Donnerstag, 28. März 2024

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Ausstellung in Kassel
Die Angst vor dem Scheintod

Mitte des 18. Jahrhunderts war die Angst, lebendig begraben zu werden, groß. Damals tauchten Schriften über Menschen auf, die in ihren Särgen wieder erwachten. Es habe verschiedene Wege gegeben, mit dieser Furcht umzugehen, sagte Gerold Eppler vom Museum für Sepukralkultur im DLF. So entstanden etwa beheizbare Leichenhäuser.

Gerold Eppler im Gespräch mit Bettina Köster | 06.10.2016
    Särge bei einem Bestattungsunternehmen
    Im 19. Jahrhundert wurde die Dreitagesfrist eingeführt: Zeigte eine Person in der Zeit keine Lebenszeichen, wurde sie beigesetzt. (picture alliance / dpa / Frank May)
    Bettina Köster: Von der Antike bis zum 18. Jahrhundert galten in der Regel sehr einfache Zeichen als Indizien dafür, dass ein Mensch gestorben ist. War kein Puls mehr zu fühlen oder blieb eine Flaumfeder bewegungslos auf dem Mund, wurde der Betroffene für tot gehalten. Und so entstand damals eine große Furcht der Menschen davor lebendig begraben zu werden. Über die Ungewissheiten des Todes und eben diese Angst, lebendig begraben zu werden, hat das Museum für Sepulkralkultur in Kassel eine geistesgeschichtliche Dokumentation und Ausstellung konzipiert, die am Wochenende eröffnet wird. Ich fragte den kommissarischen Leiter des Museums, Gerold Eppler, mit welcher Motivation diese Ausstellung ins Leben gerufen wurde.
    Gerold Eppler: Im Museum für Sepulkralkultur beschäftigen wir uns mit solchen Themen berufsmäßig. Und das Thema Scheintod steht schon lange auf unserer Agenda. Es ist eine Zeit, die wir jetzt veranschaulichen, in der sich ein großer Paradigmenwechsel vollzieht im Umgang mit Sterben und Tod im Hinblick auf die veränderten Auffassungen vom Tod und von dem Danach. Der wissenschaftliche Blick hält Einzug, die Medizin gewinnt an Einfluss. Und das ist eine Zeit, die wir veranschaulichen wollen, weil die einfach sehr wichtig ist, auch für unser heutiges Leben. Also die Grundlagen für unseren heutigen Umgang mit Sterben und Tod wurden in der damaligen Zeit gelegt.
    Köster: Wann war denn die Ungewissheit über das Eintreten des Todes besonders groß?
    Eppler: Es beginnt Mitte des 18. Jahrhunderts. Jean-Jacques Bruhier, der verfasst eine Schrift über die Ungewissheit des Todes und zählt dort Fälle auf von Menschen, die in ihren Gräbern beziehungsweise in ihren Särgen wieder erwacht sind. Und dieses Thema wird dann aufgegriffen und gelangt dann über Johann Gottfried Jahnke nach Deutschland und löst hier in Deutschland quasi eine riesige Debatte aus, wie man mit diesem Problem umgeht.
    "1802 kommt es dazu, dass das erste Leichenhaus in Weimar errichtet wird"
    Köster: Und wie ist man dann damit umgegangen?
    Eppler: Der Arzt und Mediziner Christoph Wilhelm Hufeland, der folgt der Argumentation von Bruhier und von Jahnke und sagt, ja, das, was das wirklich sichere Todesanzeichen ist, das ist die Fäulnis. Und einen solchen Körper als einen verstorbenen, ein Leichnam, den man beobachten muss, den kann man ja nicht irgendwo aufbewahren, und er fordert dann den Bau von Leichenhäusern. 1802 kommt es dann dazu, dass das erste Leichenhaus in Weimar errichtet wird.
    Köster: Wie sah das dann aus?
    Eppler: Das unterscheidet sich von den heutigen Kühlräumen in den Krankenhäusern im Wesentlichen dadurch, dass dieses Leichenhaus beheizt war. Also es gab einen Raum für den Wärter, der immer kontrollieren musste, ob der Leichnam nicht doch noch Spuren von Leben zeigt. Und es gab einen Raum, in dem der Leichnam aufbewahrt war, es gab einen Raum, in dem sich der Wärter befand, und es gab einen Raum, um entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, den Wiedererweckten oder den Aufgewachten dann am Leben zu halten. Das heißt, man hat Bäder vorbereitet, man hat Lebensmittel bereitgehalten, um ihn dann zu stärken, damit er dann sein Leben fortsetzen kann im Diesseits.
    Köster: Welche Informationen haben Sie denn darüber, wie oft sowas vorkam?
    Eppler: Ja, das war ein Problem. Also Mitte des 19. Jahrhunderts stellt man den Bau von Leichenhäusern ein. Auch die Rettungsapparate, die verschwinden, weil die Fälle einfach zu selten waren. Also ganz selten ist es vorgekommen, dass tatsächlich diese Apparaturen, die Rettungswecker in Gang gesetzt worden sind. Und man geht dann dazu über, eine Dreitagesfrist einzuführen, und nach drei Tagen wird seit der Zeit in der Regel ein Verstorbener dann beigesetzt.
    Erste Versuche mit Elektrizität zur Wiederbelebung
    Köster: Da gab es ja auch in dieser Zeit öffentliche Vorführungen, wo teilweise Versuche gemacht wurden mit Leichnamen, mit Elektrizität, also um den Leichnam wieder beleben zu wollen, zu können. Was wird denn darüber in der Ausstellung zu sehen sein?
    Eppler: Es ist ja so, dass seit dem 16. Jahrhundert die Ärzte den Leichnam sezieren und so nach und nach sich quasi mit der Funktionsweise der inneren Organe beschäftigen. Und im 18. Jahrhundert entdeckt man die Elektrizität. Ein wichtiges Ereignis, es sind die Froschschenkelversuche von Luigi Galvani. Also er untersucht Frösche, die er seziert hat, verwendet dabei Nadeln aus unterschiedlichem Metall und stellt dann fest, dass diese Froschschenkel anfangen zu zucken. Und in der damaligen Zeit war man auf der Suche nach einer dem Körper eigenen Lebenskraft, also eine Vorstellung unabhängig von der Seele. Man glaubte, dass den Körpern eine Kraft innewohnt, eine Art Lebenskraft, eine Art Energie, die den Körper am Leben hält.
    Und Luigi Galvani ist sich sicher, dass er diese Quelle jetzt gefunden hat. Alessandro Volta, der Physiker, der widerspricht ihm, er weist ihn darauf hin, dass er im Grunde eine Batterie gebaut hat, aber die Auffassungen sind dann ganz unterschiedlich, und es kommt dann dazu, dass man tote Körper quasi wieder zum Leben erwecken kann dadurch, dass man sie unter Strom setzt. Das sind natürlich sensationelle Ereignisse, die dann ganz unterschiedlich diskutiert werden und die sich letztendlich auch in der Literatur dann niederschlagen.
    Herzstillstand gilt erst seit 1949 als sicheres Todesanzeichen
    Köster: Gehen Sie denn auch ein bisschen auf die Gegenwart ein, also wie man heute sicherstellen kann, dass ein Mensch, der gestorben ist, tatsächlich auch tot ist?
    Eppler: Ja, das ist dann der Ausblick, und es ist natürlich so, dass man irgendwann hergeht und nach wirklich sicheren Todesanzeichen sucht. Und da stellt man eben fest, dass wenn der Herzschlag eine gewisse Zeit aussetzt, dass man den Körper auch nicht mehr zum Leben erwecken kann. Das ist eine Entwicklung, die Mitte des 19. Jahrhunderts greift, und seit 1949 gilt der Herzstillstand als sicheres Todesanzeichen. Man sieht, in der nachfolgenden Zeit wird auch die Angst vor dem lebendig begraben werden als etwas Pathologisches gesehen. 1903 entwickelt man das EKG, das Elektrokardiogramm, und kann dann den Herzschlag tatsächlich auch überprüfen und darstellen.
    1929 wird dann das EEG entwickelt, und da sieht man schon, dass die Entwicklung weitergeht, dass die Medizin nach immer präziseren diagnostischen Möglichkeiten sucht, um den Tod auch festzustellen. Interessant ist auf der anderen Seite dann auch wieder, dass die elektrischen Versuche, die man im 19. Jahrhundert an Körpern Verstorbener durchgeführt hat, dass die letztendlich in den Reanimationsapparaten dann eher Nachhall gefunden haben, mit denen man Menschen heute, wenn Sie einen Herzstillstand haben, dann wieder zum Leben erwecken kann. Also das sind diese Maßnahmen, die dann in Erste-Hilfe-Kursen geprobt und geübt werden.
    Köster: Sie hörten den stellvertretenden Leiter des Museums für Sepulkralkultur in Kassel über die Ausstellung zur Geschichte des Scheintods, die am Wochenende eröffnet wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.