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Ausstellung
Charles Rays figurative Skulpturen in Basel

Der Amerikaner Charles Ray gilt als einer der herausragenden Skulpteure der Gegenwart. In der auf zwei Stationen verteilten Schau in Basel werden Arbeiten aus Jahren 1997 bis 2014 gezeigt. Die typisierte Menschengestalt beschäftigt den Künstler ebenso wie Maßstab, Format und Größe.

Von Christian Gampert | 15.06.2014
    Die Skulptur "Sleeping Woman" (2012) von Charles Ray ist im Kunstmuseum in Basel zu sehen.
    Die Skulptur "Sleeping Woman" (2012) von Charles Ray ist im Kunstmuseum in Basel zu sehen. (Georgios Kefalas / dpa)
    Was eine Skulptur darstellt, und ob sie überhaupt etwas darstellt, das ist, trotz aller Beteuerungen von Moderne und Postmoderne, für den Betrachter nicht ganz unwesentlich. Für den Künstler aber zählt vor allem die Form – selbst wenn er gar nicht abstrakt arbeitet.
    Im Schaulager Basel zum Beispiel wird man von Katharina Fritschs "Rattenkönig" quasi erschlagen – durch schiere Größe. Die kommerzgesteuerten Ballonwesen des Jeff Koons blenden den Kunstmarkt seit vielen Jahren durch Spiegelungen und technische Perfektion. Und im Kunstmuseum Basel steht nun ein überlebensgroßer Junge, an dessen erhobener Hand ein Frosch baumelt. Sein Schöpfer, der große amerikanische Bildhauer Charles Ray, gibt freimütig zu, dass er sich für Jungen mit Fröschen nicht unbedingt interessiert. Die Bedeutung der Skulptur liege vielmehr im Raum zwischen dem Jungen und dem Lurch; dieser Raum sei das formale, imaginäre Gerüst der Arbeit: Es entstehe eine Spannung zwischen dem – übrigens in stupender Meisterschaft ausgeführten – Körper des Jugendlichen und dem baumelnden Tier.
    Formalistischer Background
    Der jetzt 61-jährige Charles Ray kommt aus einem ganz formalistischen Background; dass er jetzt Figuren von klassizistischer Schönheit und Eleganz schafft, ist einerseits konsequent, andererseits ein guter Witz: Der Mann hat sich früher bei seinen Aktionen wie ein moderner Christus mit einem Brett in den unmöglichsten Stellungen an die Wand geklemmt, 1973 war das. Das war damals hinreichend performativ, andererseits spielte es eben ganz streng mit Geometrie und Schwerkraft. Im gleichen Jahr haute Ray aber auch eine zwei Tonnen schwere Abrißbirne auf eine darob sich verformende Stahlplatte oder spannte von einem Stahlelement ein Seil an einen Baum.
    Das Frühwerk von Charles Ray wurde 1994 in Bern und Zürich gezeigt. Den Abschluss bildete die skurrile "Family Romance": Eltern und minderjährige Kinder sind gleich groß und sehen aus wie Schaufensterpuppen. Die derart typisierte Menschengestalt beschäftigt Ray immer noch, und noch immer denkt er über Masse, Farbe, Material und vor allem Maßstab, Format, Größe nach.
    "Ich habe mich mein ganzes Leben mit Figuration beschäftigt; und in einem bestimmten Moment sah ich die Potenzialität der Skulptur – vielleicht so, wie Donald Judd eines Tages die Box sah. Ich sah das als Gerüst, mit dem ich arbeiten konnte. So wie eine leere Leinwand."
    Die auf zwei Stationen verteilte Basler Ausstellung zollt Rays Figuren insofern hohen Respekt, als jede Arbeit einen ganzen Raum für sich beanspruchen darf. Im Museum für Gegenwartskunst ist sogar der gesamte zentrale Saal leergeräumt für einen knieenden nackten Jüngling aus massivem, schweren Edelstahl, der sich einen nicht vorhandenen Schnürsenkel bindet; eine grandiose Inszenierung, die diese durch das Material quasi schweißglänzende klassizistische Körperlichkeit in den Blick rückt.
    Im Kunstmuseum Basel dagegen beginnt man ganz anders: Hier wird der Besucher zuerst mit einem graubemalten, in jedem abgegossenen Detail minutiös wieder zusammengesetzten Unfallwagen aus Fiberglas konfrontiert. Die hochgewölbte Motorhaube erzählt von der Gewalt des Zusammenstoßes; vor uns liegen – wie Innereien – die Teile eines Automobilmotors, und gerade in der mechanischen Verkünstlichung wird der Tod eines Menschen erfahrbar. Dann wird man durch die Räume geführt, die mit makellos schönen, meist nackten, aber in ihrer Alltäglichkeit belassenen Einzelfiguren bespielt sind. Dazwischen Miniaturen wie das Ei, aus dem ein noch nicht voll entwickeltes Küken herausschaut, und gewalttätige Industriekultur wie der aus Gußformen nachgebildete Traktor, der eine Art Philosophie der Maschine an sich sein will.
    Es gibt für jede Figur ein richtiges Maß; deshalb ist der Junge mit dem Frosch auch 2,44 Meter groß – gerade groß genug, dass das Publikum um die Figur herum- und unter dem Frosch(-könig?) hindurchgehen kann. Ursprünglich stand die Skulptur in Venedig an der Punta della Dogana; dort hätte die Figur eine soziale Funktion gehabt, aber nach Bürgerprotesten wurde sie entfernt. Aber so holt das Soziale den Formalisten Charles Ray wieder ein. Und wir selber geben gern zu, dass uns die wie ein Denkmal in Stahl gegossene, schlafende Obdachlose, die in Basel die Ausstellung beschließt, weit mehr berührt als alle imaginären Schnürsenkel dieser Welt.