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Handwerks-Präsident warnt vor Facharbeiter-Lücke auf dem Land

Immer mehr junge Menschen entscheiden sich gegen eine Ausbildung und für ein Studium. Es drohe eine große Facharbeiterlücke, sagte Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des deutschen Handwerks, im DLF. Gerade auf dem Land könne es bald länger dauern, bis beispielsweise der Handwerker komme.

Hans Peter Wollseifer im Gespräch mit Jasper Barenberg | 01.09.2015
    Der Präsident des Zentralverbandes Deutsches Handwerk, Hans Peter Wollseifer, spricht bei einer Pressekonferenz.
    Hans Peter Wollseifer: "Wir können Integration betreiben, indem wir junge Leute in Arbeit bringen." (pa/dpa/Pedersen)
    Wollseifer sagte, zu Beginn des aktuellen Ausbildungsjahres seien noch 27.000 Lehrstellen offen. Der Verband hoffe, dass es am Ende nur noch 20.000 sein werden. Der ZdH-Präsident betonte, es müsse an Berufsbildern gearbeitet werden. Die Unternehmen bemühten sich stärker um Auszubildende. Das Informationsangebot für junge Menschen sei inzwischen sehr gut.
    "Wir werden, wenn wir jetzt keine Bildungsumkehr bekommen hin zur beruflichen Bildung, eine Facharbeiterlücke bekommen bis 2030", betonte Wollseifer. Dann werde es circa drei Millionen mehr Akademiker geben und eine Million weniger Fachkräfte. Deshalb könne es in ländlichen Gebieten zum Beispiel passieren, dass es keinen Optiker oder Bäcker mehr im Ort gebe oder man lange auf einen Handwerker warten müsse. Der Handwerks-Präsident forderte, dass es auch an Gymnasien eine berufkundliche Beratung geben müsse, nicht nur eine Studienberatung.
    Mit Blick auf die steigenden Flüchtlingszahlen betonte Wollseifer, dass die Betriebe offen seien für junge Zuwanderer. "Wir können Integration betreiben, indem wir junge Leute in Arbeit bringen." Allerdings bräuchten die Unternehmen dafür Rechtssicherheit: Es müsse sichergestellt werden, dass Auszubildende mindestens für die Dauer ihrer Lehre nicht abgeschoben werden dürften.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Wie sich das Bild in wenigen Jahren doch geändert hat. Früher haben Unternehmer, Gewerkschaften und Politiker noch jedes Jahr mühsam und lange über einen weiteren Ausbildungspakt verhandeln müssen, und doch wurde nach jedem Sommer wieder gezählt, wie viele Jugendliche keine Lehrstelle gefunden haben. Wenn heute das neue Ausbildungsjahr beginnt, ist es genau anders herum. Voraussichtlich 40.000 Ausbildungsplätze könnten unbesetzt bleiben. Jedes dritte Unternehmen, das einen Azubi einstellen will, wird wohl trotzdem keinen finden. Klar ist, dass der demografische Wandel dabei eine große Rolle spielt. Aber sind die Probleme nicht auch hausgemacht und welche Möglichkeiten gibt es, den Trend wieder zu drehen? Darüber wollen wir in den nächsten Minuten mit Hans Peter Wollseifer sprechen. Er ist der Präsident des Zentralverbandes des deutschen Handwerks. Schönen guten Morgen, Herr Wollseifer.
    Hans Peter Wollseifer: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Seit Jahren gibt es schon mehr offene Stellen als Bewerber. Immer mehr Jugendliche entscheiden sich für ein Studium. Man könnte ja sagen, so ist das einfach, Angebot und Nachfrage entscheiden. Warum muss uns das Sorgen machen?
    Wollseifer: Ja, das muss uns Sorgen machen, Herr Barenberg. Die Betriebe, die kämpfen mittlerweile um Nachwuchs. Wir haben weniger Schulabgänger, 150.000 an der Zahl gegenüber von vor zehn Jahren. Wir haben wesentlich mehr Studierende. In diesem Jahr waren es sogar mehr, als junge Leute in die Ausbildung gekommen sind. Das verknappt natürlich dann das Personalangebot. Das ist das eine und auf der anderen Seite haben wir eine große Lücke bei der Besetzung der Ausbildungsplätze, nämlich auch in diesem Jahr werden es wieder über 20.000 sein, die nicht besetzt werden können im Handwerk. Zurzeit sind es 27.000. Wir hoffen, dass wir die Lücke zur 20 mindestens noch schließen können.
    "Das duale Ausbildungssystem ist nach wie vor ein Erfolgsmodell"
    Barenberg: Jetzt haben Sie aber noch nicht gesagt, warum uns das Sorgen machen muss, denn viele studieren ja, weil sie meinen, dass sie dann einen besseren Job bekommen, mehr verdienen und das einfach attraktiver ist.
    Wollseifer: Ja. Das duale Ausbildungssystem ist nach wie vor ein Erfolgsmodell. Es ist best practice, eine gute Ausbildung ist immer noch eine fundierte Grundlage für eine berufliche Existenz. Ich denke, die jungen Leute, die haben in der Ausbildung heute mehr denn je ganz tolle Karrierechancen. Wir haben modernste Berufsbilder. Zum Beispiel der Kfz-Mechatroniker, der befasst sich heute mit Elektromobilität. Oder in den Druckberufen, da bekommt keiner mehr schwarze Hände, die sind voll digital. Und so könnte ich Ihnen weitere Beispiele nennen. Es gibt gute Karrieremöglichkeiten, es gibt auch die Möglichkeit, sich gut weiterzubilden, duale Studiengänge, triale Studiengänge. All das ist möglich mit einer dualen Ausbildung, die man dann zunächst einmal macht, zum Beispiel im Handwerk.
    Barenberg: Manche Beobachter sehen ja schon den Wirtschaftsstandort in Gefahr, ja möglicherweise sogar den Wohlstand des ganzen Landes. Sind Sie auch so skeptisch?
    Wollseifer: Ja, ich bin da sehr skeptisch, und unsere Studien und Statistiken, die belegen das auch. Wir werden, wenn wir jetzt keine Bildungsumkehr bekommen hin zur beruflichen Bildung, eine Facharbeiterlücke bekommen bis 2030. Wir werden circa drei Millionen mehr Akademiker sein 2030 und eine Million weniger Fachkräfte. Dann kann man sich natürlich vorstellen, wie das zu bewerten ist. Wir werden dann eine Versorgungslücke bekommen, hauptsächlich in ländlichen Gebieten. Da wird man dann relativ lange warten müssen, bis dass der Handwerker kommt, oder der Augenoptiker ist nicht mehr im Ort, oder der Bäcker ist nicht mehr im Ort. All das wollen wir natürlich vermeiden und wir wollen das vermeiden, indem wir Jugendlichen wirklich tolle Ausbildungsangebote machen, so wie ich es eben dargestellt habe.
    Barenberg: Sie haben erwähnt, dass es immer mehr auch Weiterbildungsmöglichkeiten gibt in so einer Ausbildung. Da geht es um Fremdsprachen, Praktika im Ausland und so weiter. Nun sagen aber beispielsweise die Hälfte aller Azubis, in meinem Betrieb geht all das nicht. Zum Beispiel gehen nur vier Prozent etwa der Lehrlinge überhaupt je ins Ausland. Müssen die Betriebe, müssen die Unternehmen, müssen Sie selber da noch ordentlich nachbessern?
    Wollseifer: Natürlich müssen auch die Unternehmen ständig an sich arbeiten, weil die Ansprüche an die Unternehmen, die verändern sich ja auch dauernd und fortwährend. Wir müssen an den Berufsbildern arbeiten. Die Unternehmen arbeiten in der Präsentation an sich. Sie müssen eine Marke darstellen für die jungen Leute, dann sind sie auch attraktiv genug für die Ausbildung. Und sie müssen sich schon mehr bemühen, als das früher noch der Fall war, als wir ein Überangebot an Auszubildenden hatten. Ich glaube, die Unternehmen, die haben das auch mittlerweile verstanden. Die machen eine ganze Menge. Wir haben 2010 die Image-Kampagne des deutschen Handwerks ins Leben gerufen. Dort informieren wir über die 130 Berufe. Die Betriebe, die gehen Schulkooperationen ein, die richten Sommer-Camps ein, Praktika, Ausbildungsbörsen, Speed Datings. All das ist mittlerweile ins Leben gerufen. Wir haben Lehrstellen-Apps fürs iPhone der jungen Leute entwickelt. Das Informationsangebot für die jungen Leute ist sehr groß mittlerweile.
    Berufkundliche Beratung an Gymnasien
    Barenberg: Und ist es auch, sagen wir, für größere Betriebe, für Industriebetriebe am Ende noch viel einfacher, solche Dinge zu leisten, mehr zu bieten, was den Beruf attraktiv macht, im Vergleich zu kleineren Betrieben, sagen wir im Handwerk?
    Wollseifer: Ja. Wir haben seit 2010 uns das auf die Fahne geschrieben, indem wir mehr über handwerkliche Berufe oder das Handwerk auch insgesamt informieren, und haben auch in dieser Zeit erfahren, dass das Handwerk eine höhere Wertschätzung und Anerkennung bekommen hat, und unsere Umfragen, die bestätigen das, dass junge Leute auch wieder mehr Handwerksberufe kennen und sie haben auch verstanden, dass die alten Zöpfe mittlerweile abgeschnitten sind und sie 130 hoch moderne Berufe erwarten.
    Barenberg: Sie haben die Schulen angesprochen, die Zusammenarbeit, die da vielfach auf den Weg gebracht wird. Sprechen Sie sich auch dafür aus, dass beispielsweise an Gymnasien so etwas entstehen sollte wie ein Schulfach Berufsorientierung?
    Wollseifer: Das hat man in Baden-Württemberg ja vor und wir müssen die Berufsorientierung im Allgemeinen noch weiter verbessern. Darüber sind wir uns auch zwischen den Sozialpartnern klar, darüber sind wir uns auch mit der Agentur für Arbeit im Klaren. Wir wollen das jetzt gemeinsam angehen, zum Beispiel an den Gymnasien. Dort darf es nicht nur eine Studienberatung geben, dort muss es auch eine berufkundliche Beratung in Zukunft geben. Wir müssen die Jugendlichen über das komplette Angebot der beruflichen Bildung, auch der akademischen Bildung informieren, damit sie eine möglichst breite Entscheidungsgrundlage haben.
    Barenberg: Nun werden wir alle zusammen am Rückgang der Zahl der Schüler nicht so arg viel ändern können. Lassen Sie uns zum Schluss noch über die Frage sprechen, inwieweit Flüchtlinge, Zuwanderer diese Lücke füllen können aus Ihrer Sicht.
    Wollseifer: Wir beschäftigen ja in der Ausbildung mittlerweile rund tausend junge Leute, die aus Kriegsgebieten kommen, also Schutzbedürftige, und unsere Betriebe und auch die Handwerksorganisationen, die Handwerkskammern, die Kreishandwerkerschaften im Land, die bemühen sich sehr darum. Wir werden mit Sicherheit nicht die Ausbildungslücke damit schließen können, auch nicht die Facharbeiterlücke. Es gibt auch keinen Verdrängungswettbewerb zwischen den Bewerbern. Aber es ist wieder ein kleiner Mosaikstein, dass wir noch mehr Auszubildende in den Betrieben haben, und später, wenn sie denn gut ausgebildet sind - darum bemühen wir uns ja auch -, gute Facharbeiter. Und da kämpfen wir natürlich darum, dass die dann auch hier bei uns in den Betrieben bleiben dürfen, zunächst mal für die Dauer der Ausbildung. Das muss gesichert sein
    "Ausbildung ist Investition - und die muss sich lohnen"
    Barenberg: Darauf wollte ich Sie gerade ansprechen, weil der Unions-Politiker Michael Fuchs uns vorhin im Interview gesagt hat, solche Sonderreglungen, dass gerade Azubis von der Abschiebung ausgenommen werden, das wollen wir nicht.
    Wollseifer: Ja. Ich glaube, Politik muss sich bewegen. Politik hat nicht erkannt, welche große Welle, welche große Flüchtlingswelle auf uns zugekommen ist mittlerweile. Wir als deutsches Handwerk, wir haben bereits im letzten Jahr darauf hingewiesen, dass wir offen sind für die Ausbildung junger Leute, und es ist nun mal so, dass wir Integration betreiben können, indem wir junge Leute in Arbeit bringen. Darum wollen wir uns als deutsches Handwerk bemühen. Dafür müssen wir aber auch eine Planungssicherheit haben, eine Rechtsgrundlage haben. Da muss die Politik sich bewegen und den Betrieben muss es wirklich sichergestellt sein, dass wenn sie denn einen jungen Mann, eine junge Dame in die Ausbildung nehmen, dass die dann auch für die Dauer der Ausbildung mindestens im Betrieb bleiben können. Denn Ausbildung ist Investition und die Investition, die muss sich ja dann auch wirklich lohnen, zumindest, indem dass man junge Leute dann auch zum Ausbildungsziel bringen kann. Da muss Politik noch dran arbeiten und wir hoffen da auch sehr auf das Ergebnis des Flüchtlingsgipfels im September.
    Barenberg: Vielleicht sprechen wir uns danach wieder und hören mal nach.
    Wollseifer: Gerne!
    Barenberg: Hans Peter Wollseifer heute im Deutschlandfunk live, der Präsident des Zentralverbandes des deutschen Handwerks. Danke!
    Wollseifer: Danke, Herr Barenberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.