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Passionsspiele
Polens berühmteste Palmsonntagsprozession

Wen es am Sonntag vor Ostern hierher verschlägt, der glaubt sich in die Zeit von Jesus Christus versetzt: In der Kleinstadt Kalwaria Zebrzydowska finden Polens berühmteste Passionsspiele statt. Tausende von Schaulustigen kommen jedes Jahr, um beim Einritt Jesus nach Jerusalem dabei zu sein.

Von Markus Nowak | 14.04.2019
Kalwaria Zebrzydowska heißt die polnische Stadt, in der die berühmten Passionsspiele stattfinden. 14. April 2017
Die berühmten Passionsspiele in Kalwaria Zebrzydowska beginnen am Sonntag vor Ostern mit dem Einritt nach Jerusalem. Am Karfreitag wird der Kreuzigung Jesu gedacht. (imago / ZUMA Press / Artur Widak)
Dichtes Gedränge herrscht auf der sonst so breiten Straße, die vom Ortskern hinaufführt zum Bernhardinerkloster. Ordner riegeln die Hunderte Schaulustigen an den Straßenrand ab, um in der Mitte die besondere Kolonne ziehen zu lassen: Kinder mit Palmzweigen gehen voran, hinter ihnen ältere Männer in langen Umhängen, die wie aus biblischen Zeiten wirken. Dazwischen reitet ein junger Mann mit Bart und einem Langhaartoupet auf einem Esel. Ganz so, als wäre Jesus aus einem dieser typischen Sakralgemälde herausgeklettert.
Was wie eine Szene aus einem Kostümfilm aussieht, spielt sich jährlich ab in der Ortschaft Kalwiaria Zebrzydowska, rund eine Autostunde südlich von Krakau. Jesus, gefolgt von seinen Aposteln und gesäumt von Tausenden Schaulustigen, reitet auf einem Maultier ein. Ganz, wie in der Bibel, sagt Pater Konrad Cholewa, Oberer der ein Dutzend Bernhardiner, wie die braungekleideten Franziskaner in Polen üblicherweise genannt werden.
"Die Passionsspiele in Kalwaria gehen zurück auf das 17. Jahrhundert. Später, in der Hälfte des letzten Jahrhunderts, hat ein Pater ein neues Drehbuch geschrieben, an das wir uns auch noch heute halten. Ich sehe es als ein Mit- und Nacherleben der Leidensgeschichte Christi. Die Menschen können hier hautnah sehen, was vor 2000 Jahren passiert ist."
Längst kein Geheimtipp mehr
Längst ist die bunte Inszenierung kein Geheimtipp mehr: Rund 150.000 Schaulustige kommen in der Karwoche von Palmsonntag bis Ostersonntag, um sich Polens berühmteste Passionsspiele anzusehen. Jährlich sind es gar zwei Millionen Pilger, die hierher strömen und Kalwaria Zebrzydowska zu einem wichtigen Wallfahrtsort zwischen Oder und Bug machen.
Schon im Jahre 1601 ließ der Krakauer Woiwode Mikołaj Zebrzydowski hier auf dem Berg Żarek ein kleines Gotteshaus nach dem Vorbild der Golgota-Kapelle bauen. Er glaubte eine Ähnlichkeit mit Jerusalem auszumachen. Der Hügel Żarek wurde zu Golgatha umbenannt, eine weitere Anhöhe in Ölberg und der Fluss Skawinka heißt seitdem Cedron. Allesamt biblische Namen. 1609 wurde das Bernhardinerkloster gebaut und weitere von Jerusalem inspirierte Kapellen. Als die UNESCO vor 20 Jahren die Anlage zum Weltkulturerbe erklärte, bezeichnete sie es als "Kulturlandschaft von großer Schönheit und geistiger Bedeutung". Eine passende Kulisse, findet Pater Konrad Cholewa. Wobei er ein Wort meidet:
"Das ist kein Theater. Was hier stattfindet ist Liturgie, die mit Szenen aus der Passion verbunden wird. Es geht dabei nicht nur um die Passionsgeschichte. Denn schließlich sehen es nur diejenigen, die wirklich an am Geschehen sind. Die meisten kommen zum Gebet, um das Wort Gottes zu hören oder in sich zu gehen. Das ist der Geist des Ortes."
Geistliche als Schauspieler
Den Geist einer Inszenierung bilden Schauspieler. Mehrere Dutzend wirken beim Palmsonntag in Kalwiaria mit. Von jungen Statisten, die nur mit Palmzweigen wedeln, über gestandene Herren, die in lange Roben steigen und die Apostel mimen, bis hin zu Jesus persönlich. Dieser wird immer von einem jungen Kleriker aus dem Bernhardiner-Seminar gespielt und darf leider keine Interviews geben. Redseliger gibt sich da der 66-jährige Janek, der den Jünger Matthäus spielt. Lebenslänglich, wie er sagt.
"Derjenige, der meine Rolle vorher hatte, ist verstorben. Ich war 2002 hier, um eine Messe zu bestellen, und der damalige Prior, heute übrigens Krakauer Weihbischof, hat mich bemerkt und sagte: Herr Jan, unser Schauspieler ist Tod. Sie sind ab diesem Jahr unser neuer Apostel. Daraufhin bin ich zu einer Statue der Muttergottes, habe ihr gedankt und angefangen zu weinen.
Für Tränen oder etwa Angstschweiß bleibt aber keine Zeit. Auch nicht für eine Probe der Schauspieler, die aus dem ganzen Land anreisen. Er selbst kommt aus Oberschlesien, wo er 40 Jahre in einer Eisenhütte gearbeitet hat. Der Text muss sitzen. Ohnehin hat Janek heute nur einen Satz zu sagen und die ganzen Menschen kommen nicht seinetwegen.
"Der Glaube bringt alle hierher. Ich hatte das Glück, einmal dahin zu reisen, wo Jesus geboren wurde und das alles stattfand. Ich war im Heiligen Land. Und wir waren auch bei einem Kreuzweg und haben die Passionsgeschichte dort gesehen. Aber solch einen Weg, den man hier in Kalwiaria erlebt, gibt es nicht anders."