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Auslandseinsätze der Bundeswehr
"Das Parlament frühzeitig informieren"

Parlament und Regierung sollten einmal im Jahr über Auslandseinsätze der Bundeswehr sprechen, sagte der Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe im DLF. Er betonte jedoch auch: "Es sollte noch einen Raum für Regierungshandeln geben."

Volker Rühe im Gespräch mit Silvia Engels | 10.09.2014
    Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU)
    Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU) (dpa / picture-alliance / Soeren Stache)
    Rühe ist der Vorsitzende der Bundestagskommission zur künftigen Rolle des Parlaments bei Auslandseinsätzen. Er unterstrich: "Das Entscheidende ist, dass unserer Freunde und Nachbarn in Europa sich verlassen können auf uns."
    Im Einzelfall solle der Bundestag dann auch die Einsatzentscheidung treffen. Klar sei aber, dass es eine engere Zusammenarbeit von Regierung und Abgeordneten geben müsse, sagte Rühe. "Es geht um die Sicherung der Rechte des Parlaments in einer Welt, in der es nicht mehr nur rein nationale Armeen gibt." Die Regierung habe in der Vergangenheit Fehler gemacht und so Deutschlands Nachbarn verunsichert.
    Der ehemalige Verteidigungsminister forderte weiter, neue Waffensysteme sollten nicht mehr rein national angeschafft werden. Bei teuren Projekten sei eine Zusammenarbeit mit anderen Nationen möglich. Rühe kündigte an, die Empfehlungen der von ihm geleiteten Kommission zur künftigen Rolle des Parlaments bei Auslandseinsätzen sollten Anfang 2015 vorliegen.

    Das Interview in voller Länge:
    Silvia Engels: In diesem Frühjahr setzte der Bundestag eine Kommission ein, die sich die Frage vorlegte, ob die jetzigen parlamentarischen Regeln, die bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr gelten, geändert werden müssen. Die Leitung der Kommission hat Volker Rühe von der CDU übernommen. Von 1992 bis 1998 war er Bundesverteidigungsminister im Kabinett von Bundeskanzler Helmut Kohl. Zu welchen Zwischenergebnissen ist Ihre Kommission denn bislang gekommen?
    Rühe: Ich denke, wir sind auf einem guten Wege. Wir stimmen alle überein, dass es ein hohes Gut ist, die Mitwirkung des Bundestages. Das ist ganz wichtig für den Rückhalt für die Soldaten innerhalb der Bevölkerung. Aber wie eben dargestellt: Wir haben eigentlich gar nicht mehr länger rein nationale Armeen in Europa. Die Arbeitsteilung wird immer stärker, und das ist auch notwendig, um zu vermeiden, dass es zu einer Renationalisierung kommt, die einmal gar nicht bezahlbar wäre und zum anderen auch den europäischen Geist zerstören würde. Und deswegen suchen wir nach einem Verfahren, wie Bundesregierung und Bundestag zusammenarbeiten können.
    Im Übrigen war es häufig auch die Bundesregierung, die falsche Entscheidungen getroffen hat. Der Abzug unserer Soldaten aus den AWACS-Flugzeugen, was andere handlungsunfähig macht – das sind Aufklärungsflugzeuge -, so was darf nicht wieder passieren. Eine Vorstellung ist in der Tat die, dass die Regierung einmal im Jahr dem Parlament berichtet, wo andere sich in Abhängigkeiten von uns begeben haben, wo es europäische Fähigkeiten der Bundeswehr gibt, auf die sich auch andere verlassen. Das sollte das Parlament von Anfang an zustimmend zur Kenntnis nehmen, aber dann im Einzelfall sicherlich auch die Einsatzentscheidung treffen.
    Engels: Aber wie soll das im praktischen Fall gehen? Soll im Ernstfall, wenn es vielleicht auch schnell gehen muss bei solchen Bündnisfällen, das Parlament hinter dieser Verpflichtung zurückstehen?
    Rühe: Die Schnelligkeit war nie das Problem. Wir haben schon zu meiner Zeit einmal an einem Tag eine Entscheidung getroffen. Oder sonst kann auch der Bundestag in zwei oder drei Tagen mit den entsprechenden Lesungen von Mittwoch bis Freitag die Entscheidungen treffen. Das Entscheidende ist, dass unsere Freunde und Nachbarn in Europa sich verlassen können auf uns. Die gesicherte Zurverfügungstellung der Fähigkeiten, die ich transnational nenne, europäische Fähigkeiten, darauf kommt es an.
    Ich will Ihnen ein Beispiel geben, in die Zukunft gedacht. Es soll ja jetzt einen schnellen Einsatzverband geben, der innerhalb von 48 Stunden eingesetzt werden kann, und ich denke, es wäre gut, wenn die Bundesregierung, wenn das in der NATO abschließend geregelt ist, ins Parlament geht und dem Parlament berichtet, in welche Abhängigkeiten wir uns begeben haben und was von uns erwartet wird, wenn wir die anderen nicht lahmlegen wollen. Das sollte das Parlament zustimmend zur Kenntnis nehmen. Dann kann es in der konkreten Situation immer noch – das gibt es – auch die Möglichkeit einer Eilentscheidung geben.
    Es muss also eine engere Zusammenarbeit von Regierung und Parlament geben. Es gibt eine gemeinsame Verantwortung. Und noch einmal: Es war häufig auch die Regierung, die durch mangelnden Führungswillen unsere Nachbarn verunsichert hat, ob sie sich wirklich auf Deutschland verlassen können. Aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg und werden das bis Anfang nächsten Jahres auch zustande bringen.
    Engels: Was würde denn das zum Beispiel bei einer Erweiterung der Truppenpräsenz im Baltikum bedeuten? Wie würde das genau ablaufen?
    Rühe: Es gibt keine Erweiterung der Truppenpräsenz im Baltikum, wie Sie wissen, ...
    Engels: Für den Fall, dass ...
    Rühe: ..., sondern es gibt die Überlegung für einen Einsatzverband der NATO, der innerhalb von 48 Stunden eingesetzt werden kann. Wenn eine solche Vereinbarung geschlossen wird, sollte die Regierung ins Parlament gehen und dem Parlament von Anfang an klar machen, welche deutschen Soldaten hier involviert sind und was das für Deutschland bedeutet und wo sich andere auf uns verlassen. Das sollte das Parlament zustimmend zur Kenntnis nehmen. Das ändert nichts daran, dass man dann in einer konkreten Situation die Einsatzentscheidung trifft. Aber wir haben schon jetzt etwa in Brunssum, was wir besucht haben, ein Hauptquartier der NATO. 30 Prozent werden von deutschen Soldaten gestellt, auch der Chef, und der müsste zu Hause bleiben, wenn dieses Hauptquartier verlegt wird, bis der Bundestag entscheidet. Deswegen ist es wichtig, dass die Regierung regelmäßig ins Parlament geht und sagt, wo sind die Hauptquartiere, wo sind zum Beispiel Luftbetankungsfähigkeiten, auf die sich andere verlassen. Überhaupt neue Waffensysteme für die Zukunft sollten wir in aller Regel nicht mehr rein national beschaffen, große teure Waffensysteme, sondern europäisch abgestimmt arbeitsteilig. Das spart Geld, aber das bringt dann auch die Verantwortung mit sich, dass die Dinge zur Verfügung stehen, wenn die Situation gegeben ist.
    Engels: Die jetzt erörterten Fälle betreffen ja Beispielfälle, wo innerhalb des NATO-Bündnisses operiert werden soll. Jetzt ist es aber auch so, dass an die Bundeswehr, an die Bundesregierung auch andere Ansprüche herangetragen werden. Schauen wir auf den Konfliktherd Irak. Da versucht ja nun US-Präsident Obama, erneut eine Koalition der Willigen zusammenzustellen, jenseits der Bündnisverträge der NATO. Es geht darum, die radikal-islamistische Miliz IS zu bekämpfen. Wenn die Bundesregierung hier beschließt, sich zu beteiligen, sollte man dann auch hier Möglichkeiten einräumen, das Parlament später oder anders zu informieren?
    Rühe: Ja. Das ist ja 20 Jahre lang praktiziert worden: bei Afghanistan, bei Somalia, bei Bosnien, beim Kosovo. Dafür ist das Gesetz ja geschaffen worden, für die Einsätze im Ausland.
    Engels: Das heißt, da gehen Sie gar nicht ran, an solche Fälle? Das bleibt so wie es ist?
    Rühe: Das steht ja gar nicht zur Diskussion, sondern es geht um bestimmte Fähigkeiten der Bundeswehr, die transnational sind, auf die sich auch andere verlassen. Und darüber sollten Parlament und Regierung einmal im Jahr sprechen, im Wissen, dass andere sich auf uns verlassen. Wir kommen immer mehr dazu, arbeitsteilig in Europa die Verteidigung zu organisieren. Die Niederländer haben keine Panzer mehr. Es muss auch nicht jeder Panzer haben. Aber dann muss man sich auch auf die Kräfte des anderen verlassen können. Das ist eine zentrale Frage der europäischen Sicherheitspolitik. Und hier muss es von Anfang an eine Gemeinsamkeit von Regierung und Parlament geben. Es kommt also darauf an, das Parlament frühzeitig zu informieren, frühzeitig in Mitverantwortung zu nehmen, wenn die Regierung solche internationalen Bindungen eingeht.
    Engels: Aber über den konkreten Fall, den ich gerade beschrieben habe, müsste das Parlament wie bisher dann auch mit entscheiden?
    Rühe: Das ist ja überhaupt gar keine Frage! Aber erstens gibt es den Fall nicht und zweitens ist das überhaupt gar nicht die Frage. Das Parlament soll entscheiden und wird entscheiden. Aber es soll früher informiert werden, wo die Bundesregierung Verantwortung übernimmt im Hinblick auf andere Nationen, wo wir gemeinsam handeln und wo sich andere auch auf die gesicherte Verfügbarkeit unserer militärischen Fähigkeiten verlassen können.
    Engels: Nun gab es ja rund um einen nächsten Beispielfall auch eine Debatte. Da ging es um die jüngsten Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak, dass klar war, dass aufgrund der gesetzlichen Basis hier der Bundestag debattieren konnte, aber nicht mitentscheidet. Da liegt die Entscheidung bei der Exekutive. Sollte denn das Ihrer Ansicht nach geändert werden?
    Rühe: Nein, es sollte nicht. Es sollte ja auch noch einen Raum für Regierungshandeln geben. Sonst können wir die Regierung abschaffen und gleich nur das Parlament entscheiden lassen und vielleicht einen Ausschuss im Parlament gründen. Nein, es muss auch den Raum für Regierungshandeln geben. Das ist hier auch klar geworden. Das ändert nichts daran, dass ganz natürlich ist in einer Demokratie, dass das Parlament auch darüber diskutiert.
    Engels: Linke und Grüne arbeiten ja in Ihrer Kommission nicht mit, weil sie gefürchtet haben, dass bei Entscheidungen über Auslandseinsätze zu viele Rechte vom Parlament an die Exekutive übergehen. Denken Sie, Sie können diese Sorge nun zerstreuen?
    Rühe: Das denke ich. Wer sich informiert – und das wird ja immer deutlicher werden in den nächsten Monaten; ich werde auch trotzdem den Kontakt suchen -, der weiß: Es geht hier nicht um weniger Rechte für das Parlament, sondern um die Sicherung der Rechte des Parlaments in einer Welt, in der es nicht mehr rein nationale Armeen gibt, sondern Armeen mit europäischen, mit transnationalen Fähigkeiten, und das gilt auch für die Bundeswehr.
    Engels: Herr Rühe, Sie waren lange Jahre Verteidigungsminister. Nun hat die jüngste Zuspitzung des Ukraine-Konflikts ja auch die Frage der generellen Verteidigungsfähigkeit und Ausrichtung des Bündnisses NATO neu belebt. Müssen die deutschen Gelder für den Verteidigungsetat da aufgestockt werden?
    Rühe: Drei Dinge müssen geschehen. Erstens muss das Geld, was das Parlament bewilligt, auch ausgegeben werden. In diesem Jahr gibt die Verteidigungsministerin Hunderte von Millionen zurück, weil die Rüstungsvorhaben nicht rechtzeitig kommen. Das hat sie geerbt, das Problem. Aber für die Zukunft, für das nächste Jahr muss sichergestellt werden durch ein bestimmtes Verfahren, dass die Mittel, die das Parlament bewilligt, auch ausgegeben werden.
    Das Zweite ist, und da kommt unsere Kommission ins Spiel: Wir müssen bei den teuren großen Projekten der Zukunft – ich denke an Drohnen oder auch an MEADS-Abwehrsystem – in Zusammenarbeit mit anderen Nationen - ich denke auch, dass wir mit den Polen mehr zusammen machen müssen – gemeinsame integrierte Projekte starten. Das spart Geld, wenn das nicht rein national gemacht wird.
    Und erst drittens muss man dann prüfen, ob, wenn mehr geübt werden muss, wenn es eine schnellere Verfügbarkeit geben soll, auch mehr Mittel zur Verfügung stehen müssen. Aber diesen Dreierschritt, den brauchen wir. Das Geld, was das Parlament in diesen Tagen bewilligt, das muss auch wirklich ausgegeben werden für die Fähigkeiten der Bundeswehr im nächsten Jahr. Das muss sichergestellt werden. Und zweitens: Wir müssen aufhören, rein national zu denken. Wir können Geld sparen, zunächst die kleinen und mittleren Nationen, später auch die großen, indem wir die europäische Verteidigung stärker transnational und arbeitsteilig organisieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.