Becketts "Glückliche Tage" in Berlin

Glück ist gar nicht so einfach zu haben

Der Regisseur Christian Schwochow.
Sieht auf diesem Foto zufrieden und glücklich aus: Regisseur Christian Schwochow © picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Christian Schwochow im Gespräch mit Dieter Kassel · 20.04.2017
Am 22. April feiert das Stück "Glückliche Tage" von Samuel Beckett Premiere im Deutschen Theater in Berlin. Für den Regisseur Christian Schwochow geht es in dem berühmten Drama nicht so sehr um Glück, sondern um Zweckoptimismus. Dem gefühlten Glücksdruck begegnet er mit bewusster Verweigerung - vielleicht der Grund, warum er momentan glücklich und zufrieden ist.
Im dem Drama "Glückliche Tage" von Samuel Beckett befindet sich die Hauptdarstellerin in einer äußert unglücklichen Situation: Sie steckt nämlich in einem Erdhügel fest, hat im eigentlichen Sinne keinen Spielraum und tröstet sich fortan über das Gefangensein und ihre ausweglose Lage hinweg.
Für den Regisseur Christian Schwochow geht es deswegen in dem berühmten Stück vor allem um Zweckoptimismus, wie er im Deutschlandradio Kultur sagte - es sei kein Stück über das Glück. Seine Interpretation - Premiere am 22. April im Deutschen Theater in Berlin - spiegelt deswegen auch eher Becketts pessimistische Weltsicht, die dieser Anfang der 60er Jahre gehabt habe.

Schlechtes Gewissen, wenn man glücklich ist

Auch in unserer Zeit ist Glück für Schwochow gar nicht so einfach zu haben. Die Welt werde immer komplexer und überfordere viele Menschen zunehmend - deswegen ziehe man sich zurück, um dann "mit den ganz kleinen Dingen ein Glück zu versuchen", betonte er.
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Wer kein Glück hat, braucht vielleicht asiatische Glückskatzen© picture-alliance/ ZB
Für sich selbst hat Schwochow eine Antwort auf den gefühlten Zwang zum Glück gefunden. Er versuche im Alltag, sich nicht ständig unter Druck zu setzen, glücklich sein zu müssen, sagte er. Es gehe ihm "wie vielen anderen auch": Er finde sein Glück vor allem im Privaten, sagte Schwochow. Wobei er auch glücklich mit Beruf und Arbeit sei. Doch das nach außen zu kommunizieren, ist für den Regisseur zuweilen schwierig:
"Man hat heutzutage fast ein schlechtes Gewissen, wenn man glücklich ist."

Nach dem "Glücksatlas" der Deutschen Post vom vergangenen Jahr sind die Deutschen so glücklich wie seit Jahren nicht mehr. Das Glück ist allerdings regional sehr unterschiedlich verteilt. Besonders glückliche Deutsche leben demnach in Schleswig-Holstein, Franken, Niedersachsen und Baden – die Ostdeutschen sind hingegen unglücklicher als 2015. Bei der Lebenszufriedenheit finden sich alle neuen Bundesländer auf den hinteren Rängen. Gemessen auf einer Skala von 0 bis 10 liegt das gesamtdeutsche Glücksniveau im Schnitt bei 7,11 Punkten. Verantwortlich für die gute Stimmung machen die Studien-Autoren unter anderem die gute Beschäftigungslage und den nachhaltigen Anstieg der Reallöhne. Aber auch Parameter wie Gesundheit und die Einbindung in Gemeinschaften gehen in die jährliche Untersuchung ein. Dabei sind die Ergebnisse wenig überraschend: Gesunde Menschen sind glücklicher als kranke, in Partnerschaft lebende Menschen zufriedener als Alleinstehende. Interessanter ist da schon, dass Menschen offenbar umso zufriedener sind, je mehr sie mit kultureller Offenheit und Toleranz durchs Leben gehen. (ahe)


Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Wenn Sie je in Ihrem Leben das Stück "Glückliche Tage" von Samuel Beckett gesehen haben - das ist so unwahrscheinlich nicht, denn seit der Premiere 1960 in New York wird es regelmäßig aufgeführt, auch in Deutschland –, wenn Sie also das Stück je gesehen haben, glaube ich, dann wird Ihnen nie wieder das Bild einer Frau aus dem Kopf gehen, die eingegraben ist in einen Erdhügel. Diese Frau ist natürlich Winnie, und Winnie sagt in dieser Situation in diesem Stück unter anderem Folgendes: "Dies ist ein glücklicher Tag, dies wird wieder ein glücklicher Tag gewesen sein." Sie sagt das unter Umständen, unter denen, glaube ich, wir normale Menschen es nicht sagen würden. Christian Schwochow hat "Glückliche Tage" neu inszeniert.
Übermorgen, am Samstag, ist Premiere im Deutschen Theater in Berlin. Wir wollen jetzt mit ihm über das Stück, seine Inszenierung und, ja, natürlich auch über das Glück reden. Schönen guten Morgen, Herr Schwochow!
Christian Schwochow: Guten Morgen!
Kassel: Ist denn das für Sie im Ursprung so, wie Beckett es geschrieben hat, ein Stück wirklich über das Glück oder ist es nicht eigentlich ein Stück über Wahnvorstellungen?
Schwochow: Na ja, ich glaube, dass Beckett kein Stück über Glück geschrieben hat, sondern er hat damals, als das rauskam Anfang der 60er, eine relativ pessimistische Weltsicht gehabt, weil es geht ja um eine Frau, wie Sie es beschrieben haben, die feststeckt, nicht weiterkommt, die in einer Situation ist, die einem Gefängnis gleicht, und trotzdem tröstet sie sich und, auch wie Sie es schon gerade beschrieben haben, erzählt sich den ganzen Tag davon, wie glücklich sie ist, wie gut sie ist. Sie steigt in Erinnerungen ab, sie ruft bestimmte Situationen oder Zitate ab, und, ja, tröstet sich damit, obwohl sie alles andere als glücklich ist. Also es ist eine Art Zweckoptimismus, um überhaupt mit ihrer Lage zurechtzukommen.
Kassel: Ist das, so wie Sie es gerade beschrieben haben, in Ihrer Inszenierung, diese Winnie, ist das quasi eine Art psychologische Gegenreaktion auf das reale Unglück, dieses Glück, das sie sich einredet oder ist es für Sie – und da wäre der aktuelle Bezug jetzt da – auch eine Reaktion darauf, dass wir alle glauben, wir hätten eigentlich die Verpflichtung, das Glück irgendwie anzustreben?
Schwochow: Das ist eine ganz gute Beschreibung. Also das ist zumindest die Lesart, die wir heute, 60 Jahre später, mit dem Stück versuchen, also eine Zeit, eine Welt, die immer komplexer wird, die immer herausfordernder und überfordernder ist für viele Menschen, wo man sich zurückzieht und versucht, mit den ganz kleinen Dingen irgendwie ein Glück zu versuchen. Das ist Winnie für uns heute, in einer Zeit, die das Glücklichsein gar nicht so leicht macht.

"Mein Glück finde ich vor allem im Privaten"

Kassel: Haben Sie für sich selber eine Eigendefinition davon, was das für Sie überhaupt ist, glücklich zu sein?
Schwochow: Zumindest versuche ich im Alltag mich nicht ständig unter Druck zu setzen, glücklich sein zu müssen. Natürlich geht es mir wie vielen anderen auch, dass ich auch mein Glück vor allem im Privaten finde, wobei ich auch ganz glücklich mit meinem Beruf bin und mit der Arbeit, die ich machen kann, und so am Tag ganz unterschiedliche Formen von Glück empfinde. Was das Glück im Allgemeinen ist, das versuche ich für mich gar nicht so zu beschreiben, weil das einen selber unheimlich unter Druck setzt.
Kassel: Aber dieser Druck, spüren Sie den manchmal? Ich frage es mal umgekehrt: Haben Sie oder haben Sie das Gefühl bei anderen, manchmal ein schlechtes Gewissen, wenn Sie eigentlich zugeben müssen, ehrlich gesagt, ich bin seit Tagen eher unglücklich?
Schwochow: Nee, das ist heutzutage eher andersrum. Man hat fast ein schlechtes Gewissen, wenn man glücklich ist. Wenn man, so wie ich, eine tolle Familie hat und man gesund ist und man sich wohl im Beruf fühlt, ist das heutzutage mitunter fast eine Seltenheit, dass man dann ein schlechtes Gewissen hat und sagt, mir geht es im Moment oder seit Wochen richtig, richtig gut.
Kassel: Ist das auch was Deutsches, dass Deutsche einfach nicht sagen können, alles schick, alles in Ordnung, dass man immer so nach den Makeln sucht?
Schwochow: Das ist sicherlich was Deutsches, das ist aber nicht nur was Deutsches. Das erlebe ich in anderen Kulturen auch, aber ich war gerade vor wenigen Tagen oder Wochen aus Sri Lanka zurückgekommen – ein Land, wo es bis vor Kurzem auch noch kriegerische Auseinandersetzungen gab und große Konflikte im Land gibt, und trotzdem hat man das Gefühl, das ist jetzt nicht, weil alle Buddhisten sind, hat man das Gefühl, das ist eine andere Glücklichkeit im Alltag und eine andere Zufriedenheit mit ganz für uns vielleicht banalen Dingen, und man bekennt sich auch dazu.
Kassel: Beckett – war mein Eindruck immer bei diesem Stück, um darauf zurückzukommen auf die "Happy Days", die "Glücklichen Tage" – war ja, glaube ich, ein Mensch, der in seinem eigenen Leben nicht unbedingt auf Glückssuche war, und gefunden hat er es auch nicht. So wie Sie das Stück jetzt inszenieren, wie man es ab Samstag sehen kann, kann man da entspannt rausgehen und sagen, okay, ich muss nicht mehr, der Druck fällt von mir ab, man muss nicht glücklich sein?
Schwochow: Nein, das tut mir leid. Es wird jetzt kein Abend mit einem Happy End. Das ist ein Abend, wo wir versuchen, ohne Eins zu Eins zu sein, schon eine Gefühlslage dieser Zeit zu beschreiben, und das ist nicht die alleroptimistischste, ohne zu sagen, dass man sich danach den Strick nehmen möchte oder sich am liebsten in einem Sandhaufen verbuddeln möchte, aber es ist eher ein Abend, der natürlich von einem Schicksal einer Frau und einem Mann erzählt, aber trotzdem so ein Grundgefühl einer Zeit beschreibt, die eher ungemütlich ist.

"Jeder Mensch sollte unbedingt sein privates Glück haben"

Kassel: Womit Sie natürlich das, was Sie vorhin selber gesagt haben über gerade unsere häufig gelebte Mentalität, womit Sie sagen, es ist ja eigentlich auch richtig so, wir dürfen nicht glücklich sein, denn die Zeit ist nicht so?
Schwochow: Ein bisschen ist das so. Na ja, zumindest ist die Zeit so, dass das unser Reflex so ist, die Dinge, die da draußen passieren … Es gibt unheimliche Aggressionen in der Welt, es gibt große Verunsicherung, Demokratien werden abgebaut, und unser Reflex ist dann mitunter, so zu tun, als gäbe es das alles nicht und selber zu suggerieren, dass wir eigentlich doch ein ganz glückliches Leben haben und das alles nicht so schlimm wird, und das ist ein Reflex, den ich falsch finde. Das hat nichts mit dem privaten Glück zu tun, das jeder Mensch unbedingt haben sollte, aber so zu tun, als leben wir in eigentlich ganz sicheren, glücklichen Zeiten, das finde ich nicht ganz ungefährlich.
Kassel: Gerade durch das, was Sie jetzt gesagt haben, habe ich eine konkrete Vorstellung von Ihrer Inszenierung, und vielleicht wird es so sein, wenn ich es mir angucke oder nicht, deshalb würde ich vorschlagen, wir lassen es an dieser Stelle, damit auch noch ein bisschen Spannung übrigbleibt, und, ich glaube, man kann ganz unterschiedliche Dinge machen aus diesen "Glücklichen Tagen" von Beckett. Christian Schwochow hat sein eigenes Ding, zusammen natürlich mit Schauspielern und vielen anderen, gemacht, das man sehen kann ab Samstag.
Da ist Premiere seiner Inszenierung der "Happy Days" am Deutschen Theater in Berlin, und das Stück wird dann – für die Premiere gibt es keine Karten mehr –, da können Sie es meinetwegen an der Abendkasse versuchen, aber es wird schwierig, aber das Stück wird danach noch bis zum 1. Juni mehrfach aufgeführt, und für alle anderen Vorstellungen gibt es dann auch noch Karten. Herr Schwochow, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch und wünsche Ihnen selbstverständlich – das wäre ein billiger Kalauer – kein Glück, sondern ganz viel Erfolg mit dem Stück!
Schwochow: Ja, das hoffe ich auch! Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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