Donnerstag, 28. März 2024

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Ausstellung im Martin-Gropius-Bau
Wegmarken der deutsch-russischen Beziehungen

Im Martin-Gropius-Bau in Berlin zeigt die Ausstellung "Russland und Deutschland. Von der Konfrontation zur Zusammenarbeit" Hauptereignisse in der Geschichte beider Staaten seit 1945. Die Ausstellung ist eine Gratwanderung voller historischer sensibler Punkte. Vieles bleibt schemenhaft.

Von Carsten Probst | 29.10.2015
    Ein Besucher blättert am 28.10.2015 im Martin-Gropius-Bau in Berlin in der Ausstellung «Russland und Deutschland. Von der Konfrontation zur Zusammenarbeit» neben dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in einer Verfassung der DDR.
    Die Ausstellung anlässlich des 70. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs ist vom 29. Oktober bis 13. Dezember 2015 zu sehen. (picture alliance / dpa - Jörg Carstensen)
    Es scheint paradox: Von dem Thema, das die gesamte Vorbereitung dieser Ausstellung wie kein anderes bestimmt hat, ist in der Schau nirgends die Rede. Wladimir Tarasow von ROSARCHIV, der föderalen Archivagentur Russlands, räumt auf Nachfrage ein:
    "Natürlich haben wir darüber gesprochen, ob die Ukraine-Krise wir auch mit dieser Exposition irgendwie darstellen würden. Letzten Endes haben wir doch entschieden, diesem Thema zu entgehen. Weil vor allen Dingen die Einschätzungen von den Ereignissen, die dort passieren, sehr unterschiedlich sind, und da gab es zu viele Diskussionen darüber und Streit darüber, und falls wirklich der Bedarf besteht, das Thema zu diskutieren, das kann man doch am Rande, im Rahmen des Begleitprogramms bei dieser Ausstellung machen."
    Tarasow hat zusammen mit Jörg Morré und Julia Franke vom Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst und einigen Kollegen aus den verschiedenen russischen Staatsarchiven monatelang mühsam ausgehandelt, was man denn überhaupt wie in dieser Ausstellung zeigen und auf welche Texte, Dokumente und Bilder man sich einigen kann. Das ist der Ausstellung, anzumerken. Sie ist eine Gratwanderung voller historisch sensibler Punkte, nicht nur wegen der Ukraine. Am Ende hat man sich auf neun Hauptereignisse geeinigt, in deren Bewertung ein Konsens möglich war – was auch nicht unbedingt an jeder Stelle selbstverständlich erscheinen muss.
    Beispielsweise heißt es in einem Saaltext zum Thema Perestrojka und Glasnost, dass die Reformbewegungen in anderen Staaten des Warschauer Paktes von der Sowjetunion unter Gorbatschow nicht mehr niedergeschlagen wurden. Das lässt Raum für viele Deutungen. Immerhin werden der Arbeiteraufstand in der DDR am 17. Juni 1953 oder der Prager Frühling von 1968 offen als solche Reformbewegungen angesprochen. Die aktuelle Ukraine-Krise oder der Georgien-Konflikt von 2008 könnten hier eigentlich auch erwähnt werden, gelten aber vielleicht für die russische Seite nicht als Niederschlagung von Reformbewegungen in Nachbarstaaten, oder, wie Wladimir Tarasow sagt: Sie haben nichts mit der Deutsch-Russischen Beziehung zu tun. Nun ja.
    Auch andere Formulierungen lassen aufmerken. So wird der Einmarsch von Sowjettruppen in Afghanistan 1979 als Hindernis bei der Intensivierung der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR in den 70er-Jahren bewertet. Die Sowjetunion, heißt es, sei in dieser Zeit international isoliert gewesen. Man erinnere sich an den Olympiaboykott zahlreicher westlicher Teams in Moskau 1980. Wer will, kann darin einen Anklang von Bedauern der russischen Seite erkennen. Aber auch hier gilt: Unausweichlich denkt man im Hinterkopf an die Annektierung der Krim oder die Kämpfe im Donbas. Ist Russland im Ukraine-Konflikt nicht auch international isoliert?
    Die deutsche Wiedervereinigung, die Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945, die Gründung der beiden deutschen Staaten 1948, die Errichtung der Berliner Mauer – das sind die großen Ereignisse im kollektiven Gedächtnis seit Kriegsende. An den Besuch Konrad Adenauers 1955 in Moskau mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Moskau oder die Moskauer Verträge und das milliardenschwere Erdgas-Röhren-Geschäft von 1970 erinnern sich vermutlich weniger Menschen. Sie werden im Martin-Gropius-Bau aber ebenso prominent herausgestellt – als Meilensteine, dass sich zwischen beiden Staaten ein eigenes Verhältnis entwickelte, auf das die USA nur begrenzt Einfluss nehmen konnten. Vieles Weitere bleibt schemenhaft: Die DDR in ihrem eigenen historischen Selbstverständnis wirkt hier fast marginal.
    In als Faksimiles gezeigten historischen Dokumenten kann man blättern und sich davon überzeugen, dass die Spannung, die sie vermitteln, alles andere als Geschichte ist. Gerade die ich in jedem Detail spürbaren Empfindlichkeiten beider Seiten sind es, die an dieser Ausstellung unweigerlich berühren.