Donnerstag, 18. April 2024

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Ausstattung der Bundeswehr
"Die Probleme sind nicht nur mit mehr Geld zu lösen"

Die Weltlage habe sich in den vergangenen zehn Jahren so verändert, dass es nun neue Anforderungen an die Bundeswehr gebe, sagte der SPD-Verteidigungsexperte Fritz Felgentreu im Dlf. Landes- und Bündnisverteidigung würden wichtiger. Darauf müsse sich Deutschland einstellen und die Bundeswehr entsprechend ausstatten.

Fritz Felgentreu im Gespräch mit Christiane Kaess | 04.05.2018
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    Christiane Kaess: Im sogenannten Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr von 2016 klang es schon an: Die europäische Friedensordnung sei nach der Annexion der Krim durch Russland gefährdet. In ihrem Grundsatzpapier, "Konzeption der Bundeswehr", zieht Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen jetzt die Konsequenzen. Sie will die Bundeswehr neu ausrichten.
    Mitgehört am Telefon hat Fritz Felgentreu. Er ist Obmann der SPD im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Guten Tag.
    Fritz Felgentreu: Guten Tag.
    Kaess: Die Bundeswehr müsse vorbereitet sein, ihren Beitrag zur nationalen Sicherheitsvorsorge zu leisten, heißt es jetzt. Tut sie das bisher nicht?
    felgentreu: Das ist ja eigentlich unstrittig. Seit 2014, im Prinzip, seit der Ukraine-Krise, sprechen wir darüber und im Weißbuch ist ja bereits festgehalten, dass Bündnis- und Landesverteidigung in Zukunft wieder den gleichen Stellenwert haben sollen wie die Auslandseinsätze. Und da müssen wir ganz klar sagen: Durch die Sparpolitik der letzten 20 Jahre ist die Bundeswehr dafür nicht mehr aufgestellt. Dazu hat sie in der Tat zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Fähigkeit nicht.
    "Wir müssen eine Menge mehr für die NATO tun, und das überfordert die Bundeswehr"
    Kaess: Warum haben wir bei dieser Ausrichtung Richtung Landes- und Bündnisverteidigung überhaupt einen Nachholbedarf?
    Felgentreu: Weil wir die letzten 20 Jahre ganz konsequent immer gerade bei diesem Bereich gespart haben. Das war damals auch vertretbar, weil die internationale Lage eine andere war, weil der Satz, wir sind von Freunden umgeben, richtig war. Da konnten wir uns ganz stark auf diese Einsätze orientieren und konzentrieren. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Wir müssen jetzt gleichzeitig auch noch eine Menge mehr für die NATO tun, und das überfordert die Bundeswehr, so wie sie heute aufgestellt ist.
    Kaess: Von einer Vernachlässigung dieser Aufgabe ist in dem Papier auch die Rede. Der AfD-Verteidigungspolitiker Rüdiger Lucassen hat das heute Morgen bei uns im Programm so zugespitzt:
    O-Ton Rüdiger Lucassen: "Der Feind steht im Moment, wenn es um die Sanierung der Bundeswehr geht, in der Bundesregierung."
    Kaess: Hat er recht?
    Felgentreu: Das ist ja nun eine Sprache, die ich überhaupt nicht akzeptieren kann. Wir treffen gemeinsame Entscheidungen. Die treffen wir zum Wohl des Landes und natürlich auch zum Wohl der Bundeswehr. Aber wir können nicht innerhalb von wenigen Monaten, auch nicht innerhalb von wenigen Jahren alles wieder umkrempeln, was sich im Laufe von 20 Jahren aufgebaut hat.
    "Die veränderte Weltlage führt zu neuen Anforderungen"
    Kaess: Aber irgendjemand muss ja für die Fehler der Vergangenheit verantwortlich sein.
    Felgentreu: Na ja, was heißt Fehler. Die Bundesregierung ist Verpflichtungen eingegangen. Die Bundesrepublik Deutschland ist Verpflichtungen eingegangen in Form von Auslandseinsätzen. Da kann man auch nicht von heute auf morgen sagen, wir hören damit jetzt wieder auf, sondern wir müssen einfach feststellen: Die veränderte Weltlage führt dazu, dass wir neue Anforderungen auch an die Sicherheit haben, und diesen neuen Anforderungen müssen wir uns stellen. Deutschland muss im Rahmen der NATO seinen Beitrag leisten, der seiner Größe und seiner wirtschaftlichen Leistungskraft entspricht. Das ist klar, da sind wir uns alle einig, und jetzt gehen wir Schritt für Schritt in diese Richtung.
    Kaess: Was genau hat sich geändert an der Situation, dass die Landes- und die Bündnisverteidigung wieder wichtiger ist?
    Felgentreu: Wir erleben, dass nur ein Land weiter, hinter Polen, in der Ukraine Krieg geführt wird. Wir haben erlebt, dass der große Nachbar Russland die strategische Entscheidung getroffen hat, wenn es unseren Interessen dient, dann sind wir bereit, militärische Gewalt einzusetzen, um Einflussbereiche zu definieren, um Grenzen zu verändern. Das gab es vor zehn Jahren oder vor fünf Jahren noch nicht und darauf müssen wir uns einstellen.
    Kaess: Der Feind heißt jetzt Russland?
    Felgentreu: Ich stelle nicht die Frage danach, wer der Feind ist. Ich stelle einfach die Frage, was tut sich um uns herum und was für mögliche Bedrohungen lassen sich daraus ableiten. Wenn wir feststellen, dass ein großes und starkes Land wie Russland so eine Entscheidung trifft, dann betrifft das auch unsere Sicherheit und wir müssen darauf eingestellt sein, dass sie schlechter werden kann, und darauf müssen wir vorbereitet sein.
    "Es geht um Gleichrangigkeit der Einsätze"
    Kaess: Und die Landes- und Bündnisverteidigung ist dann auch gegen Russland gerichtet?
    Felgentreu: Die Landes- und Bündnisverteidigung - die NATO ist ein Verteidigungsbündnis und als Verteidigungsbündnis bereitet sie sich vor auf mögliche Bedrohungen aus allen Teilen der Welt. Im Moment ist die größte Verunsicherung innerhalb Europas entstanden durch das Vorgehen Russlands gegen die Ukraine.
    Kaess: Herr Felgentreu, hat sich der frühere SPD-Verteidigungsminister Peter Struck geirrt mit dem Satz, die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt?
    Felgentreu: Nein, da hat er sich nicht geirrt, und das ist auch heute noch so.
    Kaess: Aber die Auslandseinsätze sollen ja eine andere Gewichtung bekommen.
    Felgentreu: Es geht um Gleichrangigkeit. Das ist im Weißbuch so festgehalten und das ist auch in der Konzeption der Bundeswehr so festgehalten, dass neben die Auslandseinsätze gleichrangig jetzt auch als Aufgabe die Bündnis- und Landesverteidigung wieder tritt.
    Kaess: Und wie soll das die Bundeswehr bewältigen?
    Felgentreu: Indem sie Schritt für Schritt wieder zu einer Vollausstattung zurückgeführt wird. Es geht nicht darum, wie es im Moment in einigen Zeitungen auch diskutiert worden ist, die Bundeswehr komplett umzukrempeln, sondern es geht im Prinzip darum, sie so aufzustellen, dass sie die Aufgaben, die sie heute schon hat, auch wirklich erfüllen kann.
    "Die Probleme der Bundeswehr sind nicht nur mit mehr Geld zu lösen"
    Kaess: Und das geht nur mit Ausgaben in Milliarden-Höhe?
    Felgentreu: Die Probleme der Bundeswehr sind nicht nur mit mehr Geld zu lösen. Das kann man unter anderem auch daran erkennen, dass zum Beispiel im Haushaltsjahr 2017, als das abgelaufen ist, aus dem Bundesverteidigungsministerium über 600 Millionen Euro wieder zurückgeführt werden mussten ans Finanzministerium, weil sie schlicht und ergreifend nicht ausgegeben worden sind.
    Kaess: Das ist genau der Vorwurf.
    Felgentreu: Das heißt, es geht auch darum, dass wir die Verwaltung der Bundeswehr, dass wir die organisatorischen Abläufe im Bundesverteidigungsministerium verbessern, dass wir die Beschaffung schneller und effektiver machen. All diese Hausaufgaben müssen erst gemacht werden und wenn wir das alles erledigt haben und dann feststellen, das Geld reicht immer noch nicht, dann signalisieren ja auch die Haushälter der SPD, dass man mit ihnen darüber reden kann. Aber ich glaube, wir müssen uns auch darauf konzentrieren, dass die Verteidigungspolitik in Deutschland wirklich ganz seriös ihre Hausaufgaben macht, Probleme benennt, Missstände identifiziert und die nach und nach abbaut.
    Kaess: Und dass diese Hausaufgaben bisher so nicht gemacht wurden, spricht ja auch für eine gewisse Überforderung. Wie soll das denn in Zukunft laufen, wenn jetzt noch mehr Aufgaben dazukommen?
    Felgentreu: Die Aufgaben sind ja da. Die sind ja heute da und so, wie wir heute aufgestellt worden sind – das sagte ich ja schon eingangs -, kann die Bundeswehr sie nicht bewältigen. Deswegen müssen wir jetzt die notwendigen Schritte gehen. Ein Beispiel ist: Wir sagen, wir haben Beschaffungsvorgänge auch dadurch sehr in die Länge gezogen, dass wir immer grundsätzlich das Instrument der europäischen Ausschreibung gewählt haben. Das ist eigentlich eine gute Sache, aber es ist im Bereich der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik nicht zwingend vorgegeben und wir könnten bei einem Beschaffungsvorgang locker anderthalb Jahre sparen, wenn wir wieder zur Direktvergabe zurückgehen – ein Beispiel, wo man mehr machen kann.
    "Ich möchte mal einen Etat sehen, der im gleichen Maßstab wächst"
    Kaess: Das sind jetzt die Abläufe. Lassen Sie uns noch mal aufs Geld gucken. Frau von der Leyen hat ja schon zwölf Milliarden Bedarf angemeldet. Bisher ist ihr das Geld nicht zugesprochen worden. Scheitert letztendlich alles am Geld?
    Felgentreu: Na ja. Der Verteidigungsetat soll bis 2021 um über zehn Prozent wachsen. Das ist eine ganze Menge Geld. Und ich möchte erst mal einen anderen Etat sehen, der im gleichen Maßstab aufwächst. Und ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht so ganz, was damit gemeint sein soll, dass das Bundesverteidigungsministerium nur unter Vorbehalt diesem Etatentwurf zugestimmt hat. Entweder man stimmt zu, oder man stimmt nicht zu. Ein bisschen schwanger kann man da nicht sein. Es ist ein Etatentwurf, der von der gesamten Bundesregierung in den Bundestag eingebracht worden ist. Erst mal gibt es mehr Geld und dieses Geld will ja auch erst mal verwaltet und ausgegeben sein. Insofern glaube ich, man soll nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun.
    Mittelfristig würde ich sagen, die Wunschliste, die auf dem Tisch liegt – Sie erinnern sich an diese Liste mit insgesamt 18 Projekten, die vor einer Woche diskutiert worden sind -, die wird mit dem jetzt zur Verfügung stehenden Geld so nicht zu finanzieren sein. Aber bevor man über mehr Geld reden kann, müssen die Projekte doch erst mal so weit sein, dass man sie überhaupt entscheiden kann.
    Kaess: Die Frage ist ja auch, wer diese neuen Aufgaben eigentlich leisten soll. Kann es sein, dass wir bald wieder eine Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht bekommen?
    Felgentreu: Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Dafür ist die Bundeswehr auch organisatorisch überhaupt nicht vorbereitet.
    "Die Debatte über die Konzeption der Bundeswehr geht weiter"
    Kaess: Sagen Sie uns zum Schluss noch. Die Ministerin kann ja diese Veränderungen jetzt per Erlass durchsetzen. Aber die Opposition fordert eine Diskussion im Bundestag. Sollte es die geben?
    Felgentreu: Die Konzeption der Bundeswehr ist immer nur ein Erlass und die Diskussion, die läuft seit 2014 ununterbrochen.
    Kaess: Hat die Opposition das nicht mitbekommen?
    Felgentreu: Die Opposition macht Oppositionsarbeit. Aber die wissen genauso wie wir alle: Die Kerndebatte haben wir geführt rund um das Weißbuch. Im Weißbuch 2016 ist schon festgehalten, dass Bündnis- und Landesverteidigung wieder gleichrangig neben den Auslandseinsätzen steht. Die Konzeption der Bundeswehr, die jetzt vorgelegt werden soll, ist lediglich eine Konkretisierung der damaligen Debatte. Insofern: Die Debatte läuft parallel und die wird auch weitergehen, denn in einem dritten Schritt wird aus der Konzeption der Bundeswehr dann auch abgeleitet, welche ganz konkreten Fähigkeiten aufgebaut werden müssen, und insofern ist die Debatte immer da und die wird auch weiter uns begleiten.
    Kaess: … sagt Fritz Felgentreu. Er ist Obmann der SPD im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Danke für das Gespräch heute Mittag.
    Felgentreu: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.