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Ausstellung
Der Schutt des Propagandaministers

Damit das Gebäude nicht an Neonazis geht, hat der Künstler Gregor Schneider das Geburtshaus von NSDAP-Propagandaminister Joseph Goebbels gekauft - und einreißen lassen. Die Überreste von Holzbohlen oder völkischer Literatur stellt er nun in Warschau aus, einige hundert Meter vom früheren Getto entfernt.

Von Martin Sander | 28.11.2014
    Ein Bauschutt-Container steht am 06.11.2014 in Mönchengladbach vor dem Geburtshaus von Joseph Goebbels. Der für seine verstörenden Raumskulpturen bekannte Künstler Gregor Schneider hat das Geburtshaus des Nazi-Propagandaministers Joseph Goebbels entkernen lassen und will den Schutt in Warschau ausstellen.
    Das Geburtshaus von Joseph Goebbels in Mönchengladbach - ein Bauschutt-Container steht davor. (picture alliance / dpa / Federico Gambarini)
    Es wirkt wie ein rhythmischer Kraftakt, wenn die Arbeiter das Haus von seinen Innereien befreien, bis nur noch die Außenmauern stehen. Es geht um das Haus im Mönchengladbacher Stadtteil Rheydt, in dem 1897 NS-Propaganda-Minister Joseph Goebbels zur Welt kam. In zwei abgedunkelten Kammern der staatlichen Zachęta-Galerie, dem wichtigsten Ort für zeitgenössische Kunst in Warschau, kann man diese Zertrümmerung nun auf Bildschirmen betrachten - ebenso wie den kleinbürgerlich-bundesdeutsch geordneten und zugleich heruntergekommenen Zustand der Immobilie bei der Übernahme durch den Künstler Gregor Schneider. Wegen seiner oft beängstigenden Rauminstallationen haben ihn Kritiker den Geisterbahnbauer der europäischen Kunstszene genannt. Schneider hat sich des Goebbels-Geburtshauses bemächtigt, damit es nicht an Neonazis gerät.
    "Mir war von vornherein klar, dass eine Kommerzialisierung ausgeschossen ist. Also sozusagen mache ich das ehrenamtlich. Ich beauftrage einen Statiker für die Rückbaustatik. Ich bezahle Firmen, die mir bei der Dekonstruktion helfen. Aber was macht man mit diesen Materialien, verklappt man das auf dem Meer? Baut man daraus neue Skulpturen, bringt man das zur Deponie, zu welcher Deponie? Wie geht man damit um?"
    In einem der großen lichthellen Zachęta-Säle hat Gregor Schneider nun alte brüchige Holzdielen, Leisten und Bretter aus dem Goebbels-Haus gestapelt - ein Scheiterhaufen. An der Decke hängt dazu ein großes Mobile. Im Schneckentempo dreht sich das Gestell aus Büchern und Blättern völkisch-totalitärer Botschaft: "Seelenkunde vom Erbgedanken aus", "Die menschlichen Formengesetze als Schlüssel zur Rassenkunde" oder "Der vollendete Mensch" – lauten einige der Titel. So etwas hatte noch der letzte Bewohner des Rheydter Goebbels-Geburtshauses im Regal. Vor dem Portal der Zachęta-Galerie steht zudem ein LKW mit offenem Container. Von einem Gerüst kann der Besucher auf Mauerwerkreste und Fliesenscherben blicken – Schutt aus dem Goebbelshaus.
    Frage an das Publikum
    "In der Kunst, da gibt es kein Richtig und kein Falsch. Da gibt es künstlerische Positionen. Bei dieser Arbeit geht es mir aber auch gar nicht so sehr um die Frage rund um die Kunst. Es gibt bis heute diese historisch belasteten, verseuchten Orte. Ist es eine kollektive Verdrängung, dass wir auf Orte stoßen, die uns bisher nicht bekannt waren? Ist es Gleichgültigkeit? Ich gebe die Frage jetzt weiter an Sie, an das Publikum..."
    Nach Warschau eingeladen hat Gregor Schneider die international bekannte polnische Kuratorin Anda Rottenberg. Auf die Frage, was das das Goebbels-Projekt mit Warschau zu tun hat, antwortet sie.
    "In Polen ist die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg immer noch sehr mächtig. Die Erinnerung konzentriert sich vor allem darauf, was die Nazis uns, nicht unbedingt darauf, was die Polen anderen angetan haben, obwohl darüber auch immer mehr gesprochen wird. Auf der anderen Seite schauen wir hier mit unserem Warschauer Blick auf unsere Nachbarn, sehen das, was sie vielleicht von innen nicht erkennen können. Wir sehen, dass der Bazillus des Nationalsozialismus sich dort immer noch verbirgt."
    Bislang hält sich der Besucherandrang vor dem Container in Grenzen. Das Gefühl, mit historisch kontaminiertem Schutt zu leben, ist in der polnischen Hauptstadt allgegenwärtig. Nur ein paar hundert Meter läuft man von der Zachęta bis zur Grenze des früheren Gettos. Dort (aber nicht nur dort) errichtete man nach dem Zweiten Weltkrieg ganze Stadtviertel auf einem Untergrund aus Schutt und Leichen. Einen Skandal dürfte Schneiders Kunstaktion nicht auslösen – es sei denn, die dafür zuständigen Nationalkonservativen haben gerade kein besseres Erregungsthema.