Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Ausstellung "Die Familie. Ein Archiv"
Gelehrtenfamilien und ihre Familientradtion

Von den Goethes über die Manns bis zu den Walsers: Das Deutsche Literaturmuseum in Marbach präsentiert eine Ausstellung über Gelehrtenfamilien und deren Selbstdefinition - die Stammbäume und Fotos zeigen die Beziehungen untereinander.

Von Christian Gampert | 22.09.2017
    Außenansicht des Literaturmuseums der Moderne in Marbach am Neckar.
    Das Literaturmuseum der Moderne in Marbach. (picture alliance / dpa / Wolfram Kastl)
    Sogar Schriftsteller, angeblich die großen Einsamen, haben das Bedürfnis, sich in eine Familientradition zu stellen. Das in Marbach gezeigte Taufhemd von Thomas Mann zum Beispiel wurde von Generation zu Generation weitervererbt. Und wer es trug, sollte – bitte - den hohen Erwartungen der Lübecker Patrizier genügen. Die Zugehörigkeit zum Clan, sagt Kuratorin Ellen Strittmatter, sei also durchaus anstrengend.
    "Das eine große, prägnante Beispiel ist das Stammbuch von Goethe, der seinem Sohn das Stammbuch in die Hände gibt mit den Worten, er solle darin auch die Gelehrten seiner Zeit versammeln. Der junge Goethe ist zwölf Jahre alt und soll sich schon in den Kreis der Gelehrten und Dichter einreihen – das ist auch eine große Bürde."
    Gelehrtenfamilien wie die Humboldts, Mommsens, Manns oder in jüngerer Zeit die Weizsäckers, Enzensbergers, Walsers: Sie waren oder sind aber auch mächtige Stichwortgeber für gesellschaftliche Debatten, sie sind eine Macht.
    Wie wird eine Familienfirma erschaffen?
    Wie eine solche Familienfirma erschaffen wird, kann man nirgends besser begreifen als im Archiv: Die Familie bestätigt sich selbst in ihren Zeugnissen. Dabei offenbaren die ausgestellten Familienstammbäume allerlei Kurioses: Den Mörikes war es darum zu tun, in direkter Linie von Luther abzustammen, was nie belegt werden konnte. Rainer Maria Rilke versuchte vergeblich, eine adlige Herkunft nachzuweisen. Walter Benjamin dagegen fertigte eine Art Stammbaum seiner intellektuellen Freundschaften.
    Es ist eine merkwürdige Mischung aus jener alten Politik des Blutes und einer Konzeption der freien Wahl, der Geistes-Verwandtschaften, die wir hier zu Gesicht bekommen.
    Peter von Matt, der Züricher Literaturwissenschaftler, ging in seiner Eröffnungsrede noch viel weiter zurück, zur Orestie als der Ur-Form des Familienkonflikts. Von Matt spürte den Gattenmord der Atriden, der von den Kindern gerächt wird, in Shakespeares "Hamlet" wieder auf und ging dann weiter zum amerikanischen Theater des 20. Jahrhunderts, das Strindbergsche Totentänze und Ibsens Lebenslügen wieder aufnehme.
    Wo das aufgeklärte Bürgertum über sich nachdenke, sagte von Matt, tauche die mythische Welt der Orestie wieder auf.
    Im Grunde hielt von Matt ein Plädoyer für die Eigengesetzlichkeit der Literatur - und gegen jene autobiografisch orientierte Germanistik, die in Kafka nur den neurotischen Sohn sehen kann. Damit war von Matt nicht unbedingt auf der Linie der Ausstellung, die in den realen Schriftstellerfamilien immer wieder das Vorbild für literarische Figurenkonstellationen ausmacht – nehmen wir nur die "Buddenbrooks". Allerdings glaubt auch von Matt, dass der lebenslange Streit zwischen Thomas und Heinrich Mann nicht nur politische Gründe hatte:
    "Dieser Konflikt zwischen den beiden gleichermaßen genialen Brüdern ist eigentlich etwas Schreckliches. Sie sind zusammen aufgewachsen, haben zusammen gelebt, zeitweise. Da kann man schon fragen: Was steckte denn da eigentlich dahinter? Das wäre ja dann das Familiengeheimnis."
    Fotoarchiv ist sehr gelungen
    Die gelungenste Abteilung der Ausstellung ist das Fotoarchiv. Das Foto ist das Medium, in dem Beziehungen sich am Klarsten zeigen. Gerhard Hauptmann inszeniert sich vor einer Goethe-Statuette, Ernst Jünger arrangiert mit Fotos einen "Friedhof der Freunde". Und Familie Enzensberger lässt sich jedes Jahr von Stefan Moses fotografieren: Zuerst sind da die Eltern mit den vier einflussreichen Söhnen. Dann fehlt ein Sohn, dann der Vater. Die Frau von Hans Magnus kommt hinzu und eine Tochter.
    In jeder Familienaufstellung taucht auch das Foto vom Vorjahr auf. Die Entspanntheit dieser Bilder, die überhaupt nichts Repräsentatives haben, ist relativ einmalig in dieser Ausstellung. Diese Eltern, Enzensbergers Eltern, hätte er gern mal kennengelernt, sagte Peter von Matt im Gespräch.
    Das Mysterium, warum die eine Familie funktioniert und die andere nicht: Das kann auch Marbach nicht erklären.