Mittwoch, 24. April 2024

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Ausstellung „Artists & Agents“
Die Kunst des Ausspähens

Der Apparat, mit dem Kunstschaffende in Ländern des früheren Ostblocks überwacht und drangsaliert wurden, war gewaltig. Die investigative Dortmunder Ausstellung „Artists & Agents“ fragt über die Aufarbeitung hinaus: Wie wurden Agenten selbst zu Künstlern - und Künstler zu Agenten?

Von Peter Backof | 23.10.2019
Das Foto von Simon Menner, „Images from the Secret Stasi Archives“ 2010–2014, zeigt einen Mann mit Sonnenbrille, Mütze und Wintermantel
Simon Menner: „Images from the Secret Stasi Archives“, 2010–2014 (Simon Menner)
Kata Krasznahorkai: "Künstler und Agenten, das ist eine lange Geschichte. Aber jetzt haben wir hier eine einmalige Situation, wo wir in den letzten Jahren die Interaktion zwischen Künstlern und Agenten anhand von Geheimdienstarchivmaterial aus der Nähe angucken können."
Sagt Kata Krasznahorkai vom Slawischen Institut der Uni Zürich. Die Ausstellung "Artists & Agents" in Dortmund präsentiert Akten, Fotos und Videos von Geheimdiensten der vor 30 Jahren zusammengebrochenen kommunistischen Welt, die größtenteils noch nie öffentlich zu sehen waren.
"Ein ungeheurer Aufwand! Das sind fünf Jahre Sitzen in Geheimdienstarchiven, hauptsächlich in Polen, in Ungarn, in der ehemaligen DDR und in Tschechien."
Überwachungsapparat: gewaltig
Zusammen mit den Co- und quasi Investigativ-Kuratorinnen Sylvia Sasse und Inke Arns. Die Ausstellungswände im Hartware Medienkunstverein sind pastellgrün, -gelb oder rot getüncht, spröde wie Aktenhüllenpappe. Und die Akten selber, die Fotos und Textprojektionen auf den Wänden? Oft kryptisch oder so umfangreich, dass man nicht durchblickt: Man bekommt ein Gefühl für die gewaltige Dimension des Überwachungsapparats im Kalten Krieg.
"Das wollen wir auch zeigen: Dass es noch lange nicht heißt – wenn man vor einem Stapel Akten sitzt, dass man die auch lesen kann. Entweder es ist geschwärzt, weil die Geheimdienste noch aktiv sind oder wir verstehen die Sprache nicht. Die ´Stasi-Sprache´ ist eine ganz eigene Sprache."
"Die Psychose" - erinnert sich ein Mann in einem Deutsch untertitelten Video der rumänischen Künstlerin Czilla Könczei -, "die Psychose war so stark, dass sich einige sogar beleidigt fühlten, wenn sie nicht abgehört wurden. Sie fühlten sich zurückgestellt."
"Es gab nämlich wahnsinnig talentierte Agenten, die Künstler waren, teilweise auch verhinderte Künstler oder Kunstkritiker, die sich dann in dem Schreiben von Agentenberichten auslebten."
"Da war kein Drehbuch, das man zensieren könnte"
Da ist der spektakuläre Fall László Algols in Ungarn, der unter gleich drei Identitäten lebte und als Spitzel wie als Künstler versuchte, Karriere zu machen. Da ist der Fall von "IM Winfried", der als Transgender-Performer in die DDR-Kunstszene eingeschleust wurde, um die Künstlerin Gabriele Stötzer zu kompromittieren. Und da sind etliche Fälle, in denen Geheimdienste als Guerilla plötzlich eine laufende Performance enterten und sie quasi sozialistisch weiterspielten. Man fragt sich: Wer ist hier eigentlich Agent, wer Künstler? Und warum hatten Staatsmächte gerade vor der Kunstform Performance solche Angst? Inke Arns:
"A, kam das aus den USA, das ist der kapitalistische Feind, Happening, Aktionskunst und so. Und B, was noch viel wichtiger ist: das war eine Kunstform, die man überhaupt nicht einschätzen konnte. Das war etwas, was plötzlich entstehen konnte. Da war kein Drehbuch, das man zensieren könnte, keine Malerei, keine Skulptur."
"Die Banalität der Überwachung"
Nichts Handfestes. Performancekunst entzieht sich von ihrem Wesen her der Kontrolle. Die Ausstellung "Artists & Agents" ist mehr als Aufarbeitung des komplexen Verhältnisses von Kunst und Kontrolle im Kalten Krieg in Osteuropa. Es geht auch darum, was danach geschah. Ein Beispiel ist die Künstlerin Cornelia Schleime, die Stasi-Opfer war. Die Aktenlage:
Inke Arns: "Minutiöse Beobachtung! Und so diffamierende Beschreibungen wie ‚dekadentes Element‘, ,unsozialistische Persönlichkeit‘, ‚steht morgens erst um 11 auf!‘".
Kata Krasznahorkai: "Diese Banalität der Überwachung. Das ist ja nicht zu überbieten, diese Stupidität der Beschreibungen, die versuchen, irgendwas Gescheites da raus zu holen, aus einer völlig banalen Alltagssituation."
Cornelia Schleime hat sich nach dem Mauerfall die Akten über sie besorgt. Und dann für die künstlerische Arbeit, die in der Ausstellung wandgroß zu sehen ist, überklebt, mit Selbstporträts. Da posiert sie genau so, wie die Stasi sie gern gesehen hätte. Als dekadente, kapitalistische Bitch im Bikini mit Longdrink in der Hand, Die Ausstellung hat also durchaus komödiantische Kapitel. Dennoch, sagt schließlich Kata Krasnohorkai, muss man klar benennen, da aktuell autokratisch geführte Staaten und politische Parteien der Rechten – wieder – Kunst manipulieren wollen und das auch tun:
Kata Krasznahorkai: "Dass diese Romantik des Geheimdienstes viel zu verharmlosend ist; und überdeckt, worüber wir hier eigentlich sprechen: Das ist die im Namen des Staates ausgeübte performative Tätigkeit, mit der Leben zerstört werden, künstlerische Arbeiten zerstört werden. Aber auch, im Gegenzug, das zeigen wir auch, ungewollt in den Archiven Arbeiten auftauchen, die die Kunstgeschichte sonst gar nicht kennt."
Dunkle Klumpen in einer Glasvitrine: Zustand der Stasi-Akten nach Bearbeitung von Daniel Knorr. Titel: „State of Mind“, 2007
Was von der Bespitzelung übrig blieb: Zustand der Stasi-Akten nach Bearbeitung von Daniel Knorr. Titel: „State of Mind“, 2007 (Deutschlandradio/Peter Backof)