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Auschwitz-Prozess
"Endlich ein menschliches Wort"

Vor fünfzig Jahren begann der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess, angeklagt waren 22 ehemalige Bewacher des Konzentrationslagers. Schon zuvor mussten die Ankläger massive Widerstände überwinden.

Von Conrad Lay | 20.12.2013
    Ein Gerichtssaal ist bis zum letzten Platz besetzt.
    Im Plenarsaal der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung wurde vor 50 Jahren der Auschwitz-Prozess eröffnet. (picture alliance / dpa / dpa team)
    "Wir sind in Auschwitz-Birkenau ausgestiegen. Der SS-Unteroffizier sagte noch uns: 'Ich werde euch führen in einen sehr schönen Platz'", sagt der Zeuge Rudolf von Sebestyén.
    "Nach einem viertägigen Transport kam ich nach Auschwitz", erzählt der Zeuge Walter Löbner.
    "Es waren ja nun vielleicht einige Tausend SS-Angehörige da", ergänzt der Zeuge Karl Broch.
    "Der Transport ist eingefahren und da war ein Leutnant oder Oberleutnant, der hat das gemeldet: Transport, sagen wir mal von Rumänien, Ungarn oder Holland, Stärke mit 1.200 oder 1.500 soundso. Die Postenkette stand, und anschließend war der Arzt dabei gewesen", sagt der Angeklagte Oswald Kaduk.
    "Diese ganze Rampe, das war ja das Herz sozusagen von Auschwitz. Wenn das dort nicht klappte, klappte gar nichts. Man musste ja die Leute freiwillig in die Gaskammern hereinbringen und in Unwissenheit, mit List. In dem Moment, wo sie draußen waren, da haben sie gesagt: 'Verboten zu sprechen.' Die haben Angst gehabt, dass manche der Männer sehen konnten, dass da etwas nicht stimmt", schildert der Zeuge Rudolf Vrba.
    "Der Arzt hat sie angesehen, und dann ging es nach links, nach rechts, nach links, nach rechts", beschreibt der Angeklagte Oswald Kaduk.
    18 Jahre nach Kriegsende begann der Prozess
    Weihnachtmusik. Vor dem Frankfurter Rathaus "Römer" dreht sich ein Karussell im Kreise; Duft nach gerösteten Mandeln steigt auf; leuchtende Kinderaugen bestaunen die Weihnachtskrippe. Während sich die Menschen draußen auf dem Weihnachtsmarkt vergnügen, geht es drinnen im Saal der Stadtverordneten um Vergasung, Folterung, Vernichtung. Wir schreiben den 20. Dezember 1963. Erst 18 Jahre nach Kriegsende beginnt mit dem 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess die öffentliche Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Bis dahin war Auschwitz ein weißer Fleck in der kollektiven Erinnerung. Im "Land der Täter" schien es keine Auschwitz-Täter zu geben. An diesem 20. Dezember 1963 stehen sich SS-Männer und ihre Opfer zum ersten Mal seit 1945 gegenüber.
    "Ich denke, dass der Auschwitz-Prozess gesellschaftlich eine wichtige Weichenstellung markiert", sagt Norbert Frei, Historiker an der Universität Jena. "Das war ja auch das Ziel, das Fritz Bauer verfolgt hat, eine Selbstaufklärung der deutschen Gesellschaft über das, was da 'im Osten', wie man sagte, geschehen war."
    'Auschwitz' wird zur Chiffre für den Holocaust. Der Initiator des Prozesses, der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, hatte eines seiner Ziele erreicht. Schriftsteller wie Peter Weiss und Horst Krüger, Journalisten wie Axel Eggebrecht, Berichterstatter aus dem In- und Ausland - sie alle sorgen dafür, dass der Frankfurter Auschwitz-Prozess eine große Öffentlichkeit bekommt. Norbert Frei:
    In einem vollbesetzten Gerichtssaal steht der Angeklagte Oswald Kaduk.
    Die Angeklagten Oswald Kaduk (stehend) und Victor Capesius (mit dunkler Brille) (picture alliance / dpa / Roland Witschel)
    "Das war im Grunde genommen das Neue. Natürlich hatte auch der Eichmann-Prozess eine publizistische Resonanz und eine Resonanz in den Tageszeitungen in Deutschland gebracht, aber im Unterschied zu damals war es jetzt wirklich so, dass Korrespondenten der großen Zeitungen, ich denke insbesondere an die Frankfurter Allgemeine Zeitung, sehr qualitätsvoll, sehr gehaltvoll Tag für Tag aus dem Gerichtssaal berichtet haben."
    Rund drei Jahre zuvor: Die Olympischen Spiele 1960 in Rom. Zu den Siegern in der deutschen Mannschaft gehört auch Rolf Mulka. Der zweifache Weltmeister im Flying-Dutchman ist etwas enttäuscht. Er muss sich mit einer Bronzemedaille zufriedengeben. Zu Hause in Deutschland bleibt Staatsanwalt Joachim Kügler auf der Sportseite der Zeitung hängen. "Gar nicht so häufig, der Name Mulka", denkt er bei sich:
    "Der Adjutant des Kommandanten von Auschwitz war ein gewisser Herr Mulka, und der war für mich unauffindbar. Und dann las ich eines Tages eine Zeitungsüberschrift, die sich auf die Olympischen Spiele in Rom bezog, da war ein Herr Mulka als Sieger im Segeln genannt. Dem bin ich nachgegangen, und dann hat sich herausgestellt, dass das der Sohn jenes Mulka war, und dann fand ich ihn in Hamburg."
    Die olympische Medaille des Sohnes führt auf die Spur des Vaters. Wenige Monate nach den Wettkämpfen wird Robert Mulka verhaftet. Drei Jahre später findet vor dem Frankfurter Landgericht der Prozess gegen "Mulka und andere" statt, so der offizielle Name des Auschwitz-Prozesses. Angeklagt sind 22 Angehörige der Waffen-SS.
    Schier unvorstellbares Grauen
    "Erstens. Der Exportkaufmann Robert Karl Ludwig Mulka, geb. am 12.4.1895 in Hamburg, verheiratet, Deutscher."
    Die Verlesung der Anklageschrift scheint kein Ende zu nehmen.
    "Achtens. Im Jahre 1943 sämtliche in dem Kinderlager des Stammlagers, Keller Block L18, inhaftierten vierzig bis fünfzig Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren zur Vergasung ausgesondert und vergasen lassen."
    Was das Publikum des Prozesses zu hören bekommt - von den Zeugen, also den Überlebenden von Auschwitz, zum Teil auch von den Angeklagten -, ist eine Schilderung schier unvorstellbaren Grauens. Christian Raabe, der vor 50 Jahren als junger Jurist im Prozess als Nebenkläger auftrat, erinnert sich:
    "Was da konkret abgelaufen ist, das ist so grauenvoll, dass man sich es eigentlich nicht vorstellen kann, und vielleicht ist das auch eine Schutzfunktion des Menschen, vielleicht sollte man es sich auch nicht vorstellen, sonst wird man seines Lebens nicht mehr froh."
    "Wir sind angekommen im Nachtzeit. Die Waggonen waren nicht aufgemacht, wir warteten zwei, drei Stunden lang", erzählt der Zeuge Lajos Schlinger: "So meine ich, früh um vier, fünf hat man die Waggons aufgemacht. Es war die Hölle von Dante ein Himmel dazu, was dort geschehen ist. Männer haben geschrien, Frauen weinen, Kindern brüllen. Es war eine schreckliche Situation."
    "Wenn der Transport ist angekommen, was war eine Routine, ist sofort ein Roter-Kreuz-Wagen angekommen, wenn die Leute sind herausgestiegen", schildert der Zeuge Rudolf Vrba, 1942 als 18-Jähriger zunächst ins KZ Majdanek, dann nach Auschwitz deportiert. Dort dem Aufräumkommando an der Rampe zugeteilt. 1944 gelang ihm die Flucht aus Auschwitz:
    "Das, was der Rote-Kreuz-Wagen enthält, das wusste ich, denn bei Tag wurde er mit Zyklon-Gas verladen. Und er ist vorbeigefahren an den Leuten. Das hatte auf die Leute eine beruhigende Wirkung gehabt. Der ist vorbeigefahren und direkt in die Gaskammer, die war einen Kilometer weiter."
    "Alles ganz friedlich"
    "Na, die Vergasung müssen sie vornehmen", sagt der Angeklagte Karl Hölblinger: "Na, da sind sie eben aufs Dach gestiegen. Da sind sie eben raufgestiegen mit den Gasmasken, nicht. Na, da haben sie die Büchsen eben entleert. Soweit ich dabei gewesen bin, ist es alles ganz friedlich gewesen, ganz ahnungslos."
    "Und jetzt haben die geschrien drinnen", sagt der Angeklagte Richard Böck: "Und in dem Moment ist einer an der Leiter hinaufgestiegen zu dem runden Loch, ein SS-Mann war es, und hat da oben so gemacht, meine ich so was, und hat die Büchse da hineingehoben, und hat da so geschüttelt, es hat so geklappert, und hat dann das Türle wieder zugemacht. Und da hat es geschrien. Vielleicht zehn Minuten lang, ich weiß nicht."
    "Ich habe gesehen bei der Vergasung Hunderttausende Vergaste", erinnert sich der Zeuge Filip Müller. Der Angehörige des Sonderkommandos, das für die Leerung der Gaskammern und die Verbrennung der Leichen in den Krematorien zuständig war, ist einer von nur zehn Menschen, die das Sonderkommando überlebten:
    In einem Regal stehen zahlreiche Aktenordner.
    Unmengen an Akten waren für den Auschwitz-Prozess erforderlich. (picture alliance / dpa / dpa team)
    "Und die Menschen, bei der Vergasung, das war nicht eine Minute, das dauerte acht, zehn, auch mehr. Ja, das war doch schrecklich, wie die Menschen leiden. Auch Blut war dort, alles."
    "Es ist schwer zu sagen, wer das bessere Los gezogen hat. Denn selbst die wenigen, die schließlich überlebt haben, auch sie sind für ihr Leben gezeichnet", sagt der Zeuge Otto Wolken. "Sie haben jeder für ihr ganzes restliches Leben noch an dem zu tragen, was sie seelisch und körperlich dort erlitten haben."
    Anfang der sechziger Jahre ist das Auschwitz-Verfahren höchst umstritten. Die Frankfurter Anklagebehörde, selbst von NS-Juristen durchsetzt, ist unwillig, den Prozess zu führen und will die Angelegenheit abschieben. Dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer ist es zu verdanken, dass ein Gesamtprozess zu Auschwitz zustande kommt. Er selbst tritt in dem Verfahren allerdings nicht auf: Als KZ-Überlebender, Jude und Emigrant möchte er seine Lebensgeschichte aus der Öffentlichkeit heraushalten. Vor 50 Jahren wäre Bauer sonst von vielen als befangen angesehen worden.
    Auch zwei Richter - der eine jüdischer Herkunft, der andere ein Sohn von Pastor Martin Niemöller - werden noch vor Prozessbeginn von dem Gerichtspräsidium als befangen eingestuft und deshalb von ihren Aufgaben entbunden. Weil Bauer diese Vorbehalte kennt, beauftragt er drei junge Staatsanwälte mit der Ausarbeitung der Anklageschrift: Joachim Kügler, Georg Friedrich Vogel und Gerhard Wiese. Der heute 85-jährige Wiese erinnert sich:
    "Vogel und Kügler waren Jahrgang '26, ich '28, das heißt, er wollte junge Leute haben. Er konnte damals - ich sag mal - mit den 'alten' Kollegen nicht so gut, und da wollte er sichergehen, dass das auch junge aktive Leute in die Hand nehmen."
    Bild eines jungen Deutschlands soll gezeigt werden
    Fritz Bauer hält sich zurück: Um politische Wirkung entfalten zu können, darf der Prozess nicht sein Gesicht haben. Die drei jungen Staatsanwälte dagegen sollen das Bild eines jungen Deutschland verkörpern, das keinesfalls an Rache, sondern an der Zukunft des Landes interessiert ist.
    Als junger, unbelasteter Jurist habe er, so berichtet Gerhard Wiese, zwar schon einmal Bilder von KZ-Häftlingen gesehen, ansonsten aber sei er 'in ein wildes Wasser geworfen' worden:
    "Aber die Kollegen haben mich sehr gut eingewiesen, es war wunderschön vorbereitet. Es gab damals noch die Institution es Untersuchungsrichters. Bei Kapitalverbrechen musste vor Anklageerhebung eine gerichtliche Voruntersuchung stattfinden, das hat der Dr. Düx gemacht, der hat das sehr schnell und sehr gut gemacht, fünfviertel Jahre bei dem Komplex! Erstaunliche Leistung! Dadurch war eigentlich das äußere Gerüst, wie es dann weitergehen sollte, schon festgelegt, und ich hab dann die Beschuldigten Boger und Kaduk - dafür die Anklage gefertigt."
    Ähnlich wie Fritz Bauer stößt auch Untersuchungsrichter Dr. Heinz Düx beim Landgericht Frankfurt auf massiven Widerstand. Es werden an ihn sogar 'Anregungen' herangetragen, den Gesamtprozess scheitern zu lassen. Auch mit 89 Jahren hat er dies nicht vergessen:
    "Und zwar traten zwei Richter an mich heran, einer war tätig in der Verwaltung des Landgerichtes, und sie handelten ja an und für sich gegen das, was Bauer durchgesetzt hatte, dass es ein Gesamtverfahren geben sollte. Die taten dann natürlich so, als ob auf mich eine ungeheure Arbeitslast zukäme mit diesem Riesenverfahren und sagten, ich solle doch intensiv prüfen, ob man das Verfahren nicht wieder auseinandernehmen könne. Das waren zwei Richter vom Landgericht. Einer war in der Justizverwaltung tätig; soweit ich weiß, war der früher HJ-Führer gewesen."
    Der Unwille der Justiz geht so weit, dass bei Haftprüfungsterminen die Glaubwürdigkeit der Zeugen, also der Überlebenden von Auschwitz, infrage gestellt und sie als Lügner dargestellt werden. Untersuchungsrichter Düx:
    "Ein Richter, ein Assessor, der hat mich informiert, dass bei Haftprüfungsterminen diese Haftprüfungskammer, hauptsächlich der Vorsitzende, den Standpunkt vertreten hätte, als ob alle Zeugen, also diese früheren Häftlinge aus dem Konzentrationslager, als ob das alles Lügner seien."
    Um die Zeugenaussagen zu überprüfen, unternimmt Untersuchungsrichter Düx eine sogenannte 'Privatreise' nach Auschwitz:
    "Also ich hatte einen Antrag gestellt auf Genehmigung einer Dienstreise, der wurde erst mal liegen gelassen, und eine förmliche Genehmigung ist nie erteilt worden. Ich bin dann einfach unter der Hand selbst hingefahren, allerdings die Kosten der Reise sind mir erstattet worden."
    Als Düx in Auschwitz ankommt, wird dort gerade ein Film gedreht:
    "Ich traute meinen Augen nicht, da liefen Komparsen rum in SS-Uniformen, mit Wachhunden, es wirkte so, als ob noch die NS-Zeit im Gange gewesen wäre. Ich hab dann festgestellt, in Birkenau zur Sola hin, das ist ein kleiner Fluss, der fließt durch Auschwitz, in dem Uferbereich, bevor die Verbrennungen stattfanden, wurden da glaub ich die Leichname im Auenbereich der Sola abgelagert. Da hatte ich mal einen dicken Grasbüschel herausgezogen, kam gleich ein Menschenknochen mit hervor. Es war sehr beeindruckend, was man da zu sehen bekam. Ich hab ja in dem Kommandantenzimmer von dem Höß bzw. dem Baer habe ich ja zwei Nächte in Auschwitz geschlafen. Und von dem nahen Rangierbahnhof hörte man dann während der Nacht die Lokomotiven pfeifen, es war ja damals noch Dampflok-Betrieb, da wurde man zwangsläufig an die einlaufenden Transporte erinnert, die Juden-Transporte."
    Das Gericht reist selbst nach Auschwitz
    Die Zeugenaussage von Untersuchungsrichter Düx über seine Eindrücke vor Ort führt dazu, dass das Gericht den Tatort selbst in Augenschein nehmen will. Nebenkläger Christian Raabe fährt mit nach Auschwitz:
    "Es war sehr wichtig, dass die Augenschein-Einnahme gemacht worden ist. Die, die dort waren, waren sehr tief beeindruckt und haben auch manche Sachfragen, die in der Beweisaufnahme unklar waren, doch vor Ort besser klären können, und es war sehr wichtig."
    Nach der Besichtigung des Tatortes werden die Zeugenaussagen für die meisten nachvollziehbar, selbst die Verteidiger der Angeklagten sind beeindruckt: "Es war damals für uns wirklich Tatort. Es war eher einsam, und man konnte das Grauen noch riechen."
    Der Schauplatz der Massenvernichtung wird zu einem realen Ort. Auch Staatsanwalt Gerhard Wiese ist dabei, als Hör- und Sichtproben genommen werden:
    "Also es gab einen Bau, und zwischen dem Bau war eingeschlossen die sogenannte schwarze Wand. Da fanden Erschießungen statt. Und es gab Zeugen, die in dem Nachbarbau inhaftiert waren oder einer Beschäftigung nachgehen mussten, die sagen, wir konnten durch Ritzen sehen, was da an der schwarzen Wand passierte. Und das haben wir nachgeprüft und fanden das bestätigt. Das war für uns schon wichtig, denn auch die SS hatte nicht unbedingt gerne Zuschauer bei ihren Todesschützen. Was ein normaler Mensch sich gar nicht vorstellen kann: Da gab‘s im Gefangenenblock unten eine Zelle, wo man nur hocken konnte. Und da berichteten Häftlinge, dass sie aus diesem Loch, anders kann man das gar nicht bezeichnen, Stimmen gehört haben. Und das hat sich bestätigt. Etwas - na, ich will nicht sagen peinlich, aber - der Wachtmeister, wir hatten zwei Wachtmeister mitgenommen, der sich da unten reinzwängte, sollte Töne von sich geben, und da hat er ein Lied angestimmt, ein gutes deutsches Volkslied (lacht). Na, ich weiß es nicht mehr, 'Sah ein Knab ein Röslein stehen' oder irgend so was Ähnliches in dieser Preislage. (lacht) er hat sich halt so geholfen. Das heißt, auch andere Sachen, die dann da unten passierten, waren im Erdgeschoss und Obergeschoss zu hören, die Schreie der Häftlinge, die da gefoltert wurden.
    In einem Gerichtssaal stehen drei FRauen umringt von Sicherheitspersonal.
    Drei Geschworene kurz vor ihrer Vereidigung (picture alliance / dpa / dpa team)
    Zurück in Frankfurt streiten die angeklagten SS-Männer weiterhin die ihnen vorgeworfenen Taten ab.
    Der Angeklagte Hans Stark beteuert: "Ich habe niemals an Exekutionen und anschließender, wo ich anschließend Fangschüsse anzubringen hatte, habe ich auch niemals."
    Der Angeklagte Willy Frank sagt: "Erstens einmal hab ich auf der Rampe, ich war zwar draußen, aber selektiert habe ich nie."
    Der Angeklagte Victor Capesius, Apotheker, versichert: "Ich habe niemals mit Dr. Mengele im Lager irgendeine Tätigkeit ausgeübt."
    Massenmörder mit bürgerlichen Existenzen
    Die Massenmörder haben sich in der Nachkriegszeit bürgerliche Existenzen zugelegt: Exportkaufmann, Hauptkassierer, Eigentümer einer Apotheke, Inhaber eines Kosmetiksalons. Im Prozess stellen sie sich als Biedermänner dar. Doch resozialisiert sind sie nicht: Denn kein einziges Wort der Reue, der Sühne oder auch des Bedauerns kommt über ihre Lippen. Generalstaatsanwalt Fritz Bauer:
    "Ich muss Ihnen sagen: Die Welt würde aufatmen. Ich glaube, Deutschland würde aufatmen, und die gesamte Welt und die Hinterbliebenen derer, die in Auschwitz gefallen sind. Und die Luft würde gereinigt werden, wenn endlich mal ein menschliches Wort fiele. Es ist nicht gefallen, und wird auch nicht mehr fallen."
    Am 19. August 1965 fällt das Landgericht Frankfurt sein Urteil: sechs lebenslange Zuchthausstrafen, eine zehnjährige Jugendstrafe, zehn Freiheitsstrafen zwischen dreieinhalb und 14 Jahren. Drei Angeklagte werden freigesprochen. Da das Frankfurter Gericht auf die Einzeltaten der Angeklagten abstellt und nicht auf ihre Funktion im Vernichtungssystem Auschwitz, werden Exzesstäter, denen grausame, einzelne Morde zur Last gelegt werden können, härter bestraft als Mulka, der Adjutant des Kommandanten - insgesamt ein rechtspolitisch wenig befriedigendes Urteil.
    Zwar sind die Täter mit milden Strafen davon gekommen, aber der Massenmord in Auschwitz ist Teil unseres historischen Gedächtnisses geworden: Das Leugnen und Beschweigen der Angeklagten kam gegen die Wucht der Zeugenaussagen nicht an.