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Ausstellung
Glanz und Elend alter Kinopaläste

Kristallene Lüster zwischen Staub und Schutt: Die Pariser Fotografen Romain Meffre und Yves Marchand zeigen in ihrer Fotoserie "Filmtheater" den Verfall einst glamouröser amerikanischer Kinopaläste. Die Ausstellung im Deutschen Filmmuseum schlägt auch den Bogen zur Geschichte der deutschen Kinos.

Von Kirsten Liese | 26.11.2014
    Kino Zoo-Palast Berlin
    Das traditionsreiche Kino Zoo-Palast in Berlin wurde als Luxuskino wiederbelebt. (picture alliance / ZB / Jens Kalaene)
    Bröckelnde Fassaden, zerschlissene Vorhänge, ramponierte Tribünen, Staub und Schutt: Die großformatigen Ansichten bieten einen traurigen Anblick des Verfalls. Und doch entdeckt man auf den Abzügen der Pariser Fotografen Romain Meffre und Yves Marchand inmitten der Verwüstung auch staunenswerte Relikte einer von Schönheit und Glamour geprägten vergangenen Kinokultur: Stuckaturen, Ornamente, kristallene Lüster und vereinzelt sogar Orgeln an den Wänden.
    Spuren solch barocker Opulenz lassen sich vergleichsweise in Deutschland oder Frankreich nicht finden. Die Aufnahmen dokumentieren so gesehen dezidiert die gesellschaftlichen Umbrüche in Amerika, sagt Romain Meffre:
    "Die Kinopaläste der goldenen 20er-Jahre zielten darauf ab, die Besucher mit ihrer Architektur und ihrem besonderen Komfort zu beeindrucken, zu verführen. Sie sollten sich wie Könige fühlen. Amerika wollte die Menschen zum Träumen bringen."
    Schon in ihrem viel beachteten Bildband "Ruins of Detroit" dokumentierten die selbst ernannten Foto-Archäologen Meffre und Marchand mit gespenstischen Impressionen den Wandel der berühmten einstigen Stadt des Auto-Booms in eine verlassene, verarmte Geisterstadt. Ihre jüngste Serie "Filmtheater", für die sie quer durch die USA reisten, stellte sie technisch vor eine noch größere Herausforderung:
    "Wir standen vor der Schwierigkeit, angemessene Lichtverhältnisse zu schaffen, im Kino gibt es ja keine Fenster. Da es uns darauf ankam, den Bildern eine räumliche Tiefe zu geben und Details von Dekors einzufangen, haben wir mit sehr langen Belichtungszeiten gearbeitet. Das ermöglichte es uns, mit unserer Halogenlampe im Raum herumzulaufen und möglichst viele Winkel auszuleuchten."
    Das Kinosterben Anfang der 1960er-Jahre führte in Amerika jedoch nicht durchweg zu Verfall und Gebäude-Leerstand, sondern oftmals zu profanen, bisweilen geradezu grotesken Transformationen. Viele der Bilder wirken wie Montagen: oben die vornehme Kuppeldecke, unten eine Basketballhalle, ein Supermarkt, ein Fitness-Studio oder ein Busdepot.
    Billigladen in restaurierter Kinoarchitektur
    Eine Restauration der gigantischen, bis zu 4000 Plätze umfassenden Filmtheater ist immens teuer, der amerikanische Denkmalschutz damit überfordert. Insofern ist die Umwandlung eines Filmtheaters in einen hässlichen 99-Cent-Store für Jessica Niebel, die Kuratorin der Frankfurter Ausstellung, noch tragbar:
    "Das ist ein totaler Billigladen, aber die Architektur ist restauriert worden, also das, was oben drüber noch zu sehen ist an Dekor, ist die ursprüngliche Kinoarchitektur. Das bewirkt zweierlei: Auf der einen Seite tut es irgendwie weh, auf der andern Seite freut man sich auch, dass dadurch die Architektur erhalten wurde."
    Die Fotografen holen mit ihren Arbeiten aber auch weitaus schmerzlichere vergessene Geschichten vom alten Glanz aus der Dunkelheit. Am brutalsten wirkt der Zusammenprall von Vergangenheit und Gegenwart in dem 1910 erbauten alten Spooner-Theater in der Bronx, einem heutigen Kleidergeschäft. Mit lindwurmartigen Leitungen der Klimaanlage auf einer im Saal eingezogenen Zwischendecke, mit Stahlseilen und perforierter Decke erinnert diese Aufnahme an ein Szenario aus einem Science Fiction-Film.
    Mit einer Kompilation historischer Wochenschau-Berichte von den 1940er- bis 70er-Jahren schlägt die Frankfurter Ausstellung einen Bogen zur Geschichte der deutschen Filmtheater:
    "Mein Punkt ist zu sagen, dass die Kinogeschichte schon immer vielen Herausforderungen begegnet ist und ganz schön radikale Tiefen erlebt, aber es doch geschafft hat, mit immer wieder neuen Ansatzpunkten und Ideen zu begegnen und zu überleben."
    Tatsächlich belegen sogar die auch für Opernübertragungen genutzten modernen Astor Lounges in Berlin, Köln, München und Frankfurt mit ihrem luxuriösen Sitzkomfort, Sektausschank und Platzanweisern, dass Filmtheater für den gehobenen Geschmack auch heute noch ein Publikum finden.