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Ausstellung
Glanz und Elend der Berliner Moderne

Sie lebt erst seit wenigen Jahren in Berlin: Jetzt beeindruckt Mariana Castillo Deball mit einer Großinstallation in der Hauptstadt. Die Gewinnerin des "Preises der Nationalgalerie" hat Kunstwerke im Hamburger Bahnhof zusammengetragen und zu einer Art archäologischem Gelände zusammengefügt.

Von Carsten Probst | 24.09.2014
    Was haben die folgenden Dinge miteinander gemeinsam: Der zerborstene Kessel einer Dampflokomotive aus dem Jahr 1910; ein Fragment der Skulptur der "Knieenden" von Wilhelm Lehmbruck; ein Gemälde von Osman Hamdi Bey aus dem 19. Jahrhundert, das einen "Persischen Teppichhändler auf der Straße" zeigt; die Totenmaske von Max Liebermann, 1935 gefertigt von Hitlers späterem Lieblingsbildhauer Arno Breker; ein alter Fahrplanständer, mit vielen Bildern beklebt, dazu eine Fahrkartensammlung und eine alte Bahnsteigbank aus Holz; Selbstportraits von Karl Hofer und Zeichnungen von Willi Baumeister, die während des Dritten Reiches als "Entartete Künstler" galten.
    Auflösung des Rätsels: All diese Dinge befinden sich – neben einigen anderen – in der aktuellen Großinstallation der mexikanischen Künstlerin Marina Castillo Deball im Hamburger Bahnhof. All diese Dinge haben auf ihre Weise etwas mit Berlin zu tun. Sie stammen aus Berliner Sammlungen, etwa der Staatlichen Museen oder des Deutschen Technikmuseums, und die aktuelle Trägerin des Preises der Neuen Nationalgalerie hat sie zu einer Art archäologischen Gelände zusammengefügt, in dem sich Glanz und Elend der Berliner Moderne spiegeln.
    Bezug zur Eisenbahngeschichte Berlins
    Die vielen Artefakte aus dem Technikmuseum beziehen sich dabei auf die markante Eisenbahnhistorie der Stadt, ohne die die explosionsartige Entwicklung Berlins zur modernen Industriemetropole undenkbar wäre. Zudem waren diese Relikte im Hamburger Bahnhof verwahrt, der damals noch das Berliner Eisenbahnmuseum beherbergte, ehe er nach der deutschen Wiedervereinigung in das heutige Museum für Gegenwartskunst umgewandelt wurde.
    Der zerborstene Kessel der Dampflok deutet als Relikt die Gewalt dieser Entwicklung zur Metropole an, nicht weniger als das Kriegerdenkmal für die gefallenen Eisenbahner des Ersten Weltkriegs von 1918, das Marina Castillo Deball ebenfalls in ihre ihren Parcours integriert hat. Die Verweise auf Kunst und Künstler jener Zeit bestätigen den Eindruck, dass es sich bei dieser Installation eher um ein historisches Trümmerfeld handelt, das Trümmerfeld der buchstäblich unter das Rad gekommenen Avantgarde Deutschlands während des Nationalsozialismus.
    Castillo Deball hat Fleißarbeit geleistet
    Besucher wandeln zwischen diesen Fundstücken durch die große Halle des Hamburger Bahnhofs, die tatsächlich noch sehr an eine alte Bahnhofsarchitektur erinnert, und staunen über die Fleißarbeit, die die erst seit einigen Jahren in Berlin lebende Mexikanerin dafür aufgewendet haben dürfte, um sich in die so höchst ambivalente jüngere Geschichte der Stadt zu vertiefen und die Bildersammlungen nach Artefakten und Werken zu durchforsten.
    Castillo Deballs Verfahren, eine künstlerische Arbeit mit einer vorausgehenden, langen wissenschaftlichen Recherche zu verbinden entspricht wiederum selbst sozusagen einer urmodernen Tradition, vor allem Marcel Duchamps und seiner verschiedenen Textsammlungen, die jahrzehntelang der Kompositionen von Bildwerken vorausging.
    Persönliche Erzählungen von Autoren im Audioguide
    Zugleich erweitert sie das Verfahren um ein literarisches und ein theatralisches Element. Über einen Audioguide können die Besucher Station um Station der Installation abgehen und dazu persönlich gehaltene Erzählungen von mehr oder weniger sachkundigen Autoren anhören. Ihr schwebt, nach eigener Aussage, eine Art Oper vor, die das historische Material zum Sprechen bringt und es gleichzeitig wie in einem Reigen vor dem Besucher vorüberziehen lässt; durch den poetische Verbindungen zwischen historischen Dingen entstehen, die mitunter widersprüchlich erscheinen, aber sich gerade dadurch auch von der objektiven Geschichtsschreibung unterscheiden sollen.
    Eigene kleine oder größere Eingriffe für die 39-Jährige Mexikanerin hinzu: Stellt manche Artefakte auf selbst gefertigte, farbig marmorierte Sockel, die selbst wie Materialassemblagen wirken und die man ähnlich schon von ihr auf der documenta 13 gesehen hat. Oder sie fügt Dinge hinzu wie einen Rollstuhl, der hier wie zufällig mitten in der Ausstellung steht, und hat große Vorhänge mit dem Ornament des berühmten Mschatta-Tores aus dem Berliner Pergamonmuseum bedrucken lassen, das zum einen auf die große Tradition der Orientforschung in Berlin verweist, zum anderen den Geschichtsparcours gleichsam verschleiert.
    Geschmack des selbstzufriedenen Kulturbürgertums getroffen?
    Diese archäologische Strategie mag zum einen der mexikanischen Eigenart geschuldet sein, selbst Funde, die kaum ein halbes Jahrtausend als sind, wie Verweise auf eine mexikanische Antike zu inszenieren. Geschichte, die über den Weg der Kunst als Bildgeber für die nationale Repräsentation instrumentalisiert wird, kennt man natürlich auch in Europa. Castillo Deballs Vorgehen ist am intellektuellen Widerstand gegen die Willkür politischer Ikonografie unter den Regimen Lateinamerikas gereift. In Europa, in Berlin zumal, trifft sie damit aber wohl eher den Geschmack des neuen selbstzufriedenen Kulturbürgertums, das sich nach einem neuen Historismus sehnt.