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Ausnahmezustand in der Türkei
Druck auf Aktivisten wächst

Nach der Abstimmung für die Verfassungsreform in der Türkei hat die Regierung den Ausnahmezustand verlängert. Viele Aktivisten, die bereits Opfer der massiven Repressionen geworden sind, fürchten nun eine Verschärfung der Situation - und überlegen, die Türkei zu verlassen.

Von Sabine Adler | 19.04.2017
    Erdogan-Gegner demonstrieren am Montagabend in Istanbul
    Erdogan-Gegner demonstrieren in Istanbul. (AFP)
    Die jungen Leute haben sich nach hier oben auf die Festung von Ankara verzogen, weg von den Älteren und deren Angst. Die ist mit Händen zu greifen. Öztürk Yilmaz, Vize-Parteichef der oppositionellen CHP, die gestern den Antrag auf die Annullierung des Referendums stellt hat, spricht von blanker Willkür.
    "Beamte können ihre wahre politische Einstellung nicht kundtun. Diese drei Millionen fürchten, sonst gefeuert zu werden ohne jede Begründung. Auch die 3,8 Millionen Sozialhilfeempfänger halten sich zurück, aus Angst, dass man ihnen das Geld streicht. Am schlimmsten ist es aber, wenn man dich des Terrors verdächtigt. Dann wirst du gefeuert, ins Gefängnis gesteckt."
    Keine Sicherheit für Wahlbeobachter
    Basak Yavcam ist Politik-Professorin in Ankara, nebenberuflich leitet sie hier die Wahlbeobachtungs-Organisation – "Oy ve Ötesi", "Wahl und mehr". Sie kann die Sicherheit ihrer freiwilligen Helfer nicht mehr garantieren.
    "Der Ausnahmezustand betrifft auch uns als Stiftung. Wir haben beim Referendum nicht wie sonst zum Wählen mobilisiert, denn wir sind nicht mehr genügend geschützt, so dass am Wahltag keiner unserer Beobachter unterwegs war."
    Fast 1600 Nichtregierungs-Organisationen sind bereits verboten worden. Existenzgefährdend wird es, wenn plötzlich mit der Arbeit Schluss ist. Die 36-jährige Kunstpädagogin Tugba Gayret war nie so froh wie jetzt, noch keine Kinder zu haben. In einem gut besuchten Café in Ankara erzählt sie, dass sie sich vor acht Monaten plötzlich zusammen mit ihren 300 Lehrerkollegen auf der Straße wiederfand, weil ihre IPEK-Universität geschlossen wurde. Angeblich weil sie Verbindungen zu dem als Terroristen gebrandmarkten Prediger Fetullah Gülens hatte.
    "Die Polizei kam, versiegelte unser Tor und schloss unsere Universität. Man verfrachtete uns auf faschistische Weise brutal auf LKW, mit denen wir fortgebracht wurden. Ich bin weder eine Unterstützerin von Fetullah Gülen, oder von anderen Politikern. Ich bin eine völlig unpolitische Person. Ich mache einfach meinen Job."
    Knappe Hilfe für entlassene Kollegen
    Ihr Fehler: Sie hatte sich an dieser Universität um eine Stelle bemüht und war genommen worden. Jetzt ist auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen. Sie überlegt, die Türkei zu verlassen, denn sie findet keine Arbeit.
    Sie sagt: "In allen Bewerbungsgesprächen werde ich zu meiner politischen Einstellung befragt. Man behält nicht einmal meine Unterlagen, immer heißt es, wir haben nichts für sie. Sie waren an der IPEK Universität."
    Viele, die noch lange Jahre arbeiten müssen, beneiden die Älteren, wie Yalcin Karatepe, den ehemaligen Dekan der Ankara-Universität. Er hilft den entlassenen Kollegen so gut er kann, allein in seinem Freundeskreis 30 Personen.
    "Wir sammeln Geld für sie, aber sie haben Kinder, Familie, unsere Unterstützung ist nur ein kleiner Beitrag, reicht nur zum Überleben."