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Ausstellung in Dresden
"Freundschaft" in Zeiten von Facebook

Im Durchschnitt hat jeder deutsche Facebook-Nutzer 350 Freunde. Aber was bedeutet das? Was sind das für "Freunde" und wird da der Begriff Freundschaft nicht gedankenlos benutzt vor dem Hintergrund hemmungsloser Kommerzialisierung? Nur einige Fragen, auf die eine Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum Antworten sucht.

Von Barbara Weber | 16.04.2015
    Drei Jugendliche tragen -Shirts mit der Aufschrift "like us on Facebook". Foto: Sebastian Kahnert/dpa
    Natürlich geht es in der Ausstellung auch um Freundschaft in Zeiten sozialer Medien wie Facebook und auch um den Unterschied zwischen Männer- und Frauenfreundschaften. (dpa / picture alliance / Sebastian Kahnert)
    "Ich persönlich meine, Freundschaft bedeutet für mich Heimat, sagt Gisela Staupe, stellvertretende Direktorin des Deutschen Hygiene Museums Dresden.
    "Das ist nicht eine Floskel. Ich reise sehr viel, ich bin in vielen Städten zu Hause, und es ist wunderbar, wenn ich in einer Stadt bin, egal in welcher und ich dort eine Freundin treffen kann, die ich Monate lang nicht gesehen habe, und wir haben das Gefühl, wir haben uns für fünf Minuten gesehen und können dort wieder ansetzen, miteinander zu sprechen, wo wir aufgehört haben. Das ist ein Gefühl von Verwurzeltheit im Leben, das, glaube ich, nicht nur mir, sondern vielen Menschen sehr wichtig ist.
    Da setzt auch die Ausstellung an, meint Dr. Daniel Tyradellis, Kurator und Philosoph:
    "Die Grundidee war, einfach mal zu sehen, wie diese neu erwachte Konjunktur der Freundschaft, dass das Wort doch deutlich häufiger verwendet wird in der Gegenwart als noch vor zehn oder zwanzig Jahren, dem mal nachzuspüren, was die Gründe dafür sind."
    "Wir behaupten sogar, dass es einen immer größer werdenden Bedarf nach Freundschaften gibt angesichts der steigenden Lebenserwartung und auch angesichts der Tatsache, dass Familie und Verwandtschaft immer kleiner werden. Und wir haben auch beobachtet, dass gerade in einer sehr individualisierten Gesellschaft ein sehr großes Bedürfnis da ist, jenseits von diesen tradierten Beziehungsformen wie Ehe, Familie, nach neuen Lebensformen zu suchen, die vielleicht besser den Bedürfnissen von Beziehung heute entsprechen."
    Auf der Suche nach neuen Lebensformen
    Bei Freundschaft denken viele zunächst an persönliche Beziehungen. Doch die Ausstellung will mehr.
    "In unserer Ausstellung versuchen wir, diese Perspektive ein wenig zu weiten und versuchen, Freundschaft so zu präsentieren als eine grundsätzliche Frage des sozialen Miteinanders."
    Denn Freundschaft hat viele Facetten.
    "Liebe Kolleginnen und Kollegen, Genossen und Freunde! Liebe Kolleginnen und Kollegen, das möchte ich als erstes sagen, und dann, liebe Genossen und Freunde! Liebe Genossen und Freunde."
    Das soziale Miteinander aber das Thema auch die individuelle Freundschaften vermittelt die Ausstellung in fünf Abteilungen.
    Die erste Abteilung ... "beginnt mit einem Motiv, was man zunächst nicht erwartet, nämlich mit der Staats- und Völkerfreundschaft. Der erste Raum versammelt etwa 100 Staatsgeschenke, und jedes Geschenk stellt eine andere Facette dar, wie sich Staaten zueinander verhalten können."
    Die zweite Abteilung ... "ist im Prinzip eine Art Literaturmuseum, da geht es um Korrespondenzen, wie unterhalten sich Freunde miteinander. Seit Erfindung des Briefverkehrs gibt es die Brieffreundschaft, heute sind es Emails, unterscheidet sich das irgendwie, gibt es eine eigene Sprache der Freundschaft et cetera."
    Die dritte Abteilung ... "ist aufgebaut wie eine Gemäldegalerie, und in der Gemäldegalerie kann ich ungefähr vierzig, fünfzig Werke aus der Kunstgeschichte sehen vom 16.Jahrhundert bis heute. Und diese unterschiedlichen Bilder, zum Beispiel Raphael erzählt eine andere Geschichte mit seinem Bild er im Kreise seiner Freunde als Baselitz von 1965, Der große Freund."
    Die vierte Abteilung ... "wechselt dann die Perspektive. Wir argumentieren nicht mehr historisch im engeren Sinne wie die ersten drei Bereiche, sondern versuchen eigentlich, uns von heute zu nähern: Was versteht man heute unter Freundschaft. Und dort gibt es unter anderem zehn Denkmäler, die es auch historisch gibt, die alle einer bestimmten Form des Zusammenseins ein Denkmal setzen."
    Elementare Figur des Menschen
    Zum Beispiel das von Marx und Engels, das die Besucher mit einer Toncollage überrascht, akribisch zusammengestellt aus DDR-Reden, die das Bundesarchiv beigesteuert hat.
    "Liebe Genossen und Freunde. Lieber Genosse Ministerpräsident Tschu En-lai, liebe Genossen und Freunde. Liebe Freunde!"
    "Der Sozialismus hat ja im Unterschied zum Kapitalismus ein sehr ausdifferenziertes Wissen darum, was es bedeutet für Menschen, gemeinsam zu sein, kollektiv zu sein und nicht nur als nettes Surplus gegenüber dem Einzelkämpfer da sein, sondern als elementare Figur des Menschen. Und deshalb hat der Sozialismus neben dem Wort des Genossen immer auch den Freund malträtiert."
    "Die ganze Station, dieses Denkmal, hat die Funktion, diese Frage zu stellen: Sind Kameraden Freunde, oder wie unterscheidet sich das. Man sagt traditionell, Kameradschaft ist die Freundschaft zum Tode."
    "Wir haben für das Denkmal eine UKW-Ringschaltung von 1942, und zwar Weihnachten 1942, ausgewählt, wo alle deutschen Soldaten gleichzeitig das Lied Stille Nacht, Heilige Nacht singen, man hört dann die Einblendungen "Hier Stalingrad", und dann fangen diese Männer an zu singen und da läuft es mir bis heute eiskalt den Rücken runter, weil man weiß, dass die meisten dieser Männer einige Wochen später tot waren."
    Was bedeutet Freundschaft heute? Was kann sie morgen bedeuten? Birgt Freundschaft womöglich auch neue Potenziale für eine sich ändernde Gesellschaft?
    Das muss jeder für sich selbst entscheiden
    Antworten darauf sucht der letzte Raum.
    "Wir wissen, dass 2030 sechzig Prozent der Haushalte Single-Haushalte sein werden mehr oder minder. Wie geht man damit um, und wäre es nicht viel besser, die Freundschaft als soziales Modell zu stärken, um damit der Vereinsamung im Alter entgegen zu wirken, und das ist eine Facette, die wir behandeln, und insgesamt gibt es sechs Räume, die immer wieder neu die Frage stellen, was ist Freundschaft und was könnte sie in Zukunft sein? Und das vor der Folie, ich bin Philosoph, da kann ich nicht anders, der aristotelischen Frage: Ist Freundschaft eher eine Nutzenbeziehung, also ist man befreundet, weil es einem nützt, oder ist Freundschaft eine Tugendbeziehung, weil Freundschaft ein moralischer Wert ist oder ist es eine Lustbeziehung, ist man befreundet, weil es Spaß macht? Diese drei Fragen stellen wir an jede der Konstellationen neu, ohne eine Antwort zu geben, weil ich denke, das muss jeder für sich selbst entscheiden."
    Natürlich geht es auch um Freundschaft in Zeiten sozialer Medien wie Facebook und auch um den Unterschied zwischen Männer- und Frauenfreundschaften.
    Da sind die beiden Ausstellungsmacher keine Ausnahme, denn anders als Gisela Staupe, die enge Freundschaften pflegt, sagt Daniel Tyradellis:
    "Ich bin selber ein schlechter Freund, weil ich pflege Freundschaften nicht, mir geht auch sehr viel schnell auf die Nerven, und ich setze eigentlich alles auf Arbeiten und Liebe. Und wenn eins von beiden nicht mehr funktioniert, dann falle ich durch den Rost, und da erst merke ich, wie wichtig es ist, Freunde zu haben, und ich täte gut daran, dann, wenn es mir eigentlich gut geht, bewusster zu machen und diese Freundschaften mehr zu pflegen."