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Ausnahmezustand
Frankreich rüstet auf

Frankreich befindet sich im Krieg: Das hatte Präsident Francois Hollande unmissverständlich nach den Attentaten von Paris erklärt. Jetzt gilt der Ausnahmezustand im gesamten französischen Staatsgebiet. Von heute an sollen 10.000 Militärs patrouillieren, mehr als die Hälfte davon in Paris. Einige Juristen fürchten, dass demokratische Grundrechte zu sehr eingeschränkt werden.

Von Bettina Kaps | 17.11.2015
    Soldat unter dem Eiffelturm in Paris
    Soldat unter dem Eiffelturm in Paris (dpa / picture alliance / Guillaume Horcajuelo)
    Im Innenhof des Louvre gibt Leutnant Emanuel den Tagesbefehl aus: Die Touristenzone rund um die Kathedrale Notre Dame und der Louvre müssen von neun Uhr früh bis zehn Uhr abends überwacht werden, sagt der Offizier.
    "Ich will, dass ihr bei Notwehr alle Vorschriften strikt einhaltet: Falls ihr jemanden auf frischer Tat ertappt, greift ihr ein und beendet die Straftat, indem ihr den Angreifer außer Gefecht setzt. Ihr haltet den Täter mit geringst möglichem Einsatz von Gewalt fest. Ihr nehmt keine Verfolgungsjagd auf."
    Zugführer Alexandre gibt die Order an seine Patrouille weiter.
    "Wir müssen wachsam bleiben. Unser Auftrag: Das Gebiet rund um das Museum überwachen, jede Auffälligkeit melden. Wir müssen beruhigen, schützen, abschrecken."
    Jeder Soldat hält ein Sturmgewehr vor der Brust, den Lauf nach unten gerichtet, der Zeigefinger liegt ausgestreckt neben dem Sicherheitshebel, nah am Abzug.
    Alexandre gehört einem Regiment an, das im ostfranzösischen Besançon stationiert ist. Seine Kompanie patrouillierte schon vor den jüngsten Attentaten in Paris, um die Operation Sentinelle zu unterstützen - das ist der militärische Teil des noch umfassenderen Anti-Terror-Plans Vigipirate. Fallschirmspringer Christophe wurde erst am Samstag mit seinen Soldaten aus dem südfranzösischen Carcassonne nach Paris abkommandiert.
    "Ich bin froh, dass ich jetzt an der Operation teilnehmen kann, ich will mein Bestes tun, um mich nützlich zu machen."
    Die Operation Sentinelle wurde nach den Attentaten vom Januar ins Leben gerufen. Zunächst waren 10.000 Soldaten mobilisiert worden, um Frankreich vor weiteren Anschlägen zu schützen. In den folgenden Monaten wurde die Zahl auf 7.000 Soldaten verringert. Von heute an sollen erneut 10.000 Militärs patrouillieren, mehr als die Hälfte davon in Paris: Sie bewachen Flughäfen, Bahnhöfe, die großen Pariser Metro-Stationen, alle jüdischen Schulen und Synagogen, zwei Moscheen, eine Kirche. Personen dürfen sie nicht kontrollieren und auch niemanden festnehmen.
    An schwer bewaffnete Soldaten auf ihren Straßen sind die Pariser aber schon seit Jahrzehnten gewohnt, sagt Oberst Benoit Brulon, ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.
    "Zum ersten Mal wurde die Armee 1991 am Schutz der inneren Sicherheit beteiligt, zur Zeit des Golfkriegs. Danach kehrte für kurze Zeit Normalität ein, doch 1995 gab es in Frankreich eine große Anschlagsserie. Seitdem ist das Militär hier permanent im Einsatz."
    Ausnahmezustand als Dauerzustand?
    Der Plan für die Ausnahmesituation ist also zum Dauerzustand geworden, kritisiert Jean-Pierre Dubois, der Ehrenpräsident der französischen Liga für Menschenrechte.
    "In einer Demokratie sollte es für eine solche Maßnahme zwei Kriterien geben: Erstens muss sie notwendig sein und zweitens muss sie demokratisch kontrolliert werden. Beides erscheint uns mehr als fragwürdig."
    Das Konzept für den Anti-Terror-Plan wurde Ende der 1970er Jahre entworfen, sagt der Professor für Verfassungsrecht. Das genaue Datum kenne er nicht, weil der Plan keine eindeutige rechtliche Grundlage habe, nie im Parlament debattiert und schon gar nicht per Gesetz festgeschrieben worden sei. Oberst Brulon räumt ein, dass auch er keine Einzelheiten kennt:
    "Ich kann Ihnen nicht sagen, auf welcher juristischen Grundlage der Plan Vigipirate beruht. Ausgearbeitet wurde er von der Abteilung Nationale Sicherheit, die beim Premierminister angesiedelt ist."
    In Frankreich seien politische Entscheidungsprozesse im Bereich Sicherheit leider oft undurchsichtig, kritisiert der Jurist Jean-Pierre Dubois.
    "Das stammt aus der Zeit des Algerienkriegs und den Anfängen der 5. Republik. In Frankreich ist die demokratische Kontrolle nicht immer gewährleistet: In Sicherheitsfragen haben wir uns an ein monarchistisches System gewöhnt, das Ausnahmen zulässt."
    Dass Frankreich jetzt Sicherheit über demokratische Grundrechte stelle und die Regeln einer freien Gesellschaft einschränke, das ist die größte Sorge des Juristen.