Die Geschichte einer trans Frau

Elnas Weg

29:40 Minuten
Elna hat ein Selfie von sich von unten gegen den strahlend blauen Himmel aufgenommen.
Elna entschied sich für eine geschlechtsangleichende Operation: Rückblickend hat es mehrere Jahrzehnte gedauert, bis sie sich endlich ganz fühlen konnte. © Elna Rackwitz
Von Jana Münkel · 11.04.2021
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Elna Rackwitz lebt öffentlich als trans Frau. Der Weg dahin war ein Kampf mit den Behörden und eine emotionale Achterbahnfahrt - nicht nur für sie.
Jeder Piep ist ein Stromschlag ins Kinn – und bei jedem Piep tut es weh. Einmal pro Monat kommt Elna in die Hautarztpraxis in Leipzig zur Haarentfernung durch die "Nadelepilation". Sie will, dass ihr Bart nicht mehr wächst und sich nicht mehr jeden Tag rasieren müssen.
"Ich hab lange Bart getragen. Haare waren immer ein Symbol – oder nicht mehr Haare zu haben, Symbol von Weiblichkeit. Durch die Hormontherapie lässt der Haarwuchs nach, aber eben nicht die Bartbehaarung. Der Bart ist nicht mehr so zeitgemäß, passt einfach nicht mehr."
Elna ist trans. Seelisch war sie schon immer eine Frau, sagt sie, körperlich hat sie fast 50 Jahre als Mann gelebt. Mit ihren 1 Meter 90 Körpergröße liegt sie auf einer Liege aus beigem Kunstleder. Die Elektrologistin Claudia Goldberg hat Elnas zwei Tage alte Barthärchen durch eine rechteckige Lupe, die an ihrer Brille klemmt, gut im Blick. Und sticht immer wieder mit einer dünnen Nadel, die an einem Kabel hängt, in Elnas Kinn – direkt in den sogenannten "Haarkanal". Mit einem Fußpedal löst sie dann einen kleinen Stromstoß aus, bei dem auch ich zu Beginn jedes Mal kurz zusammenzucke.

Elna will ihre Geschichte erzählen

Elna hat zwei 400er Ibuprofen intus, damit sie den Schmerz nicht so spürt. Trotzdem zuckt sie ab und zu leicht zusammen, ihr Kinn rötet sich langsam.
Damit sie nicht nur seelisch – sondern körperlich ganz als Frau leben kann, wird Elna einen noch viel größeren Schmerz auf sich nehmen als den von ein paar Nadelstichen. Ihr großes Ziel: Die geschlechtsangleichende Operation. In wenigen Wochen ist der Termin. Ich darf sie dabei mit dem Mikrofon begleiten. Elna hat sich vor fast zwei Jahren auf meine Anfrage an eine trans Beratungsstelle bei mir gemeldet. Sie steht eigentlich nicht gern im Mittelpunkt, aber sie hat zugestimmt, mich in ihr Leben mitzunehmen, weil es ihr wichtig ist, der Welt zu erzählen, wie es ist, als trans Frau zu leben und zu fühlen.
Elna liegt unter einer großen Lampe und bekommt von einer Frau mit Schutzbrille und Handschuhen die Barthaare epiliert.
Elna bei der Nadelepilation – die Barthaare wachsen trotz der Hormontherapie.© Jana Münkel
"Ich hab das Gefühl, wenn ich was angefangen hab, dass ich das auch zu Ende machen will. Dann nicht mittendrin aufhören kann und will. So ähnlich wie mit der OP. Irgendwann beschlossen. Alle sagen: Mach es nicht, das ist unvernünftig, so risikoreich. Aber das ist so drin."

50 Jahre bis zum öffentlichen Leben als trans Frau

Elna ist 54, hat ein breites Kreuz. Bis vor Kurzem hat sie eine dunkle Perücke mit langen Haaren getragen, um ihre Geheimratsecken zu überdecken. Die lässt sie jetzt weg, ihr halblanges Haar hat sie rot gefärbt. Bereits als Kind hat sich ihr Transsein schon angedeutet.
"Ich kann mich an eine Situation erinnern, da hatte ich, da war ich, glaub ich, neun Jahre, meine Mutter hatte so abgelegte Sachen im Kinderzimmer. Da hatte sie aus den 50er-Jahren so einen karierten BH und Bikini. Und den hatte ich dann nachts angezogen, weil ich mich wohlfühlte. Und dann kamen meine Eltern abends und wollten mir gute Nacht sagen. Ich weiß noch genau, wie ich Panik hatte, Decke hochgezogen, nur keine Umarmung, dass die irgendwas merken. Das war präsent. Und das setzte sich halt fort, diese Angst, entdeckt zu werden, mit dem, was man tut."
Doch bis zum öffentlichen Leben als trans Frau dauert es fast 50 Jahre. Elna heiratet, lässt sich scheiden, mit ihrer zweiten Frau Susanne bekommt sie zwei Töchter.
"Also ich war ja auch ein schöner Mann gewesen, so ist es nicht."

Schminke und Frauenkleider

Fotos zeigen sie als liebevollen Vater, mit seinen Töchtern Späße machend. Nur heimlich – oder aus Quatsch, für Kostümpartys, "verkleidet" sie sich manchmal als Frau. Auf Fotos ist sie öfter in Frauenkleidern zu sehen – einmal im blauen kurzen Kleid, mit wassergefüllten "Kondombrüsten" und Strohhut auf dem Kopf. Doch offen als Frau Leben? Ging damals gar nicht.
"Ich hab´s nicht gelebt, weil mir das Vatersein ganz, ganz wichtig war. Und ich auch gesagt hab, wie soll ich als großer Mann in eine andere Geschlechtsrolle gehen? In dieser Familiensituation war es für mich unvorstellbar."
Doch der Drang, weiblicher zu werden, wird stärker. Elna ist damals Mitte 30 und führt ein Doppelleben. Sie bestellt sich Schminke und Frauenkleider im Versandhandel, trampt nach Berlin, um dort als Frau auszugehen.
"Und ich hab das erste Mal mit anderen Transfrauen geredet, und wusste sofort: Das ist es. Und dann bin ich zurückgefahren mit dem Zug diesmal. Und bin dann irgendwo in Bitterfeld ausgestiegen und hab mich da wieder umgezogen. Und das war so eine Riesen-Traurigkeit. Diese Sachen wieder auszuziehen und wieder in dieses alte Leben zu schlüpfen. Und so musst du dir das vorstellen, dass du dich total wohlfühlst und versteckst das und dann gehst du wieder in die alte Rolle zurück und merkst, okay, du bist nicht so lebendig wie vorher."
"Aber das war zumindest auch nichts, was du jetzt mit deiner Frau auch besprochen hast?"
"Nee, nee, letztendlich nur, als sie mitkriegte, dass ich heimlich ihre Sachen anzog, das war für sie eine absolute Verletzung. Das war auch dann mit ein Trennungsgrund."

Zwei psychologische Gutachten

Jede zweite Woche leben Elnas Töchter nach der Trennung bei ihr – in den Wochen dazwischen kann sie endlich ihren Wunsch ausleben, als Frau aufzutreten. Doch bis sie offiziell – auch auf dem Papier – eine Frau wird, dauert es noch fast 20 Jahre.
Elna breitet vier volle Aktenordner voller Anträge auf ihrem Sofa aus. Um ihren Namen ändern zu können, musste sie sich erstmal durch einen Bürokratiedschungel kämpfen. Zwei ausführliche psychologische Gutachten mussten bestätigen, dass sie trans ist.
"Und dann wurde gesagt, dass ich die und die und die Störung nicht hab, ich hab nur eine Störung – und zwar die Transidentität."
Inzwischen wird das Transsein medizinisch nicht mehr als "Störung" eingeordnet, doch auch Elnas Arzt spricht weiter von "Erkrankung". Im Sommer 2018 dann endlich die Nachricht vom Amtsgericht Halle: "In der Personenstandssache Alexander Rackwitz hat das Amtsgericht Halle/Saale durch die Richterin a 4.7.2018 beschlossen: Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin als dem weiblichen Geschlecht anzusehen ist."
"Und dann kriegste halt ne neue Urkunde, ne neue Geburtsurkunde ausgestellt. Hier. Genau. Völlig verrückt, ne. Laut Transsexuellengesetz heiß ich jetzt Elna Maria, weiblich geboren. Eine völlig neue Geburtsurkunde mit meinen Eltern. Völlig irre."

Elna Maria Rackwitz will jetzt die OP

Nun ist der Weg frei, sich auch körperlich einer Frau anzugleichen. Elna macht eine Hormontherapie, ihr wachsen Brüste – und sie merkt: Das ist es.
"Ich wusste im Hintergrund, ich bin nicht in Ordnung. Und das hat sich durch die Transition verändert. Ich wusste: Okay, jetzt bin ich ich, jetzt bin ich ganz und ich, bin in Ordnung."
Der Drang, körperlich ganz Frau zu werden, wird immer größer. Auch hier: Anträge, Stempel, Unterschriften. Einmal lehnt die Krankenkasse ab, Elna legt Widerspruch ein. Schließlich: Die Zusage für die geschlechtsangleichende OP – und gleich die nächste Hürde: Eigentlich soll die OP im April 2019 stattfinden – aber sie wird kurz vorher wegen eines Notfalls auf November verschoben.
Elna muss jetzt los, zur Arbeit. Auf ihrem Fahrradhelm steht die Frage "Trans – na und?" Sie ist fast nur mit dem Rad unterwegs – und hat dafür einen guten Grund:
"Ja, als ich dann wirklich mit Kleid oder Rock und Perücke in der Stadt war, mich dem nicht auszusetzen und zu laufen, und ständig diese Blicke oder Bemerkungen oder anderen Sachen zu befürchten, das hat schon das Radfahren: Ich bin schnell vorbei, und die Leute gucken, und da bin ich schon weg. Das hat auch was Schützendes dann gehabt."

Schmierereien an der Wohnungstür

Letztens hat jemand Elna "Du Schwuler, du", hinterhergeschrien. Und eine Freundin hat die Schmiererei "Transen ins Gas" an ihrer Wohnungstür gefunden. Elna macht das wütend. Wie gerne würde sie diesen Menschen erklären, wie sie sich manchmal fühlt.
"Und hier vorne, als ich mal zum Spätdienst fuhr, lagen da junge Mädchen und wo ich plötzlich so 'ne Traurigkeit spürte, wo ich merkte: Okay, das ist das, was die haben, was ich nie hatte. So 'ne weibliche Pubertät hatten sie, so wie sie jetzt aussehen. Das ist alles, was ich mir gewünscht hatte irgendwie aber nie hatte. Und das war echt traurig, ich musste dann echt heulen, als ich vorbeifuhr."
Fast täglich kommt Elna mit dem Rad am kleinen Kiosk von Freunden vorbei – hier hat sie ihr Ritual.
"Immer, wenn ich vorbeifahre, mach ich den Kuckucksruf. Und dann rufen die beiden: Elna! Und das ist echt lustig. Die sind auch echt beschäftigt, und der Kuckucksruf ist prägnant, und dann wissen die: Ich bin’s. Und reagieren dann mit meinem Namen, das ist einfach schön!"
Wenn Elna von ihrem weiblichen Namen erzählt, beginnen ihre Augen zu leuchten. Elna ist ihr selbstgewählter Wunschname. Auf der Suche nach einem Namen hat sie zwei Eleonores in ihrem Stammbaum entdeckt. Elna hat lange noch auf ihren alten männlichen Namen reagiert – inzwischen ist das nicht mehr sie.

Die Arbeit als Schutzraum

Heute hat Elna Spätdienst. Sie beugt sich in einem hellgrün gestrichenen Kinderzimmer über ein Pflegebett. Mit einem dünnen Schlauch saugt sie Sekret aus der Lunge von Emma. Das 13-jährige Mädchen hat eine Schwerbehinderung: Emma muss beatmet werden und kann nicht sprechen. Als Intensivpflegerin muss Elna oft sehr schnell reagieren, damit Emma genug Sauerstoff kriegt und nicht in Lebensgefahr gerät.
Emmas Arme sind in eine Hängekonstruktion eingespannt und schwingen hin und her – so kann sie einen Taster betätigen, auf dem Bildschirm neben ihr erscheinen dann die passenden Bilder zum Begriff.
Bis vor eineinhalb Jahren hat Elna als Diplom-Pädagogin in einer Kinderwohngruppe gearbeitet. Auch als Frau wurde sie dort gut angenommen – doch nach dem Beginn der Hormontherapie musste sie den vielen Menschen dort immer wieder erklären, warum sie sich verändert. Das hat sie so viel Energie gekostet, dass sie eine andere Arbeitsstelle gesucht hat.
Für Emma spielt es keine Rolle, dass Elna trans ist. Im Gegenteil – dunkle Stimmen beruhigen sie, erzählen Emmas Eltern Daniela und Thomas. Für Elna ist ihre neue Arbeitsstelle auch zum Schutzraum geworden. Sie gehört hier zur Familie mit dazu, fühlt sich angenommen, so, wie sie ist.

Ein Brief an die Töchter

Nach der OP wird Elna etwa zwei Monate nicht arbeiten können. Emma wird dann von einer zweiten Krankenschwester und von ihren Eltern im Wechsel versorgt. Elna wird Emma vermissen.
"Ich hab gestern schon geheult. Weil ich dachte, ich sehe Emma jetzt ne Weile nicht. Zustand, musste ja 14 Tage die Hormone absetzen vor der OP – mir geht es beschissen. Hab so eine schlechte Laune, vorgestern so eine miese Laune gehabt – wo ich dachte, Mist. Gestern Abend war mir nur zum Heulen. Wo ich dachte, das Östrogen fehlt einfach."
Gut eine Woche vor Elnas großer OP wollen sie noch mal ihr traditionelles Vater-Tochter-Essen kochen: Selbstgemachte Ravioli in Tomatensoße. Dass sie so vertraut gemeinsam Nudelteig ausrollen und die 21-jährige Salea dann bei ihrem Vater übernachtet, ist noch nicht so lang wieder selbstverständlich. Erst vor ein paar Jahren hat Elna ihren beiden Töchtern von ihrer Anpassung erzählt. Salea erinnert sich noch gut:
"Vor vier Jahren, da hieß es, Papa kommt und hat uns was Wichtiges zu sagen. Meine Schwester und ich dachten, hm, was ist es denn? Ich wär nicht drauf gekommen, dass es darum geht."
In einem langen Brief hat Elna ihren Töchtern erklärt, dass sie eine Hormontherapie begonnen hat – und als Frau leben muss, weil sie nicht anders kann.
"Ich wusste nicht so recht, wie ich dann damit umgehen soll. Bin sowieso ein Mensch, der sich erstmal zurückzieht und dann eher so ruhig bin und Zeit brauche, um zu schauen, was bedeutet das jetzt für mich. Hatte keine Vorstellung davon, was sich jetzt verändern wird."
"Ihr habt beide geweint." "Ja".
"Und dann hab ich gemerkt, okay, ich kann nicht in Erfurt bleiben, ich muss gehen. Letzter Zug halb 12. Bin zum Bahnhof, bloß geheult, weil ich dachte, hab meine Töchter ein Stück verloren."

Elnas neue große Liebe: Friederike

Erst wirkt es so: Mehr als drei Monate sehen und hören sie sich nicht, dann gibt es ein erstes Treffen. Als Elna kurz darauf auch öffentlich als trans Frau lebt und sich weiblich kleidet, zieht sich Salea nochmal zurück. Ein paar Monate später besucht sie ihren Vater in Halle, sie nähern sich wieder an.
"Für mich war es immer Papa." "Natürlich, ich bin Papa, und bleib Papa und werde immer Papa sein."
Am nächsten Tag – vier Tage vor Elnas OP – bin ich zu Besuch bei Friederike. Nach der Trennung von der Mutter ihrer Töchter wollte Elna eigentlich ihr Leben als Frau weiter ausleben, doch dann traf sie ihre große Liebe.
Ein Fotoalbum von 2011 zeigt Friederike und Elna – noch als Mann und sonnengebräunt im Italienurlaub in einem blauweißgestreiften Shirt. Am zweiten Tag der Beziehung erzählt Elna Friederike, dass sie trans ist – und sich als Frau fühlt.
"Er hatte ja auch ziemlich viele Frauenkleider damals schon und er hat die dann alle verkauft, verschickt, weggegeben. Und hat für sich gesagt, es würde ihm auch gar nichts ausmachen, er müsse nichts behalten. Und die Nachfragen nach seinem Empfinden, wie es ihm damit geht, die waren für die Beziehung positiv. Also die ersten Jahre, aber auch später."

Hochzeit und Hormone

Elna unterdrückt ihr Bedürfnis, ihre weibliche Seite auszuleben. Die beiden heiraten, planen gemeinsame Kinder. Doch das geht nicht lange gut. Heimlich beginnt Elna im Frühjahr 2015, Termine beim Psychologen wahrzunehmen und weibliche Hormone zu nehmen – und erzählt es ihrer Frau erst einige Wochen später – diese ist verletzt, wünscht sich, mitgenommen zu werden in den Entscheidungen ihres Mannes. Als sie merkt, dass Friederike hadert, versichert Elna, sie würde die Hormone doch wieder absetzen.
"Dann erzählte er mir eines Abends, er hätte auch die Medikamente jetzt entsorgt. Und dann hab ich die aber im Schrank gefunden ein paar Wochen später. Und hab die ihm dann später gezeigt… er hätte sie doch… Und dann gestand er mir, dass er doch wieder damit angefangen hat, die doch weiter nimmt und jetzt auch dabei bleibt."
"War nicht irgendwie, da war ja keine andere Frau, auf die man dann wütend sein kann oder… das lässt einen so hilflos zurück, weil man irgendwie gar keine… Ich wusste erstmal gar nicht, wie ich damit umgehen soll einfach. Auf der anderen Seite hatte ich schon das Gefühl, ja okay, was ist das mit mir, bin ich nicht genug Frau? Warum muss er jetzt unbedingt auch Frau sein? Ähm… Irgendwie ja. Also es war auch so ein Ding: Er betritt mein Territorium. Und das fand ich schrecklich."

Auszug und Trennung

Die beiden versuchen es noch einmal. Um für sich mit der Situation klarzukommen, bittet Friederike Elna, zeitweise in ein kleines WG-Zimmer zu ziehen, um dort ihr Frausein auszuleben.
"Daraus ist dann peu à peu die Trennung entstanden. Da hab ich für mich dann entdeckt, dass mir das guttut, wenn er woanders wohnt. Hab es als zu anstrengend empfunden. Zumal auch bei ihm, dann fing das Brustwachstum an, ich konnte ihn auch nicht mehr berühren."
Friederike nennt Elna inzwischen bei ihrem weiblichen Namen. In ihrem Handy ist sie noch immer als Alexander gespeichert.
"Er scheint ja, sie scheint ja… da sie das ja immer noch macht, vier Jahre jetzt… ja… scheint es ja wirklich das zu sein, was sie braucht. Seine Frauwerdung ist jetzt nicht unbedingt mit so total positiven Erinnerungen verbunden. Deshalb hab ich mit dieser Frau auch immer noch ein Problem auf ne Art. Nicht im reellen Leben, aber vielleicht will ich die für mich auch noch nicht so ganz akzeptieren. Ich müsste sie einfach mal besuchen gehen, glaub ich."

Noch zwei Tage bis zur OP

Ankunft in der Klinik in Magdeburg – Elna trägt einen riesigen Treckingrucksack und wird von ihrer langjährigen Freundin Sabine begleitet. In zwei Tagen ist es soweit. Elnas Zimmer ist hell. Sie hat viele weite Hosen mitgebracht – und räumt die erstmal in den Schrank.
"Gefühlt ist es wirklich, jetzt wird’s ernst. Krasse Situation, das war vorher noch abstrakt. Ich hab mich heute früh vor dem Spiegel gesehen und dachte, okay, bald sieht’s anders aus. Und das ist unvorstellbar. Das ist völlig unvorstellbar."
Elna sitzt an einem Krankenhaustischchen vor einer gelben Wand, Kopf auf die linke Hand aufgestützt, und liest Dokumente.
Vier Aktenordner voller Bürokratie besitzt Elna - es brauchte Geduld, ehe sie die geschlechtsangleichende Operation machen konnte.© Jana Münkel
Noch einmal schlafen – dann ist die OP. Doch dann die Nachricht: Professor Infanger – der Einzige, der die geschlechtsangleichende Operation hier durchführen kann – ist krank. Die OP wird um zwei Tage nach hinten geschoben. Mich macht das völlig fertig, Elna nimmt es bemerkenswert gelassen.
"Wenn du da 30 Jahre drauf wartest, und es sich um ein paar Tage verschiebt, dann ist das nicht krass. Wenn es innerlich so schon 30 Jahre da ist – drei Tage sind da nichts."
Zwei Tage später, am Abend: aufatmen. Der Schweizer Professor ist wieder gesund, die Operation wird morgen stattfinden. Was noch fehlt, ist das Aufklärungsgespräch. Zuerst wird Professor Infanger Elnas Hoden entfernen. Aus der Eichel wird während der OP eine sogenannte "Neoklitoris" geformt. Die Neovagina entsteht aus der Penis-Außenhaut.
"Wenn wir das alles gemacht haben, werden wir dann zwischen Blase, Harnröhre und Darm eine Höhle präparieren, so tief, wie die Penishaut das hergibt. Und danach die Penishaut umstülpen, wie ein Zylinder, dass außen nach innen kommt und innen nach außen kommt. Das heißt, die Penisaußenseite wird dann die Vaginainnenseite sein."

Die Operation dauert vier Stunden

Die Schamlippen formt der Professor aus den ehemaligen Hodensäcken – insgesamt wird Elnas OP etwa vier Stunden dauern. Beim Gedanken an die großen Schnitte und Nähte im Schambereich gruselt es mich ein bisschen.
"Es sind schon erhebliche Risiken. Da muss der Patient sich bewusst sein, es können Verletzungen vom Darm geschehen, Harnröhre, Blase, Nervenverletzungen, Blutungen, schwere Infektionen. Also es ist schon eine risikovolle Operation, keine Frage."
Auch die Fähigkeit, einen Orgasmus zu kriegen, kann nach der Operation eingeschränkt sein. Doch in den 30 Jahren seiner OP-Erfahrung hat Professor Infanger noch nie jemanden operiert, die oder der die Entscheidung bereut hat.
"Und ich kann Ihnen eins sagen, wenn die Leute in die Sprechstunde nachher zu mir kommen – die kommen ganz anders rein. Ob so oder auf die andere Seite: ein ganz anderes Selbstbewusstsein. Sie haben abgeschlossen dann."
Elna muss jetzt erstmal kurz durchatmen.

"Wird schon gut werden"

"Also jetzt kommt mir schon langsam das Muffensausen. Wo ich denk, OP – und klar, die ganzen Risiken weiß ich ja. Aber da ist schon so’n Tuckern jetzt, das hochkommt. Hoffe, dass alles gut geht. Kommt schon langsam die Angst gekrochen. Dass was passieren könnte. Wird schon gut werden."
Morgens, kurz nach 6. Eine Schwester hilft Elna ins OP-Hemd. Ab jetzt darf Elna nicht mehr aufstehen, sie wird aus dem Zimmer gerollt. Wenig später leitet die Anästhesistin Elnas Narkose ein, und dann liegt sie bewegungslos da. Die OP-Schwestern winkeln Elnas Beine an und legen sie hoch – auf der anderen Seite des Saals wird das Operationsbesteck vorbereitet.
Zwei Monate später – Elna hat die OP gut überstanden. Nach knapp drei Wochen durfte sie wieder nach Hause und wurde von Freunden gepflegt. Sitzen darf sie seit etwa einem Monat wieder, Radfahren noch nicht. Sie ist noch ziemlich steif und breitbeinig unterwegs.
Elna und ihre Tochter stehen zusammen in der Küche und rollen einen Teig ein.
Elnas Tochter brauchte erst ein wenig Zeit, um herauszufinden, was die Veränderung für sie bedeutet.© Jana Münkel
"Ich würd’s nie wieder machen. Wenn man sich entscheidet, ist das ne Gefühlsentscheidung. Aber das, was kommt, kann einem niemand vorher sagen. Und das, was an Erlebnis im Krankenhaus ist, an Hilflosigkeit, an Schmerzen, und dann später auch, das weiß keiner vorher."

"Jetzt bin ich da, wo ich sein wollte"

Wir laufen auf den Ochsenberg – der bietet einen tollen Blick über Halle. Elna ist hier schon vor mehr als 30 Jahren hochgeklettert, um nachzudenken.
"Als ich hier Ende der 80er... heimlich mit Frauensachen war ich hier oben gewesen. Es ist einfach gekommen, wie ich es zwar wollte, aber wie es einfach angelegt war in mir. Ich hab ewig versucht, mich in ne Rolle, die ich dann auch ausgefüllt habe, vor allem als Vater, reinbegeben. Und ausgefüllt. Aber, letztendlich das, wie ich eigentlich leben wollte, hab ich nie in Angriff so genommen. Und jetzt ist es da."
Elna ist angekommen.
"Ich hab das Gefühl, als wenn ich jetzt wirklich das erste Mal erwachsen werde. Wirklich als so ein Gefühl von, ich will nicht sagen, fertig sein, aber es ist so ganz ernüchternd, zu sagen: Okay, jetzt bin ich da, wo ich sein wollte."
Sie wirkt sehr bei sich. Aber ein Wunsch ist noch offen.
"Also schon wieder einen Menschen, dem ich sehr nahe sein kann, der mir sehr nah ist. Ne gute Beziehung zu jemandem, dem ich alles anvertrauen kann. Umgekehrt auch. Das ist schon so das, was ich mir wünsche."
Der Beitrag ist eine Wiederholung vom 19.4.2020.
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