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Ausbildungsförderung
"Stellt auf jeden Fall einen BAföG-Antrag"

Die Studierendenwerke bekommen zuletzt immer weniger BAföG-Anträge. Viele Kandidaten hätten Angst vor Schulden - müssten sie aber gar nicht haben, sagt Gottfried Krebs vom Studierendenwerk Thüringen im Dlf. Er empfiehlt jedem Schüler und Studierenden, einen Antrag zu stellen.

Gottfried Krebs im Gespräch mit Thekla Jahn | 21.08.2019
Eine Studentin sitzt allein in einem Hörsaal am Laptop
BAföG zu bekommen, lohnt sich auf jeden Fall, sagt Gottfried Krebs vom Studierendenwerk Thüringen (imago stock&people)
Seit einigen Jahren geht die Zahl der eingereichten BAföG-Anträge zurück. Das beobachtet auch Gottfried Krebs vom Studierendenwerk für Thüringen. Er nennt dafür zwei Gründe: Erstens sei die Antragstellung immer noch sehr kompliziert, das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) sehr komplex, es gebe viel abzufragen von vielen Beteiligten.
Angst vor Schulden unbegründet
Zweitens hätten viele potenzielle Antragsteller Angst vor Schulden. "Wenn Menschen Darlehen hören, stellen sich meistens die Nackenhaare auf. Welcher junge Mensch will sich schon verschulden?" Diese Sorge sei aber unbegründet, sagt Krebs. Die Förderung werde zu 50 Prozent geschenkt, die Rückzahlung der anderen Hälfte sei gedeckelt. Wer die monatliche Mindestrate wähle, muss demnach maximal 77 Raten à 130 Euro leisten.
"Das muss man auch immer wieder geradezu gebetsmühlenartig sowohl Eltern als auch Antragstellern nahebringen", sagt Krebs. "Denn wenn man nicht zurückzahlenh kann, dann kommt kein Gerichtsvollzieher, nichts, dann muss man nicht zurückzahlen."
"Wir sagen: Stellt auf jeden Fall einen BAföG-Antrag"
Der Abteilungsleiter für Studienfinanzierung beim Thüringer Studierendenwerk empfiehlt daher jedem jungen Menschen in Ausbildung, einen BAföG-Antrag zu stellen, zum Schuljahresbeginn im August beziehungsweise zum Semesterbeginn im Oktober. Der BAföG-Höchstsatz wird mit der jüngsten Gesetzesnovelle angehoben - bis nächstes Jahr steigt er schrittweise von bislang 735 Euro auf dann 861 Euro. Doch auch wer nur zehn Euro Ausbildungsförderung erhalte, für den könne sich der Aufwand lohnen, findet Krebs. Damit sei der Empfänger nämlich auch von den monatlichen 17,50 Euro Rundfunksbeitrag befreit.

Das Interview in voller Länge:
Gottfried Krebs: Da wir das Monatsprinzip im BAföG haben, das heißt also, dass ich erst ab dem Monat, in dem ich den BAföG-Antrag einreiche, auch den Anspruch habe, egal, wann darüber entschieden wird, ist es natürlich notwendig, dass Schüler und Studierende so schnell wie möglich den BAföG-Antrag einreichen. Für Schüler geht das jetzt eigentlich auch schon ab August, weil BAföG wird immer für ein Schul- oder ein Studienjahr geleistet, das Schuljahr beginnt üblicherweise schon im August, sodass also jetzt die Schüler den BAföG-Antrag stellen müssen, um ab August auch die Ansprüche zu haben. Bei Studenten gilt es, wenn es um einen neuen Antrag geht: Die müssen den dann spätestens im Oktober einreichen.
Thekla Jahn: Ich kann mir vorstellen, dass Sie jetzt in so einer Art Hauptantragsphase stecken, viele Studenten, die Anträge stellen. Es wird möglicherweise dazu kommen, dass der eine oder andere vielleicht, der studiert an der Universität, im Oktober noch keine Bewilligung hat. Kann das sein?
Krebs: Sie sagen es richtig. Wir haben da, weil üblicherweise die Studenten und Studentinnen zum Wintersemester ein Studium aufnehmen, jetzt die Hauptantragsphase. Die gesetzliche Vorgabe ist, dass zirka zwei Monate nach der Antragsstellung das erste Geld fließen muss.
Jahn: Und wenn dem nicht so ist?
Krebs: Also ich muss innerhalb von zwei Monaten an sich entscheiden als BAföG-Amt. Kann ich das nicht, weil noch Unterlagen fehlen, weil ich mit der Bearbeitung einfach im Rückstand bin, dann muss aber auf jeden Fall eine Abschlagszahlung kommen, dass gewährleistet ist, dass die Studenten zu Beginn ihres Studiums – vorausgesetzt natürlich, die haben rechtzeitig einen BAföG-Antrag gestellt – nicht ohne Förderung dastehen.
Jahn: Der Höchstsatz, so ist es in der Novelle vorgesehen, steigt von 735 auf 861 Euro im Monat, aber das nicht sofort. Wie kann man da durchblicken? Wann bekommt man mehr?
Krebs: Also die BAföG-Novelle, die 26., sieht eine Änderung des BAföG in drei Schritten vor, und im ersten Schritt wird das BAföG auf einen Höchstsatz von 853 Euro jetzt im Jahre 2019 angehoben. Der zweite Schritt, Anhebung auf 861 Euro im Maximalbetrag, ist dann für nächstes Jahr vorgesehen. Bei den Freibeträgen ist es sogar noch etwas komplizierter: Da haben wir einen ersten Schritt jetzt, einen zweiten Schritt mit der Anhebung der Freibeträge vom Einkommen der Auszubildenden und vom Einkommen der Eltern, Ehegatten oder auch Lebenspartner. Da ist es also so, dass wir den ersten Schritt dieses Jahr gehen, den zweiten Schritt nächstes Jahr, und sogar einen dritten Schritt im Jahre 2021.
"BAföG ist leider an der Stelle ein kompliziertes Gesetz"
Jahn: Aha. Warum so kompliziert?
Krebs: Das können wir nur vermuten. Wir haben 2021 die nächste Bundestagswahl, und es ist schöner, in dieser Zeit noch auf eine Erhöhung zurückzugucken, als wenn man sagen muss, die letzte Aktion der Bundesregierung hat im Jahre 2019 stattgefunden. Das ist aber, wie gesagt, nur eine Mutmaßung.
Jahn: Kommen wir noch mal auf die Einkommensgrenzen, die Sie angesprochen haben, die Einkommensgrenzen für das Einkommen, das eigene, das des Ehepartners und das der Eltern. Können Sie da Zahlen nennen? Kann man sich da in irgendeiner Weise orientieren?
Krebs: Ja, beim Einkommen des Auszubildenden gibt es also eine kleine Einkommensgrenze, die liegt aktuell noch bei zirka 5400 Euro im Jahr. Beim Einkommen der Eltern haben wir aktuell einen Freibetrag von 1715 Euro monatlich und der steigt eben in drei Schritten bis im Jahre 2021 auf 2000 Euro monatlich. Wohlgemerkt: Das ist dann Abzug vom Einkommen nach Steuern.
Jahn: Insofern kann man da dann natürlich nicht sagen, wie es mit dem Bruttoeinkommen aussieht.
Krebs: Nein. Das ist ein großes Problem für uns auch in der Beratung, weil wir selbstverständlich immer wieder nach festen Einkommensgrenzen gefragt werden. Das BAföG ist leider an der Stelle ein kompliziertes Gesetz. Aufgrund vielfältiger Freibeträge, sprich, wie viele Kinder sind da, in was für einer Ausbildung befinden die sich, habe ich eventuell noch Kosten aufgrund einer Scheidung, habe ich noch Eltern, die ich mit versorgen muss und so weiter, und so fort, ist es uns schlichtweg unmöglich, zu sagen, zum Beispiel ab 50.000 Euro brutto gibt es keinen Anspruch mehr. Wir sagen sogar: Stellt zu Beginn des Studiums auf jeden Fall mal einen BAföG-Antrag, selbst wenn …
Antrag mit persönlicher Beratung stellen
Jahn: Jeder Student?
Krebs: Jeder Student an sich, denn selbst wenn der Betrag nur sehr niedrig ist, der dabei rauskommt, wenn ich also nur 10 Euro monatlich bekomme, das ist unser Mindestbetrag, rechtfertige ich dadurch schon einen Antrag auf Erlass von den Rundfunkgebühren zum Beispiel.
Jahn: Wenn man einen Antrag stellt und am besten einen Antrag mit persönlicher Beratung, dann hat das viele Vorteile. Es gibt aber auch die Möglichkeit, einen Online-Antrag zu stellen. Da gab es zeitweise massive Probleme. Wie sieht das jetzt da aus, auf diesem Feld?
Krebs: Auf diesem Feld, muss man sagen, treibt der Föderalismus in Deutschland leider noch seine Blüten. So haben wir jetzt in Thüringen seit diesem Jahr endlich auch einen Antrag zur Verfügung, aber der dient nur der Antragsstellung für ein Studium in Thüringen. Von der Situation, dass es einen Online-Antrag für ganz Deutschland gibt, sind wir leider noch einige Jahre entfernt. Deswegen können wir an der Stelle nur sagen, dass man je nach Bundesland schauen muss, was für Möglichkeiten der Online-Antragsstellung bestehen.
Jahn: Das ist eine eher traurige Antwort, muss man sagen.
Krebs: Ja, das ist leider so.
Jahn: Das Ziel dieser BAföG-Novelle ist, so hat es die Bundesbildungsministerin Karliczek gesagt, mehr Menschen staatliche Unterstützung anbieten zu können, damit sie studieren können, ihre Ausbildung machen können. Ist dieses Ziel Ihrer Ansicht nach erreicht?
Krebs: Wie sagt man so schön: Das wird sich herausstellen. Denn wir haben folgendes Problem: Wir haben die letzte grundlegende Reform der Ausbildungsförderung im Jahre 2001 gehabt. Seitdem wird in mehreren aber auch sehr kleinen Schritten gestückelt. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass leider für viele Studierende und vor allen Dingen auch von deren Eltern das BAföG nicht mehr als verlässliche Finanzierungsquelle wahrgenommen wurde.
Jahn: Wird sich das ändern?
Krebs: Wir hoffen es. Die Schritte, die jetzt getan wurden, das muss man ganz klar sagen, sind nicht klein. Es wurde beim Bedarfssatz und auch bei den Freibeträgen durchaus spürbar nachgebessert, auch beim Freibetrag vom Vermögen, was allerdings erst nächstes Jahr in Kraft treten wird, sodass wir durchaus hoffen, dass sich dies auch bei den Studenten und Studentinnen und ihren Eltern rumspricht, dass man doch wieder auf dieses Mittel zurückgreifen darf.
Jahn: Was ist denn für Sie aus Ihrer Erfahrung heraus der Hauptgrund, weshalb die Antragsstellung bei BAföG zurückgegangen ist?
Krebs: Wir sehen diese Entwicklung seit 2016, dass es immer stärker zurückgeht.
Angst vor Verschuldung
Jahn: Und was hat das für Gründe?
Krebs: Die Gründe liegen zum einen darin, dass die BAföG-Antragstellung noch immer sehr kompliziert ist, trotz Online-Antrag und allem. Wir haben leider ein sehr kompliziertes Gesetz mit vielen Beteiligten, haben sehr viel abzufragen. Das ist also der eine Grund. Der andere Grund ist, dass viele Studenten und Studentinnen die Angst vor Verschuldung haben. Jetzt muss man natürlich wissen: BAföG wird zu 50 Prozent geschenkt, ist es Zuschussleistung, und zu den anderen 50 Prozent als Darlehen geleistet. Und wenn Menschen Darlehen hören, dann stellen sich meistens schon die Nackenhaare auf, weil welcher junge Mensch will sich schon verschulden?
Jahn: Aber es gibt ja so eine Deckelung beim BAföG, die liegt ja, glaube ich, bei 10.000 Euro, das ist geblieben.
Krebs: Das ist jetzt auch noch verbessert worden. Es gibt eine Rückzahlungsrate von 130 Euro monatlich, und derjenige, der jetzt BAföG-Leistungen erhält, muss maximal 77 Monatsraten zurückzahlen. Macht der die Maximalrate von 130 Euro, kommen, klar, diese 10.010 Euro zustande. Muss er weniger zurückzahlen, weil seine Einkommenssituation nichts anderes erlaubt, dann ist er auch nach diesen 77 Monatsraten fertig mit der Rückzahlung. Das heißt, er kann selbst diese Deckelungsbeträge unterschreiten. Wir sagen immer: BAföG ist auch nachlaufend in der Zeit der Darlehensrückzahlung eine Sozialleistung, nur das muss man auch immer wieder geradezu gebetsmühlenartig sowohl den Eltern als auch vor allen Dingen den Antragsstellern nahebringen. Man braucht keine Angst vor Verschuldung zu haben, denn wenn man nicht zurückzahlen kann, da kommt kein Gerichtsvollzieher, nichts, dann muss man nicht zurückzahlen.
Jahn: Das heißt, Sie plädieren dafür, sofort möglichst schnell einen BAföG-Antrag zu stellen, allen Studierenden, allen Azubis, allen Schülern.
Krebs: Auf jeden Fall.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.