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Ausstellung im British Museum
Mit Siebenmeilenstiefeln durch die deutsche Geschichte

Mit der großen Objekt-Schau "Germany: memories of a nation" im British Museum in London möchte Direktor Neil McGregor das schiefe Deutschlandbild der Briten zurechtrücken. Von der Erfindung des Buchdrucks bis zum Fall der Mauer sind alle Errungenschaften der Deutschen vertreten.

Von Hans Pietsch | 16.10.2014
    Auf dem Bild "Goethe in der römischen Campagna" von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein liegt Goethe hingebettet vor einer italienischen Landschaft
    Tischbeins berühmtes Goethe-Porträt aus dem Frankfurter Städel ist Teil der Ausstellung "Germany: memories of a nation". (picture alliance / dpa/ Boris Roessler)
    Da steht er, am Fuß der Treppe, die zu den Ausstellungsräumen führt: ein VW-Käfer, Jahrgang 1953, in all seiner Schönheit und Zwiespältigkeit. Zum einen Symbol für deutschen Erfindergeist und deutsche Wertarbeit, zum anderen aber Erinnerung an eine dunkle Zeit. An dem Volksauto haftet ja nicht nur der Name seines Schöpfers Ferdinand Porsche, sondern auch der seines Auftraggebers Adolf Hitler.
    Museumsdirektor Neil McGregor will mit dieser Ausstellung das seiner Ansicht nach schiefe Deutschlandbild seiner Landsleute etwas zurechtrücken. Man könne, sagt er, "die Welt heute nicht verstehen, ohne auch ein bisschen zu verstehen, wie die Deutschen die Dinge sehen".
    200 Objekte zeigen Deutschland
    Statt auf Knobelbecher und Hitlergruß setzt der erklärte Germanophile auf Johann Tischbeins berühmtes Goethe-Porträt aus dem Frankfurter Städel, eine Nachbildung von Dürers Rhinozeros aus Meissener Porzellan und auf Möbeldesign des Dessauer Bauhauses. Auf kulturelle Errungenschaften also. Und so geht es mit Siebenmeilenstiefeln durch mehr als 600 Jahre deutscher Geschichte, von der Erfindung des Buchdrucks bis zum Fall der Mauer. Anhand von 200 Objekten sucht das Museum nach dem, was Goethe und Schiller in ihren gemeinsam verfassten "Xenien" vergeblich suchten: "Deutschland? Aber wo liegt es? Ich weiß das Land nicht zu finden."
    Mit der Kaiserkrone aus Aachen erinnert die Ausstellung an das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, mit einer in Straßburg gefertigten Spieluhr daran, dass einst deutsche Städte wie Straßburg, Prag oder Basel heute nicht mehr deutsch sind. Und an den Mauerfall mit einem Stück Mauer sowie einer Deutschlandfahne in der Form des wiedervereinten Landes mit der Aufschrift "Wir sind ein Volk", auch das nicht unumstritten.
    Höhepunkte der Ausstellung: vier Evangelisten des Renaissance-Holzschnitzers Tilman Riemenschneider, eine Bronzefigur von Bismarck, der als Schmied die Nation zusammenschweißt, neben einer Kopie von Karl Marx' "Kommunistischem Manifest" und Ernst Barlachs schwebender Engel aus dem Dom zu Güstrow.
    Für ein britisches Publikum konzipiert
    Natürlich ist die Ausstellung für ein britisches Publikum konzipiert, und so wirken manche Wandtexte für deutsche Augen etwas plump und überflüssig. Etwa, wenn die Reformation als "1517 beginnende religiöse Bewegung" bezeichnet wird, "die die Autorität der katholischen Kirche herausfordert".
    Doch daneben findet man viele außergewöhnlich beredte Exponate. Etwa Max Lachnits Büste einer "Trümmerfrau", die der Bildhauer aus hunderten von winzigen Marmor- und Basaltsteinchen zusammensetzte, die er in den Dresdner Trümmern fand. Oder das Tor zum Konzentrationslager Buchenwald, auf dem in eleganten Lettern "JEDEM DAS SEINE" steht, entworfen von einem jüdischen Häftling, der am Bauhaus studiert hatte.
    Das letzte Objekt der Schau ist Gerhard Richters fotorealistisches Porträt seiner Tochter Betty, die ihr Gesicht vom Betrachter abwendet. Schaut sie auf etwas, das wir nicht sehen, oder hat sie sich von etwas abgewendet, vielleicht von der Generation ihres Vaters? Da ist sie wieder, diese Zwiespältigkeit. Und dann, nachdem man die Ausstellung verlassen hat, ein Schaukasten mit einem die deutsche Fahne schwenkenden Gartenzwerg und anderen schwarz-rot-goldenen Memorabilien der Fußball-WM. Eine Nation, für die solche Wallungen vaterländischen Stolzes jahrzehntelang tabu waren, erlaubt sie sich wieder. Positiv - negativ? Die Ausstellung enthält sich jeglichen Kommentars. Vielleicht gibt es da ja auch keine Antwort.