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Außen- und Verteidigungspolitik bei den Sondierungen
"Die Tonlage ist ein bisschen routinierter"

Im Vergleich zur Verkehrspolitik seien die jüngsten außenpolitischen Sondierungsgespräche "wie eine Erholung" gewesen, sagte der Grünen-Politiker Omid Mouripour im Dlf. Allerdings müsste die Sinnhaftigkeit der derzeit 13 Bundeswehr-Mandate jeweils im Detail überprüft werden. Und Waffenverkäufe an Saudi-Arabien würde seine Partei nicht mittragen.

Omid Nouripour im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 03.11.2017
    Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour.
    Omid Nouripour, Bündnis 90 / Grüne: "Der Sinn von Außenpolitik ist, die Interessen der Bundesrepublik Deutschland zu achten und nicht in erster Linie die monetären Interessen anderer." (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Tobias Armbrüster: Wir leben in einer Art Interregnum in der deutschen Politik. Der Bundestag ist gewählt, aber die möglichen Regierungspartner, die sind immer noch dabei, sich gegenseitig zu beschnuppern. Es ist die Zeit der Sondierungsgespräche. Seit zwei Wochen laufen die und bislang läuft es da mal mehr, mal weniger harmonisch. Gestern standen Themen auf der Tagesordnung, bei denen Streit programmiert ist zwischen Union, FDP und Grünen. Es ging unter anderem um Außen- und Verteidigungspolitik, Felder, auf denen wahrscheinlich vor allem die Grünen so einige Kröten schlucken müssen. – Am Telefon ist jetzt der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour, auch er mit dabei in den Sondierungen. Guten Morgen, Herr Nouripour!
    Omid Nouripour: Schönen guten Morgen.
    Armbrüster: Wir wollen erst mal immer genau wissen, was da genau passiert hinter den verschlossenen Türen. Können Sie uns da ganz undiplomatisch ein bisschen Einblick gewähren, wie es gestern war?
    Nouripour: Ich war selber persönlich gestern nicht dabei. Aber was erzählt wird ist, dass in diesem Bereich es so was war wie eine Erholung, verglichen beispielsweise mit dem Verkehrsbereich. Es gibt sehr viele harte Kontroversen, die wir in dem Bereich haben, die wir auch miteinander fahren werden, aber Reinhard Bütikofer hat gestern gesagt, an Außen- und Verteidigungspolitik würde Jamaika voraussichtlich nicht scheitern. Es gibt weit kontroversere Themenbereiche, auch wenn wir wissen, dass es sehr, sehr viele große Hindernisse gibt, die man noch aus dem Weg räumen müsste.
    "Alle wissen, dass Deutschland ein großes Gewicht in der Welt hat"
    Armbrüster: Sie müssen uns das genauer erklären, wie das klappen kann, grüne Außenpolitik gemeinsam mit Union und FDP. Was passt denn da eigentlich zusammen?
    Nouripour: Zusammen passt, dass wir genauso wie alle anderen auch natürlich erstens wissen, dass Deutschland ein großes Gewicht in der Welt hat und dass Deutschland auch mehr Verantwortung tragen muss, und dass wir auch wissen, dass das ein Bereich ist, bei dem parteipolitische Spielchen und Auseinandersetzungen, die nicht sehr sachlich sind, auch nach außen getragen werden, und zwar sehr weit nach außen. Wenn wir uns in der Frage des Umgangs mit Trump komplett zerlegen auf offener Bühne, dann müssen wir davon ausgehen, dass das auch in den USA ankommt. Das heißt, das diszipliniert schon ein wenig, weil wir auch merken, dass das grundsätzlich in der Außenpolitik so ist, dass wir – wie gesagt – sehr viele verschiedene Akteure haben, die sehr genau schauen, wer jeweils was macht.
    Armbrüster: Das heißt, Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien zum Beispiel, die können weiterlaufen?
    Nouripour: Nein, ganz sicher nicht. Ich glaube, dass das eines der schönen Themen ist, von denen Sie jetzt gesprochen haben, wo wir eine harte Kontroverse haben, wo wir in den letzten Jahren auch sehr hart miteinander gefochten haben. Und ich finde, wenn ich mir anschaue, wie die Lage im Jemen aussieht, das ärmste Land der Arabischen Liga, mittlerweile von Saudi-Arabien in die Steinzeit zurückgebombt, dass es offenkundig ist, dass es notwendig ist, Kritik zu äußern. Ich habe nicht davon gesprochen, dass wir jetzt Harmoniesoße über die Konflikte schütten werden in dem Bereich, aber in der Tonlage ist das alles ein bisschen routinierter und gewöhnter. Wir sind jetzt viel mehr miteinander im Gespräch in dem Bereich als in manchen anderen.
    Armbrüster: Dann lassen Sie uns noch mal kurz bei den Waffenlieferungen bleiben. Da hat sich ja selbst die SPD die Zähne ausgebissen in der vergangenen Großen Koalition. Wie wollen es dann die Grünen schaffen, da etwas auszurichten gegen FDP und Union, wenn die weitermachen wollen mit Rüstungsexporten in solche problematischen Länder?
    Nouripour: Na ja. Es gibt jetzt in dem Fall zwei Themen. Das eine ist Rüstungsexporte an und für sich. Es gibt eine Rüstungsexport-Richtlinie der Bundesregierung, die damals unter Rot-Grün, unter anderem von Claudia Roth mit verhandelt worden ist. Diese gilt bis heute. In dieser steht eindeutig drin, dass in Staaten mit einer solchen Bilanz für Menschenrechte und in Konfliktregionen nicht geliefert werden soll.
    "Niemand käme auf die Idee, dem Iran Waffen zu verkaufen - bei Saudi-Arabien sollte dasselbe sein"
    Armbrüster: Diese Richtlinie haben die Grünen nur damals so schwammig gefasst, dass sie eigentlich nicht unbedingt durchgesetzt werden soll/muss. Sie hat nämlich keine echte Gesetzeskraft.
    Nouripour: Das ist richtig. Deshalb wollen wir daraus ein Gesetz machen. Aber ehrlich gesagt, der Grund, warum wir daraus ein Gesetz machen wollen, ist, dass die letzten Bundesregierungen ihre eigene Richtlinie permanent verletzt haben. Und wenn wir jetzt zu einem Ergebnis kommen, bei dem die Erkenntnis da ist, dass die Bundesregierung die eigenen Richtlinien ernst nehmen muss, dann sind wir schon einen Riesen-Schritt weiter.
    Das zweite Thema war der Umgang mit Saudi-Arabien. Der Umgang mit Saudi-Arabien ist besonders spannend, weil wir auch wissen, dass man mit Saudi-Arabien sprechen und in bestimmten Bereichen auch kooperieren muss. Das ist überhaupt nicht die Frage. Die Frage ist aber, liefert man denen Waffen und bietet man ihnen eine strategische Partnerschaft an. Und bei der Menschenrechtslage dort, bei der Situation im Jemen beispielsweise und bei der Tatsache, dass Saudi-Arabien einer der Akteure ist, aus dem heraus die Salafisten in unseren Fußgängerzonen bezahlt werden, die unsere Kinder in die Radikalität des Dschihadismus verführen, bietet sich doch eine andere Sprache an als die, dass wir denen Waffen verkaufen. Niemand käme auf die Idee, dem Iran Waffen zu verkaufen. Bei Saudi-Arabien sollte dasselbe sein.
    Armbrüster: Aber wenn Sie solche milliardenschweren Geschäfte, hinter denen so viele Interessen stehen, wenn Sie die tatsächlich stoppen wollen, was können Sie denn FDP und Union anbieten, dass die da auf Ihren Kurs einschwenken?
    Nouripour: Die Interessen, die Sie beschreiben, sind monetär. Der Sinn von Außenpolitik ist, die Interessen der Bundesrepublik Deutschland zu achten und nicht in erster Linie die monetären Interessen anderer. Und aus Gründen, die ich gerade genannt habe, beispielsweise die der Salafisten, ist es nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland, dass wir einfach weiterhin so weitermachen wie bisher. Deshalb gehe ich davon aus, dass dort Leute am Tisch sitzen, die auch die Interessen der Bundesrepublik mit vertreten wollen.
    Armbrüster: Was ist, wenn Union und FDP sagen, solche Waffenlieferungen liegen möglicherweise tatsächlich in unserem Interesse?
    Nouripour: Dann werden wir nachfragen, welches Interesse das denn genau ist. In den letzten Jahren hat die Union immer gesagt, na ja, wir kaufen damit Einfluss und wollen damit beeinflussen, dass Saudi-Arabien sein Verhalten ändert. Nichts davon ist derzeit sichtbar. Noch mal: Es geht nicht um das Abreißen oder Zerreißen von Dialogfäden. Es geht aber darum, dass man doch mal erklären muss, was man denn bisher damit erreicht hat, und da ist die Bilanz ausgesprochen dünn.
    Bundeswehr-Mandate "durchdeklinieren"
    Armbrüster: Was ist denn mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr? Sind Sie da alle vier auf einem Nenner? Wenn wir zum Beispiel mal nach Afghanistan blicken, ist da immer noch die deutsche Sicherheit, die dort am Hindukusch verteidigt wird?
    Nouripour: Wir haben 13 Mandate zurzeit laufen und bei – sagen wir mal – der Hälfte haben die Grünen mitgemacht und bei der anderen Hälfte haben wir uns je nach Einsatz enthalten, oder haben Nein gesagt. Es gab dabei jeweils sehr präzise Gründe, warum wir gesagt haben, dass wir den einen Einsatz nicht richtig finden oder den anderen. Wenn ich ein Beispiel sagen darf: Wenn Sie in Somalia Soldaten ausbilden, was an sich richtig ist, um die Staatlichkeit aufzubauen, dann müssen Sie auch dafür sorgen, dass sie danach Löhne bekommen, Sold bekommen. Sonst bilden Sie sie für die Milizen aus.
    Das ist aktuell der Fall in Somalia und deshalb war der Einsatz der Bundeswehr dort, die Ausbildung der somalischen Streitkräfte, für uns unter diesen Bedingungen tatsächlich nicht mehr machbar. Wenn man dazu käme, einen Mechanismus zu finden, bei dem die Soldaten auch danach bezahlt werden, nachdem man sie ausgebildet hat, dann könnte man dem zustimmen. Und so kann man das bei allen Mandaten einmal durchdeklinieren. Es hängt davon ab, ob wir imstande sein werden durchzusetzen, dass die Mandate tatsächlich verbessert werden. Wenn nicht, dann kommen wir da nicht zusammen.
    Armbrüster: Aber es ist ja wieder die gleiche Frage. Wie wollen Sie sich da als Einzelner, als einzelne Partei gegen die anderen drei, die ja da ähnlich ticken, wie wollen Sie sich da durchsetzen?
    Nouripour: Na ja. Wir wollen ja, um jetzt noch mal bei meinem Beispiel zu bleiben, als Koalition, wenn es denn eine gäbe, am Ende handlungsfähig bleiben. Es geht ja auch darum, dass wir am Ende sagen, Leute, hier geht es um einzelne Kritikpunkte, die wir hatten, wir würden uns sehr freuen, wenn dem Rechnung getragen würde, und wenn das passiert, dann stimmen wir auch alle zusammen den Einsätzen zu. Ich gehe auch davon aus, dass es in der FDP auch durchaus den einen oder anderen Punkt gibt, bei dem die sagen, Leute, so können wir nicht mehr weitermachen, und dann werden wir uns tatsächlich da finden. Ich bin da bei den Mandaten, ehrlich gesagt, relativ zuversichtlich, dass wir das hinbekommen. Es gibt aber auch Mandate, die einfach durch das veränderte Umfeld jetzt tatsächlich entweder zu verändern oder zu verbessern sind.
    Der Einsatz im Nordirak ist mittlerweile ein ganz anderer als der, für den er beschlossen worden ist. Es ist beschlossen worden, dass die Peschmerga ausgebildet werden gegen ISIS, und das war auch notwendig, auch wenn aus unserer Sicht die grundgesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben waren. Aber was derzeit passiert, ist, dass es nicht nur gegen ISIS geht, sondern auch gegen schiitische Milizen, gegen iranische Revolutionsgarden und gegen die irakische Nationalarmee in einem Sezessionskonflikt. Dafür haben wir die Bundeswehr nicht hingeschickt. Da stellt sich die Frage der Sinnhaftigkeit des Einsatzes komplett neu.
    Armbrüster: Alles in allem, können Sie sich vorstellen, dass diese Sondierungsgespräche tatsächlich scheitern können, dass die Grünen auch irgendwann sagen können, sorry, Leute, das funktioniert so mit uns nicht?
    Nouripour: Ich kann mir das durchaus vorstellen, auch wenn ich das Gefühl habe, dass in den letzten Tagen vor allem Fortschritte gemacht worden sind. Aber Außen- und Sicherheitspolitik ist nicht das Erste, was mir einfällt, wenn ich mir überlege, woran Jamaika scheitern könnte. Da gibt es im Klimabereich, im Migrationsbereich, im Verkehrsbereich deutlich größere Hürden zu überspringen.
    Armbrüster: Omid Nouripour, der Grünen-Außenpolitiker. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
    Nouripour: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.