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Ausstellung
Bilder aus Chocolate City

Xiaobei oder auch Chocolate City – unter diesem Namen ist ein Viertel der Millionen-Stadt Guangzhou bekannt, im Süden Chinas. Es steht wie kein anderes für ein neues Gesicht des Landes: für ein China als Einwanderungsgesellschaft. Der Fotograf Li Dong stellt in der Universität zu Köln Bilder aus Chocolate City aus.

Von Markus Dichmann | 16.10.2014
    "Mit den Menschen im Viertel Kontakt aufzunehmen war für mich am Anfang sehr schwierig. Deshalb konnte ich immer nur Fotos von außen machen."
    Li Dong fächert mit seiner Hand einige der Fotos auf, die vor ihm auf dem Tisch liegen. Sie zeigen einen wuseligen Wochenmarkt oder eine nächtliche Straßenküche im Laternenlicht.
    "Ich habe mir dann eine Wohnung dort angemietet – mit vier Afrikanern gemeinsam auf 60 Quadratmetern. Zuerst hatten sie Angst, dass ich von der Regierung oder von der Polizei bin. Viele haben Probleme mit ihrem Visum oder abgelaufene Visa und dürfen sich eigentlich gar nicht in China aufhalten. Aber ganz langsam habe ich ihr Vertrauen gewinnen können, und durfte dann auch Aufnahmen aus nächster Nähe machen.
    Li Dong legt den Zeigefinger auf ein Bild, auf dem zwei junge, schwarze Männer zu sehen sind – mit Smartphone in der einen und Schnapsflasche in der anderen Hand. Auf einem anderen Bild sieht man eine junge Mutter – sie trägt ein purpurfarbenes Tuch um die Schultern, ihr kleines Kind hat sie auf den Rücken geschnallt. Im Hintergrund: chinesische Schriftzeichen auf knallroten Plakaten.
    Xiaobei oder Chocolate City ist ein pulsierendes Viertel. Tausende Migranten aus Afrika sind hier in den letzten 20 Jahren angekommen – die meisten von ihnen noch sehr jung. Sie kommen meistens für den Handel, egal ob es um Wagenladungen von Erdnüssen oder einen Koffer voll Jeans geht. Dazu gesellen sich aus dem Mittleren Osten, aus Europa und aus anderen Teilen Chinas, die hier auch als Ausländer gelten.
    "Ich hatte schon früher Kontakt mit Ausländern, weil ich im Handel gearbeitet habe. In meiner Firma hatte ich viele Russen und viele Franzosen. Und schon da habe ich mich immer gewundert, wie die Chinesen reagiert haben. Wenn sie Ausländer auf der Straße gesehen haben, sind sie stehengeblieben wie die Schaulustigen. Ich finde es aber wichtig, der Gesellschaft den Wandel unserer Zeit zu zeigen."
    "Es hat sich etwas verändert in China: Früher sind die Chinesen eher ausgewandert,weil sie vom Ausland beeindruckt waren. Aber mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, kommen immer mehr Ausländer nach China, um sich hier zu etablieren."
    China - das neue Land der unbegrenzten Möglichkeiten?
    "Das ist wohl eine der größten Diskussionen, die in China stattfindet. Genau jetzt."
    Sagt Melanie Pelican, Ethnologin und Kuratorin der Ausstellung.
    "Mit der Frage: Ist oder will China überhaupt ein Einwanderungsland sein? Aber in China ist da noch viel mehr Spielraum. Und das ist ja auch genau das, was viele afrikanische Migranten angezogen hat. Also man konnte relativ einfach nach China, sich ein oder zwei Monate da aufhalten und schauen, was für Möglichkeiten es gibt, und dann versuchen, den Status zu erneuern."
    Konnte – sagt die Ethnologin – denn in jüngster Vergangenheit hat die chinesische Regierung die Aufnahmeverfahren verkompliziert und die Anforderungen fürs Bleiberecht erhöht. Fotograf Li Dong meint Misstrauen bei seinen Landsleuten auszumachen.
    "Unter den Chinesen gibt es wenig Toleranz gegenüber den Schwarzen. Es gibt viele, die nur Gerüchte hören, Gerüchte, dass die Migranten ihnen Arbeitsplätze wegnehmen oder kriminell seien – und die diesen Gerüchten dann glauben."
    Umso schöner ist dann vielleicht eines der Bilder, das Li Dong festgehalten hat: Eine alte chinesische Frau mit tiefen Lachfalten im Gesicht geht in die Knie, um einem kleinen schwarzen Jungen den Arm zu streicheln.
    "Das Interessante hier denke ich für uns ist, dass das eine Gesellschaft ist, die im Anfangsstadium ist, wo eben das Fremdsein, und der Umgang mit dem Fremdsein neu ausgehandelt wird. Während wir in Europa schon viel verfestigter sind in unseren Vorstellungen dazu, was möglich und was nicht – und wie wir das regulieren möchten."
    Kuratorin Pelican und Fotograf Li Dong zeigen uns mit ihrer Ausstellung in Köln, wie sich eine Gesellschaft neu entdeckt. Ausdrucksstarke Bilder, die uns auch ein Spiegel sein sollen, in unserem Umgang mit Migration und Einwanderern hier in Europa.