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Ausstellung in Marbach
Locken, Manuskripte und andere Geschenke

Mit Schrift- und Schmuckstücken, Gaben in vielerlei Form, beschäftigt sich die Ausstellung "Die Gabe/The Gift" im Literaturmuseum in Marbach. Sie ermöglicht einen Einblick, der normalerweise verborgen bleibt: Im Fokus stehen die Stifter und Geber hinter den Exponaten.

Von Christian Gampert | 10.11.2016
    Außenansicht des Literaturmuseums der Moderne in Marbach am Neckar.
    Um Geber, Mäzene und Stifter geht es in der Ausstellung im Literaturmuseum der Moderne in Marbach. (picture alliance / dpa / Wolfram Kastl)
    "Eine Locke von deinem Haar/ wäre schon wunderbar" sang Adamo 1967, in den wilden Zeiten. "Eine Locke von dir/ für mich als Souvenir". Sehr viel früher, Ende des 18. Jahrhunderts, wurden dem Dichter Friedrich Schiller mehrere Locken abgeschnitten, auf dass die Familie und aushäusige Verehrer auch etwas von ihm hätten. Ein Sohn Schillers gab eine dieser Haarsträhnen dem Stuttgarter Bijoutier Banzhaf, der für das kostbare Gut eine in Messing gefasste Glasdose fertigte und das Ganze seinem Töchterlein übereignete. Die gab es weiter an eine gewisse Emilie Märklin, die gab es an den Marbacher Schillerverein, der gab es ins Schillernationalmuseum respektive ins Deutsche Literaturarchiv.
    Wer gibt, will auch etwas zurückbekommen
    Jetzt ist die Haar-Reliquie in der Marbacher Ausstellung "Die Gabe" zu sehen. Ob heilende Kräfte von ihr ausgehen, ob sie auch heute noch dem Geniekult dient, war nicht zu ermitteln. Aber die Forschung hatte durchaus etwas zu tun, um die genaue Provenienz der 160 gezeigten Gaben zu recherchieren, die natürlich pars pro toto stehen. 2.500 Stifter haben allein in den letzten zehn Jahren etwas nach Marbach gegeben, und das sind nicht nur die Dichter, die Vor- und Nachlässe übereignen, sondern auch Privatleute, die sich von Manuskripten und Erbstücken trennen. Und es macht emotional durchaus einen Unterschied, ob ein altes Ehepaar testamentarisch die Handschrift eines Hölderlin-Gedichts an Marbach verschenkt oder ob mit öffentlichem Geld oder mit Hilfe von Sponsoren ein Kafka-Manuskript ersteigert wird.
    Die Ausstellung schert das ein bisschen zu sehr über einen Kamm: Geber sind sie alle, Bund, Land, Unternehmen, Dichter, Privatleute, Sammler, und man muss ihnen dankbar sein.
    "Natürlich haben wir die Grundfinanzierung in der Kultur, von Bund und Land. Das ist eine fabelhafte Einrichtung in Deutschland. Aber es reicht natürlich hinten und vorne nicht für all das, was wir programmatisch bieten wollen", sagt Ulrich Raulff, der Direktor des Deutschen Literaturarchivs. "Wir wollten eben zeigen, wie viel auch von einzelnen hier mitgebaut worden ist an der Sammlung."
    Aber wer gibt, will auch etwas zurückbekommen. Der Ethnologe Marcel Mauss hat diesen Doppelcharakter der Gabe analysiert: Jedes Geschenk trägt implizit die Aufforderung in sich, erwidert zu werden; und wer nichts zurückgibt, scheidet aus dem Zirkel von Geben und Nehmen aus: "Und das ist auch das, was viele Geber davon überzeugt, dass Marbach der richtige Ort ist für ihre Stiftungen, weil sie das Gefühl haben, das verschwindet hier nicht irgendwo im Depot."
    In der Ausstellung sprechen die Objekte, nicht die Stifter
    Nein, im Gegenteil: Marbach hält die Dinge in der Öffentlichkeit, veranstaltet Ausstellungen, publiziert und forscht über die Gaben, die so uneigennützig eben nicht sind. Der Dichter, der seinen Nachlass nach Marbach gibt, sorgt für seinen Nachruhm; im Literaturarchiv lebt er weiter. Der edle Stifter wird zumindest genannt. Ausstellungen sind Gegen-Gaben: Das Geschenkte bleibt präsent. Und so kann man sich in der neuen Schau zwar mit Gewinn in einzelne Handschriften und Realia vertiefen, aber die eigentliche Frage ist immer: Wo kommt es her? Bisweilen auch: Wer war der Geld-Geber?
    Die Kuratorinnen Magdalena Schanz und Susanna Brogi haben sich eine aparte Kapitelfolge ausgedacht, die sich am Bild des Apfels orientiert, der paradiesischen Ur-Gabe. In der Schau sieht man, quer durch die Epochen, viel Bekanntes, auch viel Kurioses, seit Langem aber auch wieder Gemälde, etwa Verlegerporträts von Cotta und Samuel Fischer. Wegweisende Förderer der Marbacher Sammlungen waren Ende des 19. Jahrhunderts der jüdische Bankier Kilian Steiner und in jüngerer Zeit der Industrielle Berthold Leibinger. In der Ausstellung aber sprechen die Objekte, nicht die Stifter. Es spricht die Literatur am schönsten in Gestalt des Poesieautomaten, den Hans Magnus Enzensberger zunächst als hölzernes Spielzeug entworfen hat. Er überließ ihn dem Literaturarchiv: das Geschenk eines Begabten.