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"Die neuen Wilden" von Fred Pearce

"Die neuen Wilden" ist ein überzeugendes Plädoyer für eine Willkommenskultur gegenüber fremden Pflanzen und Tieren. Der renommierte englische Umweltjournalist Fred Pearce zeigt in seinem neuen Buch anhand vieler Beispiele und mit guten Argumenten, dass die Rückkehr zu einer angeblich ursprünglichen Wildnis nicht möglich ist. Nirgendwo. Sie führt bestenfalls zu einer Art Naturmuseum.

Von Michael Lange. | 21.04.2016
    Marderhund-Mutter mit ihren Welpen im Freigehege eines Wildparks
    Der Marderhund stammt aus Asien. Seit ein paar Jahrzehnten breitet er sich in Mitteleuropa aus. (Foto: Ronald Wittek)
    "Wir haben unseren Planeten schon zu sehr verändert, und die Natur kehrt nicht um in irgendeine Vergangenheit. In der Kraft der Fremden und ihrer Fähigkeit, neue Gebiete zu kolonisieren, zeigt sie ihre Widerstandsfähigkeit."
    Viele zugewanderte Tiere oder Pflanzen sind längst Teil ihrer neuen Heimat geworden. In den meisten Fällen erhöhen sie die lokale Artenvielfalt. Aber es gibt sie natürlich, die viel beklagten Negativbeispiele. Neulinge, die die Alteingesessenen verdrängen oder sie überwuchern. Zu ihnen gehört die so genannte Killer-Alge Caulerpa taxifolia. Sie breitete sich im Mittelmeer explosionsartig aus. Fred Pearce meint, dass man das auch anders sehen kann.
    "Caulerpa siedelte auf kahlen Felsen, nachdem die Seegraswiesen durch Schadstoffe vernichtet worden waren. Sie schuf dort keine ökologische Wüste, sondern eine blühende Kinderstube für alle möglichen Meeresbewohner. Der Alge aus dem Indischen Ozean schmeckten die Abwässer im Mittelmeer so gut, dass sie sich als effektives Mittel gegen die Verschmutzung erwies."
    Inzwischen befindet sich die angebliche Killer-Alge auf dem Rückzug. Befürchtungen, sie würde das Mittelmeer in eine leblose Wüste verwandeln, haben sich als unbegründet erwiesen. Denn die Natur ist stärker als die meisten Naturschützer glauben.
    "Spatz und Wasserhyazinthe, Wildschwein und Zebramuschel weisen den Weg. Ihr Erfolg ist kein Zeichen für den Niedergang der Natur, sondern dafür, dass sie zurückschlägt. Alle diese Spezies halten dort Einzug, wo wir die Dinge verpfuscht haben."
    Fred Pearce schreibt einfach und überzeugend. Er hat zahlreiche Experten befragt und entwirft kenntnisreich ein neues Bild der Ökologie. Weg vom angeblichen Gleichgewicht der Arten, hin zu einer ökologischen Dynamik. Es gibt keine festgefügten Gemeinschaften ortsansässiger Lebewesen. Wenn ein Glied fehlt bricht das System keineswegs zusammen wie ein Kartenhaus. Stattdessen entsteht ständig etwas Neues.
    "Die alte Wildnis ist tot. Aber die neue Wildnis blüht und gedeiht und das umso mehr, wenn wir ihr ihren Willen lassen."
    Wer die die Natur schützen möchte, sie verstehen will und bereit ist, lieb gewonnene Vorurteile über Bord zu werfen – sollte dieses Buch unbedingt lesen. Die Natur unterscheidet nicht zwischen Gut und Böse. Keine biologische Art war schon immer da, wo sie jetzt ist. Alles fließt.
    Das Buch macht Hoffnung trotz Umweltzerstörung - und Lust auf neue und alteingesessene Pflanzen und Tiere – vor der eigenen Haustür.
    Fred Pearce: "Die neuen Wilden"
    320 Seiten, oekom verlag München, 2016