Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Außenpolitik
"Es fehlt das Selbstbewusstsein des deutschen Parlaments"

Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, kritisiert die passive Haltung des Bundestags in außenpolitischen Fragen, etwa bei der Jerusalem-Entscheidung Donald Trumps. "Es darf nicht sein, dass die Bundesrepublik Deutschland als wichtigstes europäisches Land monatelang sich in außenpolitischen Fragen abstinent verhält", sagte Ischinger im Dlf.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Sandra Schulz | 11.12.2017
    Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, spricht am 09.02.2017 in München (Bayern) bei einer Pressekonferenz zur bevorstehenden 53. Münchner Sicherheitskonferenz.
    Wolfgang Ischinger: "Befremdlich, dass der Deutsche Bundestag sich scheut, eine außenpolitische Debatte zu führen." (picture alliance / dpa / Alexander Heinl)
    Sandra Schulz: Gewalt und Unruhe in Nahost folgten auf die Entscheidung Donald Trumps, Jerusalem als israelische Hauptstadt anzuerkennen. Mehr als 1.400 Verletzte gab es am Wochenende bei den Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften und auch zwei Tote. Aus dem Gazastreifen wurden Raketen auf Israel abgeschossen, bei Vergeltungsschlägen starben nach Angaben der radikal-islamischen Hamas zwei Palästinenser.
    Im Alleingang hatte Donald Trump ja die US-Politik vergangener Jahrzehnte über den Haufen geworfen. Aus Europa kam Kritik, aber mit einer Stimme sprach die EU nicht, und unter anderem darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, der frühere US-Botschafter Wolfgang Ischinger. Schönen guten Morgen.
    Wolfgang Ischinger: Ja, guten Morgen.
    In der amerikanischen Entscheidung steckt keine Strategie
    Schulz: Aus der arabischen Welt kommt jetzt ja die Forderung an die internationale Gemeinschaft, Palästina als unabhängigen Staat anzuerkennen – mit der Hauptstadt Ostjerusalem. Wäre das die richtige Antwort?
    Ischinger: Anerkennungsentscheidungen machen dann Sinn, wenn sie Teil einer Strategie sind. Ich kann in der amerikanischen Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt anzuerkennen, jedenfalls bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Strategie, jedenfalls keine Erfolg versprechende Strategie erkennen. Offensichtlich liegen innenpolitische Wahlkampfversprechen-Erfüllungsgedanken hier im Vordergrund. Und deswegen wäre es auch falsch, wenn andere jetzt versuchen würden, mit gleicher Münze an anderer Stelle heimzuzahlen und Anerkennungsentscheidungen zu treffen, ebenfalls ohne eine umfassende Strategie zu haben und durchsetzen zu können, die zu einem Wiederaufleben des Friedensprozesses oder gar zu einer Friedenslösung führen würden. Davon halte ich nichts.
    Schaden ist schon jetzt erkennbar
    Schulz: Wobei US-Präsident Donald Trump ja sagt, unsere Strategie ist, die Strategie der Vergangenheit, die offenkundig ja nicht erfolgreich war, da jetzt umzusteuern.
    Ischinger: Na ja. Dass die Strategie der Vergangenheit nicht erfolgreich war, ist richtig. Aber die Feststellung, dass sie nicht erfolgreich war, führt nicht automatisch zu der Richtigkeit der Feststellung, dass jede andere Strategie deswegen erfolgreicher ist. Noch einmal: Das ist eine innenpolitisch motivierte Entscheidung, deren Nutzen höchst fragwürdig ist, deren Schaden schon jetzt erkennbar ist. Es sind jetzt Leute ums Leben gekommen, das werden im Zweifel noch viel mehr werden.
    Zweitens handelt es sich im Kern – und das ist aus meiner Sicht besonders bedauerlich – um eine Ankündigungspolitik, die eigentlich nur aus leeren Worten, also aus heißer Luft besteht. Donald Trump wird nach meiner Einschätzung schon lange nicht mehr im Amt sein, wenn irgendwann einmal in drei, fünf, sieben Jahren eine amerikanische Botschaft in Jerusalem tatsächlich eingeweiht werden kann. Das ist Ankündigungspolitik und das ist unseriös.
    Der letzte Punkt, denke ich, ist der Hinweis auf die russische Entscheidung. Wir sollten allesamt zur Kenntnis nehmen, dass die russische Regierung vor einem halben Jahr im April förmlich angekündigt hat, Jerusalem - allerdings mit der kleinen Einschränkung, nämlich Westjerusalem - als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Die russische Regierung hat das gekoppelt mit dem Hinweis, dass nach russischen strategischen Vorstellungen Ostjerusalem dann die Hauptstadt eines palästinensischen Staates sein soll. Das mag man auch kritisieren, aber das ist zumindest Ausdruck einer gewissen Strategie, nämlich Ausdruck der Verfolgung der Zwei-Staaten-Lösung, die ja weithin von der gesamten Staatengemeinschaft bisher getragen worden ist.
    "Europa darf nicht zum Spielball werden"
    Schulz: Aber wenn wir jetzt wieder an dem Punkt sind – das haben Sie jetzt so ausgearbeitet -, dass wir es mit einem US-Präsidenten Donald Trump zu tun haben, der keine Strategie hat, der vollkommen unberechenbar ist, Sie wissen, dass meine nächste Frage dann lauten muss, was antwortet Europa darauf?
    Ischinger: Europa darf nicht zum Spielball werden und europäische Außenpolitik kann nicht nur als Wurmfortsatz amerikanischer Außenpolitik funktionieren. Wir müssen – und insoweit, finde ich, hat Außenminister Gabriel, der sich ja viel Kritik eingehandelt hat, absolut recht, wenn er fordert, dass wir zu einer glaubwürdigeren und tragfähigeren und durchsetzungsstärkeren Politik der Europäischen Union, einer stärkeren EU-Außenpolitik kommen müssen. Das ist die Folgerung.
    Schulz: Der Vorstoß war auch deswegen richtig und gut, weil er ein Lebenszeichen dieser geschäftsführenden Regierung aus Berlin war?
    Ischinger: Ja. Ich spreche ja hier in meiner ganz persönlichen Eigenschaft. Ich finde es befremdlich, bedauerlich, dass der Deutsche Bundestag, der vor inzwischen mehr als zwei Monaten gewählt worden ist, der legitimiert ist, den Willen der Bevölkerung zu artikulieren, dass dieser Deutsche Bundestag sich scheut, eine außenpolitische Debatte zu führen. Es mag ja sein, dass diejenigen, die jetzt befasst sind mit Koalitionsüberlegungen oder Vorsondierungen, aus taktischen Gründen sich nicht aus der Deckung wagen.
    Aber ich kann nicht erkennen – ich nenne Ihnen mal ein Beispiel -, warum der Deutsche Bundestag nicht einfach jetzt Emmanuel Macron einladen soll, um mal seine Vorstellungen vor dem deutschen Parlament zu erörtern und darüber mal eine Debatte zu führen. Ich finde es falsch, dass Sigmar Gabriel kritisiert wird für seine Vorschläge. Ich finde es auch falsch, dass Martin Schulz jetzt wahnsinnig viel Kritik einstecken muss für seine europapolitischen Visionen, die vielleicht nicht sehr realistisch sind, aber immerhin zeichnet er eine Richtung auf. Mir fehlt das Selbstbewusstsein des deutschen Parlaments, diese Richtung mitzubestimmen. Es darf nicht sein, finde ich, dass die Bundesrepublik Deutschland als wichtigstes europäisches Land monatelang sich in außenpolitischen Fragen abstinent verhält.
    Merkels Haltung ist nachvollziehbar
    Schulz: Aber, Herr Ischinger, erklären Sie mir, warum Ihre Kritik vor allem auf den Bundestag abzielt. Wir haben ja auch eine Bundeskanzlerin, im Moment eine geschäftsführende Bundeskanzlerin, die sich ganz offenkundig vor allem in einer Rolle einer Moderatorin sieht und nicht als Gestaltungskraft.
    Ischinger: Das kann ich nun wiederum auch nachvollziehen. Die Bundeskanzlerin, die jetzt geschäftsführende Bundeskanzlerin, wird ja, wenn die Eindrücke nicht täuschen, die nächste Bundeskanzlerin sein, so oder so. Deshalb hat sie einen besonderen Grund, angesichts der Koalitionsüberlegungen und Sondierungen, sich in dieser Phase in Zurückhaltung zu üben. Das ist nachvollziehbar.
    Das muss aber nicht bedeuten, dass der gesamte Deutsche Bundestag, dass die CDU/CSU-Fraktion und dass andere Fraktionen und Persönlichkeiten im Deutschen Bundestag glauben, es der Bundeskanzlerin nachmachen zu müssen. Ich warte auf die deutsche europapolitische Debatte, auf die Reaktion, auf die deutsche Antwort auf Emmanuel Macron, auf die Frage nach der Zukunft der Europäischen Union. Das ist eine überfällige Debatte und die kann man aus meiner Sicht auch führen, wenn die nächste Bundesregierung noch nicht oder noch nicht tatsächlich gebildet ist.
    Schulz: Das heißt, so dramatisch finden Sie den Zustand, den wir jetzt in Berlin haben, diese nur geschäftsführende Bundesregierung, so dramatisch finden Sie den gar nicht?
    Ischinger: Ich finde es unter außenpolitischen Gesichtspunkten natürlich bedauerlich. Ich finde es nicht dramatisch. Das ist keine Staats- und keine Verfassungskrise. Wir sollten das jetzt nicht übertreiben. Aber es ist natürlich überaus bedauerlich. Schauen Sie, ich rede jeden Tag mit Vertretern unserer europäischer Partnerstaaten, mit Amerikanern, mit Briten, mit Russen, mit anderen. Natürlich findet man das überall bedauerlich, dass Deutschland im Augenblick etwas gelähmt scheint in seinen Aktivitäten an vielen Fronten, also nicht nur in der Außenpolitik. Aber gerade in der Außenpolitik ist die deutsche Stimme ganz wichtig.
    Deswegen ist es bedauerlich, dass das anscheinend nun Monate, vielleicht noch längere Monate dauert, bis wir wieder eine funktionsfähige Regierung haben. Ich denke, diese Zeit sollte zumindest der Bundestag nutzen, um Diskussionen zu führen und um zu klären, in welche Richtung die Mehrheit der von uns gewählten Volksvertreter die Europäische Union nach vorne bringen wollen. Das ist doch erlaubt und das ist zweckgemäß und das ist wichtig.
    Schulz: Ihren Appell haben wir verstanden. Ganz herzlichen Dank an Wolfgang Ischinger, den Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, den früheren deutschen Botschafter in Washington, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke Ihnen!
    Ischinger: Danke Ihnen! - Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.