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Auslandsgeheimdienst der Stasi
DDR-Schlapphüte fühlten sich als Elitetruppe

Dass die Hauptverwaltung Aufklärung, die HV A, nach dem Mauerfall ihre Akten zum Großteil vernichtet hat, erschwert die Erforschung des Auslandsgeheimdienstes der DDR. Wie sehr dieser in kriminelle Machenschaften verwickelt war, beschäftigt die Historiker.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger | 18.01.2018
    Blick in eine Telefonzentrale der Stasi
    Blick in eine Telefonzentrale der Stasi (picture alliance/dpa/ADN)
    Lange vor ihrem Ende war die Hauptverwaltung Aufklärung, der Auslandsgeheimdienst der DDR, ein Mythos. Dieser hatte nicht wenig mit Markus Wolf zu tun, dem "Mann ohne Gesicht", der ihn mehr als 30 Jahre lang, von 1952 bis '86, leitete. Allerdings ranken sich auch um andere Auslandsnachrichtendienste Legenden, stellt Prof. Daniela Münkel klar:
    "Der Markus Wolf, den keiner kannte. 1979 taucht dann das Bild auf im 'Spiegel', was irgendjemand in Schweden geschossen hat. Und der geriert sich ja auch ganz anders, dieser intellektuelle Typ aus der Familie. Das ist schon was anders, was die Leute sich nicht unter einem führenden Stasi-Offizier vorgestellt haben, und das ist eben auch ein Mythos. Auch das Pflegen des Geheimen auf ganz besondere Art. Als das erste Bild von Gehlen auftauchte, das war auch eine schiere Sensation so ungefähr."
    Obwohl die Hauptverwaltung Aufklärung ihre Akten vernichtete, wurde durch Rückgriff auf die Hinterlassenschaften anderer MfS-Abteilungen etliches über ihre Struktur und die Methoden der so genannten Westarbeit bekannt, erzählt die Projektleiterin in der Forschungsabteilung der Stasi-Unterlagenbehörde.
    1988 waren rund 3000 Inoffizielle Mitarbeiter in der Bundesrepublik unterwegs, berichtet Daniela Münkel, die Hälfte davon im Auftrag der HV A. Mit etwa 4500 hauptamtlichen Mitarbeitern am Ende der DDR-Zeit sei der Auslandsgeheimdienst alles andere als in der Lage gewesen, 60 Millionen Westdeutsche zu unterwandern.
    Kauf von Stimmen beim Misstrauensvotum gegen Willy Brandt
    "Dennoch: Die HVA war relativ erfolgreich in bestimmten Spionagefeldern. Ich denke an die Wirtschaftsspionage, ich denke auch an die Infiltrierung der Sicherheitsbehörden. Aber dennoch kann man nicht davon sprechen, dass die HV A und damit der Auslandsgeheimdienst des MfS die Geschicke der Bundesrepublik bestimmt hat. Auch wenn sie gern das Bild von sich so darstellen. Die nachhaltigste Einflussnahme der HVA auf die Geschicke der Bundesrepublik war der Kauf der zwei Stimmen beim konstruktiven Misstrauensvotum gegen Willy Brandt."
    Den 'Mythos von der guten HV A', wie die Veranstaltung hieß, versuchten die früher Beteiligten mindestens in den 1990er Jahren noch zu verteidigen. Werner Großmann, nach Markus Wolf der letzte Leiter, schrieb für eine Erklärung vor Gericht:
    "Wir, die Angehörigen der Auslandsaufklärung, haben keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Wir sind nicht in bewaffnete Aktionen oder irgendwelche anderen aggressiven Handlungen gegen andere Länder verstrickt gewesen. Wir haben keine Gewaltverbrechen begangen und keine terroristischen Organisationen – weder RAF noch andere – bei solchen Verbrechen unterstützt. Unsere Aufgabe war der Schutz der DDR und des Friedens."
    Ein Mitarbeiter des des Fraunhofer Instituts in Berlin zeigt zerrissene Stasi-Unterlagen.
    Ein Mitarbeiter des des Fraunhofer Instituts in Berlin zeigt zerrissene Stasi-Unterlagen. (picture-alliance/ dpa)
    Zwar bekämpfte die HV A als Teil der Staatssicherheit auch die DDR-Opposition, wie Großmann in seinen Memoiren 2001 wissen ließ. Doch bestand ihre Hauptaufgabe darin, Widersachern im Ausland auf die Schliche zu kommen – darunter Ausgebürgerten oder geflüchteten Dissidenten.
    Ein Beispiel ist Wolfgang Welsch. Der angehende Schauspieler wurde nach mehrmaliger politischer Inhaftierung 1971 auf Initiative von Willy Brandt freigekauft. Weil er in der Bundesrepublik eine erfolgreiche Fluchthilfe-Organisation aufbaute, wurde er Opfer dreier Mordanschläge des MfS, zwei davon unter Mitwirkung der HV A, wie er erzählt:
    "Man stelle sich den Aufwand vor, ein in Darmstadt gekauftes Motorhome via Seeweg acht Wochen über Nordsee durchs Mittelmeer nach Haifa zu schippern, dort den Wagen mir als Mietwagen anzudienen, noch mit Darmstädter Nummer. Und genau dieses Fahrzeug war zu dem Zweck beschafft worden, dass man dort ein Essen zubereitet, wo man das Schwermetall Thallium dann untermischen kann."
    Führungsoffizier erhängte sich in der Untersuchungshaft
    Wolfgang Welsch überlebte schwer verletzt. Erst nach dem Mauerfall habe man ihm im Westen geglaubt, welche Methoden die DDR-Staatssicherheit anwandte, erzählt er. Der angebliche Freund, der ihn vergiften wollte, wurde zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, dessen Führungsoffizier erhängte sich 1993 in der Untersuchungshaft in Berlin-Moabit.
    Die Historikerin Susanne Muhle hat in ihrem Buch "Auftrag: Menschenraub" weitere kriminelle Machenschaften der Stasi untersucht. Diese verschleppte in den 1950er und 60er Jahren rund 400 Menschen aus West-Berlin und der Bundesrepublik in die DDR.
    "Das Verfahren gegen Markus Wolf in den 90er Jahren, das erste richtete sich tatsächlich gegen die Spionagearbeit, das zweite Verfahren dann aber tatsächlich der Vorwurf der Freiheitsberaubung in insgesamt vier Fällen. Und dort ist er auch verurteilt worden zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die auf Bewährung ausgesetzt worden ist."
    Anders der Fall von Georg Angerer. Spionagechef Markus Wolf versuchte diesen für eine Kampagne gegen den damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, zu benutzen, erzählt Joachim Lampe, als ehemaliger Bundesanwalt am Bundesgerichtshof mit den Verfahren gegen Wolf in den 90er Jahren befasst. Der deutsche Kommunist und Willy Brandt hatten sich 1935 mehrmals in Norwegen getroffen. Angerer arbeitete dann als Dolmetscher für die Deutschen, auch für die Gestapo – und zog nach dem Krieg in die DDR.
    "Und jetzt kommt '59, Jahre später, Willy Brandt ist Regierender Bürgermeister, Wolf – und Wolf fällt ein, dass man die Geschichte, den Kontakt Angerer/Brandt doch für eine Agitation gegen Willy Brandt einsetzen kann. Er unterschrieb den Haftbefehl im Bewusstsein, dass auf sonst legalem Wege in der DDR ein solcher Haftbefehl nicht zu erlangen war. Und hat diesen Haftbefehl auch zwei-, dreimal verlängert. Als kleine Pointe dazu: Hat Erich Mielke gesagt: Jetzt ist Schluss."
    80 Säcke mit Schnipseln bei der Stasi-Unterlagenbehörde
    Markus Wolf habe in den Prozessen jede Beteiligung der HV A an verbrecherischen Stasi-Aktionen abgestritten, erzählt Joachim Lampe. Doch der Auslandsgeheimdienst fühlte sich als Elitetruppe – im Recht, sich aller Mittel zu bedienen.
    Die Forschung ist nicht am Ende. Noch lagern rund 80 Säcke mit HV A-Schnipseln im Keller der Stasi-Unterlagenbehörde, wie es dort heißt. Auch die Unabhängige Historikerkommission zur Erforschung des BND, der Daniela Münkel angehört, ist den DDR-Schlapphüten auf der Spur,...
    "...wie genau die Infiltration auch eben der westdeutschen Geheimdienste durch die HV A war und wie man sozusagen gegenseitig agierte – ein Stellvertreterkrieg: der Krieg der Geheimdienste im Kalten Krieg."
    Die HV A war erfolgreicher, sagt Daniela Münkel. Anders als ihr sei es der Organisation Gehlen, dem späteren BND, nie gelungen, einen Spion im engeren Zirkel des MfS zu platzieren.