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"Ausgaben in der Kultur sind Investitionen"

Petra Roth, die scheidende Präsidentin des Deutschen Städtetages, hat Kürzung en bei Bildung und Kultur als "sträflichen Leichtsinn" bezeichnet. Auch dürfe man die beiden Bereiche nicht gegeneinander ausspielen: Die Kultur leiste ebenfalls einen Bildungsauftrag.

Petra Roth im Gespräch mit Karin Fischer | 04.05.2011
    Karin Fischer: Die Spardebatten in der Kultur sind Wiedergänger ihrer selbst. Sie kommen zyklisch vor, sind an Steuereinnahmen oder -Ausfälle gebunden und verschärfen sich in Zeiten der Krise. Derzeit ebben sie eher ein wenig ab, weil Deutschland nach der Krise wirtschaftlich gar nicht so schlecht dasteht. Dafür ist die Ökonomisierung der Kultur in vollem Gange. Wer vom Event spricht oder von der Umwegrentabilität oder der Kulturwirtschaft das Wort redet, der meint, nur wenn Kultur Geld bringt oder schafft, ist sie selbst etwas wert, eine, wenn man so will, gefährliche Argumentation. Und trotzdem musste und immer wieder und muss weiter gespart werden. Die Vorschläge reichen von der Schließung von Theatern bis zur Zusammenlegung von Orchestern. - Petra Roth, Oberbürgermeisterin von Frankfurt, ist Präsidentin des Deutschen Städtetages, ein Amt, das sie heute auf der Hauptversammlung in Stuttgart abgeben wird. An sie ging die Frage, was aus ihrer Sicht die dringendsten Probleme der Kultur in den Städten sei.

    Petra Roth: Das ist eine Frage, die man nicht, Frau Fischer, für alle Städte beantworten kann. Ich selber bin Oberbürgermeisterin in Frankfurt und das seit 16 Jahren, und ein Schwerpunkt der kommunalen Politik in Frankfurt ist die Kulturpolitik. Kultur für alle kann nicht heißen Kultur von allen, aber wir haben die Hochkultur, das heißt das Stadttheater, eben Schauspiel, sehr stark wieder gefördert, wir haben eine der besten Opernhäuser und Konzertsäle mit der alten Oper und haben daneben nicht die freie Kultur vernachlässigt. Ich vertrete die Ansicht, dass Kultur im hohen Maße einen Bildungsauftrag hat und wir nicht nur eine reine Event-Kultur-Fabrikation in der Stadt haben sollten, in Frankfurt, und wir stellen ja auch fest, dass dort, wo nur noch Performance stattfindet, der Bildungsauftrag gar nicht mehr gewürdigt wird. Die Städte allgemein haben jetzt durch die Finanznot Bildungseinrichtungen, Theater, Volkshochschulkurse gestrichen oder reduziert. Ich halte das für einen sträflichen Leichtsinn. Das ist an der falschen Stelle gespart, und wenn die Kommunalaufsicht diese freiwilligen Leistungen nicht anerkennt als Bildungsbeitrag, dann versündigt sie sich an der Entwicklung der Gesellschaft in den Städten.

    Fischer: Wenn das eine Sünde ist und wenn es aber anderseits auch nicht darum gehen kann, noch einmal, wie schon oft passiert, Kultur gegen Kindergärten auszuspielen, was könnte dann bedeuten, intelligent zu sparen in der Kultur, also vorausschauend, nachhaltig und ohne, dass es der Kunst selbst an den Kragen geht?

    Roth: Wir müssen auch berücksichtigen, dass Kultur ein Wirtschaftszweig ist. In den Opernhäusern, in den Konzerthäusern sind Hunderte von Menschen beschäftigt. Es ist also auch ein Teil des Arbeitsmarktes. Ausgaben in der Kultur sind Investitionen, sind keine konsumtiven Ausgaben. Wir könnten viel mehr Kultur verbinden, oder den Auftrag, was Kultur leisten soll, wenn wir die gesamte Vereinsstruktur, die vom Briefmarkenverein bis zum Sportverein geht, mit einem Bildungsselbstbewusstsein ausstatten, dass wir sie herausholen aus den Nischen, dass sie Vereinsmeier sind, sondern sie haben einen Bildungsauftrag in Form der Integration für die vielen Nationen, die heute in Stadtgesellschaften zusammenleben. Sie haben den Auftrag, die Geschichte, das Selbstbewusstsein von Bürgergesellschaften zu vermitteln, und dann den Menschen zu gewinnen, partizipativ daran mitzuwirken. Wir sind in einer Bürgergesellschaft und ich möchte, dass die Städte, die die Wohnräume für Menschen sind, Lebensräume sind, selbstbewusst gegenüber dem Staat - wir sind nicht der Staat - auftreten und sagen: Wir gestalten selbst, wir entwickeln, wir sind kreativ, wir schaffen Arbeitsplätze, wir bilden, wir entwickeln, wir klären auf, wir sind die Aufklärung schlechthin in den Städten.

    Fischer: Um das noch mal aufzugreifen, Petra Roth: Die Theater werden derzeit wieder zunehmend Diskursorte. Sie veranstalten Kongresse, sie diskutieren mit den Bürgerinnen und Bürgern, sie gehen raus aus ihren Häusern an die Brennpunkte, arbeiten mit Jugendlichen, machen fast so was wie Sozialarbeit manchmal. Soll das die Richtung sein, Stichwort Partizipation?

    Roth: Ist ein Teil! Kultur ist nicht eine Monostruktur. Kultur ist eine sehr vielfältige, ist ein Fächer. Es gibt bei uns in Frankfurt immer vor den Premieren ein Gespräch über das Stück, was auf der Bühne ist. Nehmen wir mal ganz klassisch: nehmen wir einen Schiller oder einen Goethe mit den Vorgängen der Zeit vor 200 Jahren ins Heute übertragen. Das muss ja zu verstehen sein, und das gelingt geradezu großartig. Wir hatten das gerade in Frankfurt, die "Stella" von Goethe, absolut, als ob das nebenan passiert ist und nicht vor 200 Jahren mit der Frage der doppelten Moral. Das muss verstanden werden, und das ist die Aufgabe der Kultur. Das tun die auch, die Intendanten, und die Schauspieler sind alle jung, die Musikmachenden sind jung, die Menschen wollen sich in die Gesellschaft einfinden und selber etwas tun, gestalten, und dann schließt sich der Kreis. Der, der auf der Bühne steht, der informiert, und der Zuhörer wird mit einem Wissen ausgestattet, was er vorher nicht hatte. Deshalb muss Kultur weiter gefördert werden und wir dürfen um Gottes willen die Bühne der moralischen Anstalt also nicht schließen, sondern wir müssen ihnen mehr Möglichkeiten geben, sich darzustellen.