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Theaterintendant zu Corona-Einschränkungen
"Wir wollen sichtbar bleiben"

Für das anhaltende Verbot von Großveranstaltungen zeigt der Intendant des Berliner Ensembles, Oliver Reese, Verständnis. Doch Premieren abzusagen, das gehe gegen seine Natur, so Reese. Deshalb plant er bereits Veranstaltungen für die Zeit danach.

Oliver Reese im Gespräch mit Michael Köhler | 16.04.2020
Oliver Reese vor dem Berliner Ensemble.
"Ich übe mich sehr in Geduld in diesen Tagen" - Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles (© Katharina Poblotzki)
Michael Köhler: Nachdem sich Bund und Länder auf eine Verlängerung der Kontaktbeschränkungen mindestens bis 3. Mai geeinigt haben, kehrt der Alltag zögerlich zurück. Geschäfte mit einer Ladenfläche bis zu 800 Quadratmetern sollen ab kommender Woche wieder öffnen dürfen. Gastronomie und Sportstätten sollen weiterhin geschlossen bleiben. Friseure sollen ab 4. Mai öffnen dürfen, Großveranstaltungen bleiben bis Ende August untersagt.
Oliver Reese ist Intendant des Berliner Ensembles. Ihn habe ich gefragt: Bringen Sie Verständnis für die Schließungen, bzw. beschränkten Öffnungen auf?
Oliver Reese: Absolut. Wir sind ja in der Mehrzahl keine Virologen. Ich auch nicht, aber ich habe mich sehr mit der ganzen Frage beschäftigt. Unabhängig vom eigenen Metier, vom Theater also in meinem Falle, denke ich, dass es schon ein richtiges Vorgehen ist, diese Distanz weiter aufrecht zu erhalten. Großveranstaltungen – ich glaube, das definiert sich mit 5.000 Menschen. Das hieße also: kein Theater, keine Oper bis Ende August.
Mit der Schließung bis zu Sommerpause sind wir gedanklich schon umgegangen. Wenn das jetzt noch weiter geht, müssen wir vielleicht noch mal andere Konsequenzen ziehen. Aber ich glaube, das ist fast zu früh, darüber jetzt schon zu entscheiden – über August, September, über den Beginn der nächsten Spielzeit.
Michael Köhler: Aber wäre es jetzt nicht an Ihnen, auch dem Bühnenverein, zu klären: Was ist denn mit Großveranstaltungen gemeint? Sind das ganz große Veranstaltungen? Oder gibt es nicht auch kleine Großveranstaltungen? Ich denke, an das kleine Zimmertheater in einer städtischen Parkanlage oder sonstwo.
Oliver Reese: Ganz klar, das ist eine unglaubliche Bandbreite von Veranstaltungen. Es gibt ja sowieso für diese Theaterformen lokale Beschränkungen. Die Entscheidung trifft ja für Berlin der Berliner Kultursenator zusammen mit dem Gesamtsenat. Also, das sind nicht unbedingt Bundesentscheidungen. Insofern muss das die Politik vor Ort machen. Und die wird es uns, den Einrichtungen, zum Teil, glaube ich, in einer Art Eigenverantwortung geben, denn da gibt es ja auch wieder große Differenzierungen. Lassen Sie in einen großen Saal mit, sagen wir, 1.000 Plätzen nur 500 Leute rein, dann gelten dafür andere Bestimmungen, als wenn Sie in ein 200-Plätze-Theater 200 Leute reinlassen. Also, einfach mit Zahlen, mit Besucherzahlen kann man das, glaube ich, nicht regeln.
Bedürfnis, irgendwann wieder tätig zu werden
Michael Köhler: Ich höre daraus, Sie plädieren für örtliche, sinnvolle Lösungen, die durchaus auch zur Diskussion stellen, was eine Großveranstaltung ist.
Oliver Reese: Absolut. Also, für uns, das Berliner Ensemble, wir bereiten uns gerade darauf vor, Saalpläne zu machen, also Zuschaueranordnungen zu treffen, bei denen jeder einzelne wirklich den 1,50m um sich herum hat. Das Berliner Ensemble ist ein enges Theater, da wird jede zweite Reihe gesperrt. Auch um den einzelnen Sitz herum wird es freie Plätze geben. Es wird aber auch Plätze für Paare geben, die sowieso zusammen wohnen und auch gerne gemeinsam ins Theater gehen wollen. Dann kriegen wir ungefähr 220 Leute ins große Haus. Das ist verdammt wenig, das wird sich "nicht rechnen".
Aber als Kultureinrichtung hat man natürlich auch ein unheimliches Bedürfnis, irgendwann wieder in dem eigenen Metier tätig zu werden. Und auch den Zuschauern wieder ein Angebot zu machen. Ich glaube in der Tat, es wird nicht mit pauschalen Regelungen gehen, sondern das wird man von Einrichtung zu Einrichtung konkret entscheiden müssen.
"Unsere Aufgabe ist es, ein Theaterangebot zu machen"
Michael Köhler: Im Theater und auch im Museum kann man ja auf doppelte Weise lernen, sich zu begegnen, aber auch aus dem Weg zu gehen. Ich sage mal sehr salopp: Strindberg und Tschechow, Goethe und Ibsen, Shakespeare und Beckett, Lessing und Schiller – das sind alles Dramatiker des Social Distancing. Was sich gerade aus Ihren Worten gehört habe, klingt doch fast wie ein Wiederöffnungsplan. Sie sind innerlich doch gar nicht weit davon weg, oder?
Oliver Reese: Na, mein Beruf ist ja Theaterdirektor. Ich übe mich ja sehr in Geduld in diesen Tagen und beschäftige mich damit, eine ganze Reihe von Dingen abzusagen – nicht nur die täglichen Vorstellungen, sondern auch die Premieren, die wir für diese Saison noch geplant hatten. Das ist schlimm genug und geht total gegen mein Temperament und meine Natur.
Dass wir uns jetzt Gedanken darüber machen, wie könnten wir denn verantwortlich ein Theaterangebot machen, das ist, glaube ich, unsere Aufgabe. Und da gilt es, diese beiden Elemente zusammen zu kriegen, nämlich: Wie können die Schauspieler auf der Bühne miteinander umgehen, in welchen Stücken trotzdem "geschützt"? Also, kann man da Dinge uminszenieren, das da trotzdem eine Distanz zwischen den Schauspielern bleibt, ohne dass es deswegen langweilig wird oder die Energie verliert? Und wie können wir das für den Zuschauerraum sicherstellen? Und dann werden wir gucken, ob wir das tatsächlich in unsere Verantwortung bekommen, oder ob es pauschale Verbote oder Erlaubnisse gibt.
Vorverkauf ausgesetzt
Michael Köhler: Ich komme an den Anfang unseres Gespräches zurück. Sie haben sich aber innerlich schon auf eine längere Schließung eingestellt, oder?
Oliver Reese: Wir haben uns darauf eingestellt, dass wir bis zum Sommer – das Spielzeitende ist bei uns Ende Juno – dass wir bis dahin wohl nicht mehr Theater spielen können. Darauf haben wir uns eingestellt. Offiziell gehen wir natürlich nach den Schließungen, die das Land Berlin verhängt. Noch finden Sie auf unserer Homepage den 19. April angegeben. Wir rechnen damit, dass heute weitere Maßnahmen für Berlin verkündet werden, aber die Hoffnung, dass wir noch vor der Sommerpause wieder spielen können, die habe ich in Wirklichkeit nicht. Und wir haben deshalb den Vorverkauf bis auf weiteres ausgesetzt. Sie werden auf unserer Seite keinen Mai-Spielplan finden, obwohl wir jederzeit einen machen könnten. Es scheint mir aber, "Pferdebewegen" zu sein.
Michael Köhler: Bis dahin müssen wir uns mit Ihrer Inszenierung der "Blechtrommel" von Günter Grass online begnügen, die nämlich von Ihnen, vom Berliner Ensemble, gestreamt wird.
Oliver Reese: Das ist so bis Freitag. Und dann kommt wieder was Neues. Dann kommt "Max und Moritz" in der Regie von Antú Romero Nunes. Wir zeigen immer für eine Woche eine Inszenierung, und das werden wir auch weiterhin so machen - demnächst sogar mit historischen Inszenierungen, die wir mit ins Angebot nehmen. Wir versuchen, das Angebot digital natürlich total zu erweitern, wie das viele Theater nachvollziehbarerweise tun. Wir wollen ja sichtbar bleiben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.