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Ausgeträumt
Keine Demokratie für Hongkong

Die chinesische Regierung hat erklärt, dass sie keinen china-kritischen Verwaltungschef in der sogenannten Sonderverwaltungszone Hongkong akzeptieren werde. Der Hongkonger Regierungschef soll zwar 2017 erstmals direkt vom Volk gewählt werden. Peking will aber maximal drei Kandidaten von chinatreuen Wahlmännern vorbestimmen lassen. Vertreter der Opposition haben damit de facto keine Chance.

Von Markus Rimmele | 06.09.2014
    Noch einmal bäumten sie sich auf, die Demokratieaktivisten, gleich nach der Entscheidung des Nationalen Volkskongresses am vergangenen Sonntag. Das Zeitalter des zivilen Ungehorsams habe begonnen, skandierten sie. Ein paar Tausend Leute. Seither ist es aber recht still geworden in Hongkong. Die Demokraten haben die Enttäuschung noch nicht verwunden. Demonstriert hatten sie: Am 1. Juli zu Hunderttausenden. Mobilisiert hatten sie: mit einem inoffiziellen Demokratie-Referendum. Und gedroht hatten sie: Die Bewegung Occupy Central wollte mit Tausenden Demonstranten Central, das Finanzviertel der Stadt, lahmlegen, sollte Peking echte demokratische Reformen verweigern. Doch jetzt schlagen die Aktivisten leisere Töne an. Man sei fürs Erste gescheitert, gibt der Gründer von Occupy Central, der Juraprofessor Benny Tai zu.
    "Das Hauptziel unserer Bewegung ist jetzt nicht mehr, Peking zum Nachgeben zu bringen. Jetzt geht es mehr darum, die Hongkonger wachzurütteln, dass sie sich einer solchen Entscheidung mit einem solch ungerechten System widersetzen sollten."
    Ein Volksaufstand sieht anders aus
    Bloß, wie? Ja, eine Besetzung der Innenstadt werde es trotzdem noch geben, sagt Tai. Aber unter geringstmöglicher Störung der Bevölkerung. Ende des Monats wollen schon mal die Studenten streiken und nicht zur Uni gehen. Ein Volksaufstand sieht anders aus. Die ersten fangen an, laut über Auswanderung nachzudenken.
    Peking hat den Forderungen der Demokraten eine deutliche Absage erteilt.
    "Hongkonger Regierungschef kann niemand sein, der gegen Peking steht, erklärt der Pekinger Funktionär Li Fei, als er den Beschluss am Montag in Hongkong erläutert. Es muss jemand sein, der das Vaterland und Hongkong liebt. Andernfalls wäre unsere nationale Souveränität und Sicherheit beeinträchtigt."
    Wahlen ohne Sinn
    Die Wahl werde mit dem jetzigen Beschluss allerdings zur Farce, sagen die Demokraten.
    "Es hat keinen Sinn zu wählen, wenn man keine wirkliche Wahl hat, so Anson Chan, die Grande Dame der Hongkonger Demokratiebewegung. Die Kandidaten werden Pekings Marionetten sein. Und die sollen wir wählen? Wozu?"
    Der Streit um Hongkongs Demokratisierung ist Jahrzehnte alt. Die Briten hatten ihre Kolonie in Südchina zwar mit einem Rechtsstaat ausgestattet und mit bürgerlichen Freiheiten. Demokratie hatten sie den Hongkongern aber weitgehend verwehrt. Immerhin: In den Rückgabeverhandlungen mit Peking kam das Thema auf den Tisch. Im Hongkonger Grundgesetz, seit 1997 gültig, ist die Auswahl des Regierungschefs durch „allgemeine Wahlen" als Ziel in der Zukunft festgeschrieben. Chinas Regierung behauptet, mit den jetzigen Reformplänen werde diese Vorgabe erfüllt.
    "In nur 17 Jahren, seit der Rückgabe Hongkongs, haben wir erreicht, was die Briten in 156 Jahren nicht erreicht hatten, so Li Fei."
    Die Demokraten fühlen sich jedoch von Peking und der pekingtreuen Machtelite in der Stadt betrogen. Unter "allgemeinen Wahlen" hatten sie sich echte Demokratie vorgestellt.
    Drohungen gegen Pekingkritiker
    Immer deutlicher wird, dass sich die Hoffnungen von 1997 nicht erfüllen werden. Damals dachten viele, auf Dauer würde sich das chinesische Festland ans Hongkonger Modell angleichen und liberalisieren. Stattdessen wird Hongkong derzeit dem Festland immer ähnlicher. Viele Bürger beklagen eine schnell wachsende Einflussnahme Pekings auf Hongkong, eine Erosion der verbrieften weitreichenden Autonomie der Stadt, einen Niedergang der garantierten Presse- und Meinungsfreiheit, ja selbst Drohungen gegen Pekingkritiker.
    In Peking wiederum ist das Misstrauen gegenüber den aufmüpfigen Hongkongern zuletzt stark gewachsen. Chinas Staatspräsident Xi Jinping, ein Hardliner, hat offensichtlich genug.
    "Peking will die totale Kontrolle, glaubt der Hongkonger Publizist Willy Lam. Die wollen kein Risiko eingehen. Sie haben mehrfach gesagt, die Hongkonger Demokraten handelten in Absprache mit chinafeindlichen Kräften im Westen. Sie wollen verhindern, dass Hongkong eine Brutstätte der Subversion wird, obwohl es dafür keine Anhaltspunkte gibt. Die jetzige drastische Entscheidung ist deshalb ganz auf der Regierungslinie von Xi Jinping."
    Die Zeichen in China stehen nicht auf Demokratisierung und liberale Öffnung. Im Gegenteil. Die Opposition in Hongkong muss sich jetzt entscheiden. Damit die Wahlrechtsreform in Kraft treten kann, müssen ihr auch einige Demokraten im Stadtparlament zustimmen. Peking droht: Wer jetzt nein sage, werde zur Verantwortung gezogen, sagt Li Fei. Und: Eine neue Chance auf Reform werde es nicht geben.
    Hongkongs Demokraten geraten immer weiter in die Defensive. Die eiserne Umarmung vom chinesischen Festland wird enger und enger. Benny Tai setzt auf zivilen Ungehorsam:
    "Ungehorsam bedeutet, dass wir Befehlen nicht gehorchen. Wir werden unsere eigene Ordnung schaffen und demokratische Strukturen und Mechanismen aufbauen. Wir werden die demokratische Kultur der Hongkonger pflegen."
    Was Peking von solchen Ideen hält, dürfte sich bald schon zeigen. Nämlich wenn die Aktivisten tatsächlich das Stadtzentrum besetzen.