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Ausbildungsmarkt
"Weg von der Bestenauslese"

Etwa 194.000 Lehrstellen sind in Deutschland unbesetzt - gleichzeitig finden Tausende Jugendliche keinen Ausbildungsplatz. Deshalb sollten Betriebe mit Dienstleistern unterstützt werden, die unter anderem Ausbildungspläne aufstellen, sagte Bildungsfachmann Matthias Anbuhl vom DBG im Deutschlandfunk.

Matthias Anbuhl im Gespräch mit Benedikt Schulz | 21.07.2014
    Zwei Stapel mit Abschluss-Zeugnissen liegen auf einem Tisch.
    "Ich würde das für zu einfach halten, die Schuld aufs Schulsystem zu schieben." (picture alliance / dpa / Stefan Hähnsen)
    Benedikt Schulz: In Kürze beginnt das neue Ausbildungsjahr. Die Bundesagentur für Arbeit hat jetzt neue Zahlen veröffentlicht und weist damit auf ein Problem hin, das eigentlich längst bekannt ist: In Deutschland sind noch immer knapp 194.000 Lehrstellen unbesetzt, und gleichzeitig finden zahlreiche Jugendliche keinen Ausbildungsplatz. Besonders heikel sieht es derzeit bei den Handwerksbetrieben aus, da sind derzeit noch rund 30.000 Plätze zu vergeben. Und selbst der Wissenschaftsrat – der hat mit Berufsausbildung ja eigentlich nichts am Hut –, selbst der hat im Frühjahr gefordert, hier endlich gegenzusteuern, weg von der jahrelang politisch gewollten Akademisierung. Das Missverhältnis ist also bekannt, es wird nur offensichtlich immer dramatischer. Und darüber spreche ich jetzt mit Matthias Anbuhl, Leiter der Abteilung Bildungspolitik und Bildungsarbeit beim Deutschen Gewerkschaftsbund. Herr Anbuhl, ich grüße Sie!
    Matthias Anbuhl: Ich grüße Sie, Herr Schulz!
    Schulz: Warum finden Ausbildung und Auszubildende nicht zueinander?
    Anbuhl: Ja, in der Tat sprechen Sie ja eine sehr paradoxe Situation auf dem Ausbildungsmarkt an, das heißt, auf der einen Seite haben wir eine zunehmende Zahl von Ausbildungsplätzen, die nicht besetzt werden können – am Ende waren es im vergangenen Jahr 33.000 –, und wir haben eine zunehmende Zahl von Jugendlichen, die unversorgt bleiben – das waren im Ende des vergangenen Jahres 84.000 Jugendliche. Und da gibt es verschiedene Gründe. Zunächst mal müssen wir feststellen, dass der Ausbildungsmarkt nach Regionen und nach Branchen sehr, sehr zersplittert ist, das heißt, wenn man schaut, welche Branchen eigentlich ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen können, dann sind das vorwiegend die Hotel- und Gastronomiebranche und dann ist es vorwiegend auch das Lebensmittelhandwerk am Ende. Und das sind in der Tat auch Branchen, von denen wir seit Jahren wissen, dass sie sehr hohe Abbrecherquoten haben, sehr hohe Misserfolgsquoten bei den Abschlussprüfungen, dass die Jugendlichen sehr stark über die Ausbildungsqualität klagen, und da haben wir es auch mit einem Qualitätsproblem zu tun.
    Schulz: Die Betriebe selbst verweisen aber immer wieder gerne drauf, dass die Bewerber einfach nicht qualifiziert genug sind. Liegt die Schuld dann nicht am Schulsystem?
    Die Betriebe bei der Ausbildung unterstützen
    Anbuhl: Also ich würde das für zu einfach halten, die Schuld aufs Schulsystem zu schieben. Letzten Endes, wenn man schaut, wer Bewerber ist, dann durchlaufen die Bewerber ein Profiling bei der Bundesagentur für Arbeit nach dem Kriterienkatalog Ausbildungsreife. Und diesen Kriterienkatalog haben die Arbeitgeberverbände mit entwickelt, und die Jugendlichen, die unversorgt sind, und das sind ... Sie haben eben gesagt, zur Zeit sind 194.000 Ausbildungsplätze unbesetzt, wenn man auf die Jugendlichen schaut, haben wir 240.000 unversorgte Bewerber, und die wurden alle von der Bundesagentur für Arbeit als ausbildungsreif deklariert nach den Kriterien, die die Arbeitgeberverbände mit entwickelt haben. Insofern kann man jetzt, glaube ich, nicht einfach auf die Schule zeigen. Sicherlich muss da bei der Berufsorientierung einiges besser werden und sicherlich zeigen auch die Pisa-Studien immer wieder noch Handlungsbedarf auf, aber das allein reicht nicht. Die Wirtschaft muss auch mehr ausbilden und vor allen Dingen weg von der Bestenauslese kommen. Dort, wo Probleme sind, haben auch die Betriebe die Verantwortung, sich drum zu kümmern, aber wir auch als DGB sagen, man muss auch die Betriebe dabei unterstützen, bei der Ausbildung, gerade, wenn sie leistungsschwächere Jugendliche haben. Und wir stellen uns vor, dass man zum Beispiel eine assistierte Ausbildung als Regelförderung verankert, indem eben den Betrieben ein Dienstleister zur Seite gestellt wird, der einerseits den Betrieben bei der Auswahl der Jugendlichen hilft, der ihnen auch hilft, einen betrieblichen Ausbildungsplan aufzustellen, das heißt, die Ausbildung im Betrieb konkret zu gestalten, der aber auch die Jugendlichen auf die Ausbildung vorbereitet und ihnen auch, wenn nötig, Nachhilfe organisiert. Und ich denke, dieses Modell ist sehr, sehr wichtig und könnte ein Weg dafür sein, dass wir dies Passungsproblem, das heißt, dass Jugendliche und Betriebe immer weniger zusammenfinden, lösen können.
    Schulz: Sprechen wir noch ein anderes Modell an: Wirtschaft und Bundesregierung wollen jetzt den Ausbildungspakt weiter verlängern und wenn es nach Bundeskanzlerin Angela Merkel geht, verlängern mit Ihnen. Werden Sie dabei sein?
    Anbuhl: Nun, die Bundesregierung hat ja in ihrem Koalitionsvertrag gesagt, dass sie den Ausbildungspakt, den sie bisher exklusiv mit den Arbeitgeberverbänden geschlossen hat, zu einer Allianz für Aus- und Weiterbildung weiterentwickeln werden wollen, an der auch die Gewerkschaften beteiligt werden, und sie haben da vier konkrete Ziele genannt, nämlich die Umsetzung der Ausbildungsgarantie in Deutschland – das heißt, Warteschleifen sollen abgebaut werden –, den Ausbau der assistierten Ausbildung, die ich eben erwähnt habe, und den Ausbau von ausbildungsbegleitenden Hilfen, und man möchte die Ausbildungsqualität steigern. Und das sind aus unserer Sicht vernünftige Ziele. Allerdings muss man sagen, wir führen jetzt gerade Verhandlungen mit Wirtschaftsverbänden, mit Bundesregierung, die noch in den Kinderschuhen stecken. Das heißt, ob man wirklich eine belastbare Einigung bekommt, die die Situation der Jugendlichen verbessert, das wissen wir noch nicht, und das wird für uns der entscheidende Gradmesser sein. Schaffen wir es wirklich, die Situation der Jugendlichen zu verbessern? Mit einer rein freiwilligen Selbstverpflichtung, wie es sie bisher im Ausbildungspakt gegeben hat, kommen wir nicht weiter, denn wir können ja schon feststellen: Obwohl es zehn Jahre den Ausbildungspakt gab, haben wir mittlerweile die niedrigste Ausbildungsvertragszahl seit der deutschen Einheit und auch den niedrigsten Stand an Ausbildungsbetrieben seit 1999. Denn nur noch jedes fünfte Unternehmen bildet aus und das können wir uns einfach nicht mehr leisten.
    Schulz: Sagt Matthias Anbuhl, zuständig für Bildung beim Deutschen Gewerkschaftsbund. Vielen Dank, Herr Anbuhl!
    Anbuhl: Ich bedanke mich, Herr Schulz!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.