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Die wahre Geschichte der furchterregenden Wikinger

Ihre Angriffe erfolgten lautlos und schnell: Die Wikinger erreichten mit ihren Schiffen vier Kontinente und dominierten vom 9. bis zum 11. Jahrhundert den Nord- und Ostseeraum. Sie reisten nach Russland, ins Byzantinische Reich, gründeten Siedlungen an den Küsten Grönlands und Nordamerikas. Eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin thematisiert ihr Wirken.

Von Barbara Weber | 04.09.2014
    Das Wrack eines 37 Meter langen Kriegsschiffes der Wikinger, das 1997 bei Roskilde in Dänemark entdeckt wurde, ist das Herzstück einer Ausstellung über die Nordmänner in der neuen Sainsbury-Galerie in London.
    Das Wrack eines 37 Meter langen Kriegsschiffes der Wikinger, das 1997 bei Roskilde in Dänemark entdeckt wurde. (dpa / pa / British Museum)
    "Inzwischen überfielen dänische Seeräuber von der Nordsee aus durch den Kanal fahrend Rouen, wüteten mit Raub, Schwert und Feuer, schickten die Stadt, die Mönche und das übrige Volk in den Tod oder in Gefangenschaft, verheerten alle Klöster, sowie alle Orte am Ufer der Seine oder ließen sie, nachdem sie sich viel Geld hatten geben lassen, in Schrecken zurück."
    Annales Bertiani zum Jahr 841.
    "Björn war ein großer Seefahrer und war zeitweise auf Wikingfahrt und zeitweise auf Handelsfahrt."
    Egils saga Kap. 21.
    "Als sie nun in Bjarmaland kamen, ankerten sie bei einem Handelsplatz, und dort fand ein Markt statt. Und die, die reichlich zahlen konnten, erwarben sich dort Waren in Fülle. Þórir kaufte sich eine Menge Grauwerk sowie Biberfelle und Zobelpelze.
    Auch Karli hatte reichlich Geld, wovon er viel Pelzwerk kaufte. Als nun der Markt geschlossen war, segelten sie den Dwinastrom hinab, und darauf wurde der Friede mit der Landbevölkerung für beendet erklärt."
    Heimskringla. Ólafs saga helga. Kap. 133. Alle zitiert nach Wikipedia.
    "Die altmodischen Wörter Wikinger und Viking, die sind ziemlich präzis: Männlich heißt es Pirat oder Räuber und weiblich Raubzug", sagt Dr. Anne Pedersen, Kuratorin am Nationalmuseum Kopenhagen und Archäologin am Jelling-Projekt:
    "Eine andere Möglichkeit ist Menschen aus Viken in Südostnorwegen. Man könnte sich auch einen Einfluss von Latein vicus oder englisch wic vorstellen, das heißt Handelsplätze wie Lundenwic, das heißt heute London."
    Vielleicht kommt der Begriff aber auch von Vik, Bucht, wie Reykjavik oder Lerwick auf den Shetland-Inseln.
    "Heute müssen wir sagen, dass wir oft Viking für die Menschen und die Kultur der Skandinavier in diesen Jahrhunderten verwenden."
    Heimat der Wikinger
    Aus der Bedeutung des Wortes Wikinger lässt sich schon viel über ihren Ursprung und ihre Tätigkeiten ablesen. Ihre Heimat, die skandinavische Halbinsel, trennt ein massives Gebirge, das im Westen fast bis ans Meer reicht. Zwischen den einzelnen Bergketten schneiden Fjorde die Küste ein. Nur ein relativ schmaler Landstreifen an Küste und Fjordufer ist bewohnbar. Enge Buchten, Flüsse und Seen prägen die westliche, stark zerklüftete Landschaft. Auch das heutige moderne Dänemark ist durch natürliche Grenzen strukturiert.
    So blieb der skandinavischen Bevölkerung nur eine Möglichkeit der schnellen, unkomplizierten Fortbewegung: der Seeweg. Auf dem entwickelten sie eine Meisterschaft, die zu der Zeit ihresgleichen suchte:
    "Wir stehen jetzt in der großen Halle des Gropius-Baus. Man könnte aber auch fast den Eindruck gewinnen, wir stehen in einem Hafenbecken, denn vor uns liegt die große Roskilde 6, das größte, je entdeckte Wikingerschiff aller Zeiten."
    Sagt Professor Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, Berlin:
    "Es ist ein gewaltiges Langschiff mit einem ganz geringen Tiefgang. Das ist also sehr schnell, auch sehr wendig. 76 Ruderer hatten da einst Platz drin, wahrscheinlich 100 Mann Besatzung insgesamt. Und wenn das große Segel am Horizont auftauchte, dann blieb nicht mehr viel Zeit, zu reagieren, dann waren die Wikinger schon fast da. Diese Überraschung, diese Schnelligkeit, das ist es natürlich auch, was den Erfolg der Wikinger bei ihren Überfällen ausmachte. Dieses hier ist ein Kriegsschiff, ganz klar, kein Handelsschiff. Und ein so gewaltiges Schiff, das ist tatsächlich das Schiff des Königs."
    Weit verzweigte Handelsbeziehungen
    Die Wissenschaftler stellten anhand der Hölzer fest, dass die Wikinger das Schiff im Oslofjord bauten und später im Baltikum reparierten. Schließlich wurde es im Roskilde-Fjord versenkt. Ob diese großen Schiffe auch hochseetauglich waren, ist nicht belegt.
    "Aber bei etwas kleineren, die fünf, sechs, sieben Meter kleiner sind, ist es sogar nachgewiesen. Die Wikinger haben mit ihren Schiffen eine ziemlich stabile Verbindung bis nach Island aufgebaut. Das war überhaupt nichts Besonderes, von Norwegen nach Island zu reisen oder von Island auch wieder ins fränkische Reich. Die Verbindung ist ganz stabil und geht ja sogar über Island hinaus. Es führt zur Entdeckung Grönlands, zum Bau fester Siedlungen auf Grönland und dann schließlich zur Siedlung auf Neufundland.
    Hier kommt noch eine große Karte hin, die die wikingischen Welten uns vor Augen führt. Man wird auf diesem Steg bis an das Schiff herangehen können und so ein bisschen die Erfahrung haben, wie so ein Schiffsanlegepunkt, wie er etwa in Haithabu auch nachgewiesen ist, sodass die großen Handelsschiffe dort anlegen konnten und die Waren dort herauskamen."
    Einflüsse unterschiedlicher Kulturen
    Den ersten großen Ausstellungsbereich im Martin-Gropius-Bau widmen die Kuratoren den unterschiedlichen Kulturen, die die Wikinger auf ihren ausgedehnten Fahrten kennenlernten.
    "Die Wikinger-Architektur ist natürlich vom Holz geprägt, deswegen haben wir auch diese großen Holzhäuser, Holzkuben."
    Reich verziertes Schnitzwerk mit geschwungenen Ornamenten aus Schlangen und Drachen schmückten die Häuser. Die Wikinger liebten opulente Form- und Farbigkeit, alles wurde möglichst bunt und farbenprächtig gestaltet und verziert. So bieten die Kuben eine Vorstellung davon, wie die Wikinger ihre Holzhäuser gestaltet haben könnten.
    "Die stehen für uns für den Blick in die verschiedenen Kulturen, denn es ist so, dass die Wikinger ganz unterschiedliche Bereiche miteinander verbunden haben und aus jedem Bereich etwas mitgebracht haben. Diese Kontakte, diese Übernahmen, das macht auch den Reiz der Wikinger aus. Wir werden zum Beispiel in einen Kubus hineingehen können, wo dann viele Stücke sind, die aus Byzanz hierhergekommen sind oder aus dem arabischen Raum und wo die Wikinger andererseits auch ihre Spuren hinterlassen haben."
    Über die Seidenstraße bis in die Tiefen Asiens pflegten die Wikinger Kontakte. Das setzte voraus, dass sie russische Flüsse befahren konnten. Seide, Schmuck und Gewürze brachten sie mit, attraktive Handelsgüter, die im fränkischen Reich heiß begehrt waren. Sie handelten mit Honig und Wachs, Waren aus den russischen Weiten, Schiefersorten, Bernstein aus dem Baltikum, Walross und Elfenbein aus Grönland oder Sklaven, die in den arabischen Raum gebracht wurden. Diesen Warenumschlag schaffen die Wikinger lange bevor es die Hanse gab. Zahlungsmittel waren vermutlich Perlen oder Silber:
    "Der Silberschmuck zum Beispiel kann zu jeder Zeit zu ganz normalem Zahlungsmittel werden. Da gibt es keine Achtung vor dem Schmuck, das wird einfach durchgeschnitten, durchgehauen und dann gewogen und als Zahlungsmittel gebraucht. Wir wissen zum Beispiel, dass Händler in den russischen Weiten die Gewohnheit hatten, immer, wenn sie 10.000 oder 20.000 Dirhams zusammen hatten, daraus einen Halsring für die Frau machen zu lassen, der dann auch wieder genormt ist, der ist genau diese 20.000 Dirhams wert."
    Eine weitere Sektion der Ausstellung beschäftigt sich mit dem Thema Krieg.
    "Hier unten schauen wir auf einen ganz besonderen Grabungsbefund aus Weymouth, das ist an der Südküste Englands."
    Die Besucher blicken auf ein Wirrwarr bunter Linien, die zunächst nicht klar identifizierbar sind, dann aber als Skelette erkennbar. Oberhalb der Leiber liegen auf einem Haufen die Schädel der Toten.
    "Die englischen Archäologen haben dort dieses - Gräberfeld kann man gar nicht sagen - dieses Massengrab ausgegraben. Man sieht hier ganz viele unterschiedliche Farben. Und alles, was gleichfarbig ist, gehört zu einem Leib oder Skelett."
    Die Wikinger und ihre Kriege
    Alle 50 Skelette weisen Spuren einer Enthauptung auf und gehörten, das haben Genanalysen nachgewiesen, zu Männern, die aus Skandinavien stammten. Der Fund ist ein Beispiel dafür, dass die Wikinger nicht immer als Sieger aus den Schlachten hervorgingen. Die Wissenschaftler wissen nicht, ob Wikinger generell im Verlauf ihres Lebens in den Kampf gezogen sind. Was hingegen feststeht, ist, dass der Kampf ein wichtiger Bestandteil der Wikinger-Gesellschaft war. Davon zeugt auch die große Bedeutung von Waffen, insbesondere von Schwertern.
    "Vor allem die fränkischen Schwerter, die sehr begehrt sind. Und auch alle Verbote zu Waffenhandel mit den Feinden haben nichts gefruchtet, also irgendwo unter den Salzfässern lagen dann doch ein paar Schwerter, denn sie waren alle gut ausgestattet."
    Und sie wurden gefälscht, denn Produktfälschung ist keine Erfindung der Neuzeit:
    "Das ist eines der vielen Ulfberht-Schwerter."
    Ein Schwert mit besonders harter Klinge, reich verziertem Griff, oft mit Einlegearbeiten, kurz, ein Statussymbol.
    "Das ist ganz spannend. Das ist so ein bisschen was wie Markenpiraterie. Ulfberht, das ist wahrscheinlich der Name eines Schmiedes, und dieser Schmied hat so tolle Klingen gemacht, dass die als Markenzeichen gebraucht wurden. Und hinterher gibt es so viele Ulfberht-Schwerter, manchmal auch falsch geschrieben, dass man fest davon ausgehen muss, dass das auch an anderen Orten hergestellt wurde. Und man sich mit diesem Markenzeichen einfach geschmückt hat."
    Von Kultstätten weiß man nicht viel – zeigt die nächste Sektion der Ausstellung - doch scheint die Natur eine große Rolle gespielt zu haben. Die Mythologie war ziemlich kompliziert, meint Matthias Wemhoff:
    "Ein wildes Abbild von Eifersüchteleien und menschlichen Wesenszügen, die da eine Rolle spielen."
    Einige Quellen aus Island wie die nordische Edda geben Aufschlüsse auf die komplexe Götterwelt, die der griechischen in nichts nachsteht. König Harald Blauzahn setzte dann im Verlauf des 10. Jahrhunderts das Christentum durch.
    "Das ist ein ganz entscheidender Moment. Und den sehen wir eigentlich hier in diesem gewaltigen Monument. Wir stehen vor dem großen Stein aus Jelling, eine Kopie, die farbig gefasst ist nach den original Farbbefunden des Steines, der heute in Jelling steht. Und die Dänen sprechen ganz respektvoll von diesem Stein als der Taufurkunde Dänemarks."
    Der Weg zum modernen Dänemark
    Tatsächlich hat der Stein Ähnlichkeit mit einer Urkunde:
    "Wir haben diese riesen Schriftseite, die hier ist. Und das Leuchtband untendrunter zeigt, es geht da um eine Botschaft, möglichst aktuell, möglichst präsent aller Welt mitzuteilen: Diesen Stein setzte Harald für seinen Vater König Gorm und seine Mutter Königin Thyr. Dieser Harald, der ganz Dänemark einte und Norwegen und die Dänen zu Christen machte. Also der längste Teil der Inschrift geht um die Leistungen des Sohnes, der den Stein setzt. Er setzt ihn in die Mitte zwischen zwei riesigen Grabhügeln in eine wahnsinnig komplexe Anlage, dieses Jelling, hinein, was auch in den letzten Jahren untersucht worden ist von den Dänen, (so) dass wir heute ein völlig neues Bild haben."
    Und Dr. Anne Pedersen, die seit Jahren in Jelling arbeitet, ergänzt:
    "Jetzt haben wir also ein Bild, das weit größer ist."
    Die Wissenschaftler interessiert, welche Rolle Jelling in der Wikingerzeit gespielt hat. Der Ort dient als Ausgangspunkt für ein großes Forschungsprojekt der Umgebung und der damaligen Zeit.
    "Das Besondere ist, dass Jelling und auch andere Bauwerke, die dem König zugeschrieben werden, die zeigen uns, dass die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts eine unerhört wichtige Periode war. Viel Neues wurde in Gang gesetzt. Und alles ging anscheinend sehr schnell."
    König Harald – so die neuen Erkenntnisse - zeigte sich als sehr innovativer Herrscher, wie seine Großbauten zeigen.
    "Also zum Beispiel in Jelling, da hat er eine ganz große Anlage gebaut: 360 Meter auf jeder Seite, mit Gebäuden und Monumenten und so weiter. Zehn Kilometer südlich davon ließ er eine Brücke bauen, 760 Meter lang. Er hat große Ringburgen gebaut, die alle nach derselben Schablone gemacht worden sind."
    König Harald verstand, seine Macht nach innen und außen zu demonstrieren. Das zeigte sich auch an den Langhäusern mit ihren großen Empfangshallen, in denen er residierte. Die Rekonstruktion einer solchen luxuriös gestalteten Halle können die Besucher auch in Berlin besichtigen.
    "Da gibt es eine ganze Menge von Sagas, die das beschreiben, das reich ausgestattet sein von solchen Hallen, mit viel Stoffen, deswegen hier der rote Boden, die rot glänzenden Vitrinen, also Farbigkeit gehörte unbedingt dazu. Dazu kommt natürlich eine üppige Ausstattung, so, wie wir das hier sehen, mit prächtigen Gläsern, mit Silbergefäßen, mit qualitätsvollen Kannen. All das, was man auch woanders sieht, was man bei den Franken mitbekommen hat, vielleicht auch manchmal mitgenommen hat, was man aber auch in Byzanz wahrgenommen hat. Das führt auch dazu, dass man so etwas in die eigene Repräsentation integriert."
    Harald Blauzahn nimmt ein tragisches Ende. Der große König steht im Konflikt mit seinem Sohn, Sven Gabelbart. Vermutlich flieht der alte König in slawische Gebiete. Dort wurde zumindest ein kostbarer Schrein gefunden, der wohl dem König gehörte. Der Schrein ist in der Ausstellung zu sehen, ebenso wie die alte Glocke von Haithabu oder der Goldschatz vom Hiddensee, der prächtigste Goldschatz der Wikingerzeit. Auch der könnte ein Zeugnis von König Harald sein. Rund 80 Jahre nach seinem Tod wurde wohl die letzte große Wikingerschlacht geschlagen.
    "Die Historiker sagen eigentlich 1066 ist das Ende der Wikinger. Da gibt es noch mal einen norwegischen Überfall, eine Attacke auf englisches Gebiet, die wird noch abgeschlagen, auch von den Nachfahren der Wikinger, die da ja schon sitzen. Aber dann kommen die Normannen, die ja auch Wikinger sind, von der anderen Seite und die berühmte Battle of Hastings verändert dann den Weg Englands. Damit sind eigentlich die wikingischen Überfälle, Attacken, zu Ende. Und zu dieser Zeit hat sich ja schon in Skandinavien ein stabiles Staatengebilde herausgebildet. Das ist die eigentliche Leistung der Wikinger aus meiner Sicht, dass sie es schaffen, zu einem bis heute ja äußerst stabilen Element der Staatenwelt Europas zu werden."