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Ausstellung
Das Tattoo als kulturgeschichtliches Phänomen

Die Zeiten, in denen Tätowierungen mit zwielichtigen Gestalten in Hafenkneipen assoziiert wurden, sind vorbei. Längst ist die Körperkunst zu einem Massenphänomen geworden. Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe widmet sich jetzt der Geschichte des Tattoos.

Von Alexander Kohlmann | 13.02.2015
    Ein Mann und eine Frau schauen sich in Hamburg im Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) in der Ausstellung "Tattoo" Bilder von Tätowierten vom Fotografen Ralf Mitsch an.
    Tätowierungen - mehr als bloß Körperschmuck (picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt)
    Unter die Haut gehen. Die Installation des schweizer Künstlers Marchisella verwandelt den Vorgang des Tätowierens in eine Musik. Deutlich zu hören ist das monotone Surren der Nadel, bilden einzelne Töne erst Abfolgen und später ein Ganzes. Ein Bild auf der Haut, für die Ewigkeit.
    "Also die Haut altert ja mit der Zeit und dementsprechend lebt das Tattoo mit einem mit."
    Julia Wenzel besitzt ein Tätowierstudio in Hamburg und ist, natürlich, auch selber tätowiert. Ihr erstes Tattoo legte sich sich zu als sie 20 war.
    "Also es wird nie mit 80 Jahren so aussehen wie es damals aussah, als ich mir das mit 20 gestochen habe".
    Einen Teil ihrer Entwürfe hat die studierte Grafikdesignerin beigesteuert, zur Ausstellung "Tattoo" am Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Die Ausstellung will, erstmalig in Deutschland, das Phänomen Tattoo als kulturgeschichtlichen Topos begreifen, erklärt Kuratorin Susanna Kumschick.
    "Tätowierungen sind ein sehr aktuelles Massenphänomen".
    Die Ausstellung sei die erste, die das Thema von so unterschiedlichen Seiten zeige - man bekomme deutlich mehr zu sehen, als bei einem Rundgang auf der Reeperbahn.
    "Das geht nicht nur um Kulturgeschichte, es geht auch um künstlerische Arbeiten, die sich von Tätowierungen beeinflussen lassen, es geht auch um zeitgenössische Tätowierpraxis".
    Tätowierte Schweine
    Zu bestaunen sind Fotos und Videos der Tattoos von Mafia-Clans in El Savador. Jedes Tattoo in Form einer Träne steht für einen Mord, den das Mitglied vollbracht hat. Das Tattoo macht so die Geschichte des Kämpfers sichtbar, erzeugt Respekt, aber auch Angst.
    Auf der Hamburger Ausstellung gibt es aber nicht nur Fotos zu sehen, sondern auch echte Tattoos auf nackter Haut. Der belgische Künstler Wim Delvoye lies Anfang des Jahrtausends die Haut von Schweinen mit Tattoos verschönern. Schweine seien den Menschen sehr ähnlich. "Wir haben die gleiche Haut, wir essen das Gleiche und wir haben die selben Organe. Tätowierte Schweine sehen aus wie tätowierte Menschen", sagte der Künstler.
    Ein ausgestopftes Schwein steht mitten in der Halle - und fühlt sich tatsächlich unheimlich an. Durch die menschliche Körperkunst auf tierischer Haut, begreifen wir erst die Ähnlichkeit. Feine, helle Körperhärchen glänzen über den Bildern. Körperhärchen, die denen in einem anderen, etwas makaberen Teil der Ausstellung verblüffend ähnlich sehen. Die Tattoos von unbekannten Mordopfern hat die Polizei in Basel um 1900 gesammelt, für eine möglich spätere Identifizierung.
    Jetzt stehen wir vor den Gläsern mit eingelegten, menschlichen Hautfetzen. Ein Segelschiff ist auf einem Präparat deutlich zu erkennen, so wie überhaupt in Hamburg Seefahrer-Tattoos eine wichtige Rolle spielen. Sie seien früher ein begehrtes Souvenir gewesen, erklärt die Kuratorin. Heute würden dagegen nicht nur Seeleute Tattoos tragen, sondern die Körperbemalung ist in allen Teilen der Gesellschaft zu finden.
    "Zum Beispiel dieses Tattoo hier, das ein neuronales Netzwerk zeigt, und von einem Biologen auf seine Schulter tätowiert ist. Das finde ich einfach ein schönes Beispiel, welche Communities sich heute auch noch tätowieren, nämlich die Naturwissenschaftler. Es ist ein extrem schönes Tattoo und es zeigt die Leidenschaft für die Tätigkeit seines Gehirns, was ja auch sein Beruf ist".
    So streift die Ausstellung etliche Momente der Kulturgeschichte des Tattoos, eine präzise Chronologie liefert sie aber nicht. Sie wirft ziemlich unzusammenhängende Schlaglichter, bei denen man sich manchmal etwas mehr Systematik wünscht. Andererseits will sie keine klaren Antworten liefern, sondern nur Auftakt sein - zu einer Kultur- und Kunst-Geschichte des Tattoos.