch in diesem Jahr gar keinen oder einen Hungerlohn erhielten. Es sind vor allem Studenten und Staatsbedienstete. Die Druckmittel sind vielfältig: Dozenten drohen mit schlechten Noten oder Kürzungen der Stipendien, Arbeitgeber mit Abmahnungen, Kündigungen.

    Das System rührt noch aus Sowjetzeiten. Bachrom Chamrojew ist Anfang der 90er-Jahre aus politischen Gründen aus Usbekistan geflohen. Auch er musste als Schüler Baumwolle pflücken.

    "Schon damals gab es Normen. Und es gab Ärger, wenn man die nicht erfüllt hat. Die Eltern wurden einbestellt. Es hieß: Ihr Sohn ist ein Faulenzer und Nichtsnutz. Ich fand das schon als Kind ungerecht, ich habe mich ins Feld gesetzt und Bücher gelesen. Wenn ich Baumwolle gepflückt habe, dann habe ich sie angefeuchtet oder Sand dazugegeben, damit mehr Gewicht auf die Waage kommt. Die anderen haben sich aber alle untergeordnet."

    Damals trieb die Losung, etwas für den Kommunismus zu tun, die Menschen an. Heute verbreitet eine regimetreue Jugendbewegung mit dem Namen "Kamolot" in Usbekistan ähnliche Parolen, berichtet das Internetportal fergananews. Präsident Islam Karimow regiert autoritär. Da ist die Rede von "Hilfe für das Vaterland". Wer nicht auf dem Baumwollfeld sei, sei gegen die Politik des Präsidenten. Schüler, Studenten und Staatsangestellte müssen Erklärungen unterzeichnen, denen zufolge sie "freiwillig" zur Ernte fahren.

    Der Druck ist groß, und nicht jeder hält ihm stand. In der Region Karakalpakstan erhängte sich eine Studentin, nachdem ihre Dozenten sie öffentlich erniedrigt hatten. Unabhängige Medien berichten zudem von einer Häufung von Unfällen mit Todesfolge. Ein sechsjähriges Kind, das mit seiner Mutter auf dem Feld war, erstickte unter einem Berg Baumwolle. Eine Studentin stürzte von einem Transporter und starb, eine andere erlitt einen Stromschlag in der Unterkunft am Feldrand.
    Von dem Zwangssystem auf den Feldern profitiert vor allem die Beamtenelite. Die Baumwolle wird zwar vor allem von privaten Bauern angebaut. Der Staat macht ihnen aber strenge Vorgaben, was sie in welcher Menge anpflanzen und zu welchem Preis sie es verkaufen sollen, erläutert der Zentralasienexperte Andrej Grozin:

    "Die Bauern verkaufen ihre Ernte an Baumwollfabriken. Dort wird der Rohstoff ein erstes Mal bearbeitet. Solche Fabriken gibt es in jeder Region Usbekistans, insgesamt rund zwei Dutzend. Sie haben den Verkauf der Baumwolle auf den Weltmarkt monopolisiert. Auf dem Papier ist es nicht erkennbar, aber hinter diesen Baumwollfabriken stecken in der Regel wichtige Leute mit einflussreichen Schutzherren in den mächtigen politischen Kreisen. Das ist entweder ein Provinzfürst oder ein hoher Regierungsbeamter in der Hauptstadt."

    In der Vergangenheit stand Usbekistan vor allem wegen des massenhaften Einsatzes auch kleiner Kinder auf den Baumwollfeldern in der Kritik. Zumindest dies scheint sich verbessert zu haben. Vor anderthalb Jahren hat die Regierung einen Aktionsplan verabschiedet, der die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, im Hinblick auf Kinder- und Zwangsarbeit umsetzen soll. Seitdem bleiben Kinder bis zum Alter von 15 Jahren in der Regel vom Ernteeinsatz verschont.

    Die Regierung verspricht zugleich, künftig mehr Pflückmaschinen bei der Ernte einzusetzen. Premierminister Schawkat Mirzijojew kündigte auf der Baumwoll- und Textilmesse in Taschkent im Oktober an, schon in einigen Jahren sollten 80 bis 90 Prozent der Baumwolle in Usbekistan maschinell geerntet werden. Bereits in diesem Jahr seien mehr als tausend Maschinen heimischer Produktion im Einsatz. Experten sind skeptisch. Andrej Grozin:

    "In Taschkent wurden vor Beginn der diesjährigen Ernte tatsächlich ein paar Maschinen gefertigt, aber nur für die Fernsehkameras. Im Fernsehen war zu sehen, wie sie aus den Fabrikhallen herausfahren. Dort sind sie dann stehen geblieben. Solche Erntemaschinen sind teuer in der Wartung. Sie gehen schnell kaputt. Die Bauern können sich das gar nicht leisten. Handarbeit ist viel billiger. Und gründlicher."