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Ausstellung in Hamburg
Die Schattenseiten der Mode

Mit großartigen Projekten sorgt Sabine Schulze, die Direktorin des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, seit einigen Jahren immer wieder für Aufsehen. In der Ausstellung "Fast Fashion" geht es nun um die dunkle Seite der Modewelt.

Von Carsten Probst | 24.03.2015
    Etwa 20 Arbeiterinnen konzentrieren sich an einem langen Tisch auf ihre Nähmaschinen.
    Näherinnen in einer Fabrik im ostchinesischen Huaibei (dpa / picture alliance / Xie Zhengyi)
    Es gibt viele deprimierende Bilder in dieser Ausstellung zu sehen. Sie müssen nicht einmal so explizit brutal sein wie die Aufnahmen von Tieren, denen buchstäblich das Fell über die Ohren gezogen wird, um daraus ein Kleidungsstück zu machen. Oder die Fotografien von Taslima Akhter über das Leben und Sterben der Textilarbeiterinnen und -arbeiter in Bangladesch, wo vor ziemlich genau zwei Jahren eine Textilfabrik explodierte, die im Auftrag westlicher Modeketten arbeitete.
    Ein T-Shirt für zehn Cent
    Es gibt auch ganz nüchterne Bilder zu sehen, deren Botschaft aber ebenfalls eindeutig ist. Bilder, wie sie etwa die unbestechlichen Augen von Satellitenkameras machen, die von hoch oben aus dem Weltall das jahrelange Schrumpfen des Aralsees dokumentieren, bis von dem einst viertgrößten Binnensee der Welt aktuell kaum mehr als eine Pfütze übrig geblieben ist.
    Der Zusammenhang mit dem Thema Mode mag vordergründig kaum erkennbar sein. Ein nebenstehender Wandtext erinnert daran, dass Flussumleitungen zur Bewässerung von umliegenden Baumwollplantagen, vor allem in Usbekistan, für eine der größten von Menschen verursachten Umweltkatastrophen verantwortlich sind. Und es gibt sogar scheinbar nett anzusehende Bilder, Susanne A. Friedel hat sie auf einer Litfaßsäule im Raum plakatiert, sie erinnern an die hübsch fotografierten Laienmodels aus der H&M-Werbung. Nur die daneben gedruckten Preise können irgendwie nicht stimmen. Ein T-Shirt für zehn Cent, ein Schal oder ein Sweater für neun? Eine Bluse für 29 Cent? Friedels Laienmodels sind Textilarbeiterinnen aus Sri Lanka, Bangladesch oder China. Sie posieren mit Kleidungsstücken, die theoretisch in ihren Billig-Textilfabriken hergestellt worden sein könnten. Marta, eine Arbeiterin aus Honduras, wünscht sich in einem von ihr abgedruckten Statement, dass die Käufer dieser Kleidungsstücke wüssten, wie wenig sie wirklich kosten und dass sie sich klarmachten, welche Opfer es für die Textilarbeiter bedeute, sie herzustellen.
    Dass das nicht nur Behauptungen sind, belegen viele Zahlen über die sogenannten Fashion Victims, mit denen die Ausstellung überall die Bilder begleitet. Die Lohnkosten für die Arbeiter in den zumeist asiatischen oder afrikanischen Fabriken, in denen die Fast Fashion hergestellt wird, beträgt demnach ungefähr ein Prozent vom Gesamtpreis eines Kleidungsstücks, völlig unabhängig davon, welchen Preis der Konsument am Ende bezahlt. Mit anderen Worten: Der Kunde oder die Kundin im Laden müsste nicht einmal draufzahlen, wenn die Arbeiter in den Textilfabriken höheren Lohn erhalten sollte. Die Labels und ihre Subunternehmer müssten lediglich die Gesamtkosten anders kalkulieren. Dass dies nicht geschieht, dürfte durchaus wirtschaftspolitische Gründe haben.
    So geht es einmal quer durch die bekannte Konsumwelt der Billiglabels mit ihren "Limited Editions" von Stardesignern, der Lust am Massenkonsum, den immer schnelleren Zyklen aus Kaufen und wegwerfen, den Präsentationen von Beutestücken in den sozialen Netzen, den Haul-Videos euphorisierter Kunden, die von der Modewerbung eifrig kopiert werden.
    Gelähmte rationale Fahigkeiten
    Ohnehin ist dies eigentlich keine Ausstellung über Mode, sondern über die psychologischen Bedingungen eines Wirtschaftskreislaufs, der bislang noch weitgehend unberührt von ökologischen oder arbeitsrechtlichen Normen zu funktionieren scheint. Dass es um Mode und die tägliche Selbstinszenierung im Alltag geht, scheint die rationalen Fähigkeiten der sonst so biobewussten Kunden jedenfalls eindeutig zu lähmen. Die Ausstellung dokumentiert ganz direkt die Zusammenhänge zwischen dem immer schnelllebiger werdenden Textilienmarkt mit seinem Kundenverlangen nach preiswerter Mode und den katastrophalen Folgen für Menschen und Umwelt.
    Ein ethisches Problem riesigen Ausmaßes, ohne Frage – Kuratorin Claudia Banz lässt sich aber in der Auswahl ihrer Begleittexte nicht zu moralisierenden Statements hinreißen, auch wenn sie bekennt, dass sie das Thema emotional mitnimmt. Die Besucher werden auch ohne große Belehrungen anders aus dieser Ausstellung herauskommen, als sie hineingegangen sind – mit einem anderen Blick auf die Kleider, die sie am Körper tragen.