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Ausstellung in München
Jüdische Soldaten im Ersten Weltkrieg

Das Jüdische Museum in München widmet sich in der Ausstellung "Krieg! Juden zwischen den Fronten" den deutsch-jüdischen Soldaten im Ersten Weltkrieg. Dabei setzt das Museum konsequent auf eine innerjüdische Perspektive, auf das Ausleuchten einzelner Biografien.

Von Christian Gampert | 08.07.2014
    Zu sehen sind jubelnde Soldaten am Fenster eines Zuges, der sie im August 1914 an die Front des Ersten Weltkrieges bringt.
    Natürlich kämpften auch Juden im Ersten Weltkrieg für ihre jeweiligen Vaterländer. (dpa)
    Die wichtigste Einsicht, die diese Ausstellung vermittelt, ist einerseits banal, wird aber den meisten von uns ungewohnt und neu sein: Natürlich kämpften auch Juden im Ersten Weltkrieg für ihre jeweiligen Vaterländer; und das heißt: Sie kämpften - schockierenderweise - auch gegeneinander. Den meisten der Betroffenen war das aber gar nicht bewusst; sie fühlten sich ja als Deutsche, Engländer oder Franzosen. In ihrem Stolz auf ihre gelungene Assimilation und Emanzipation, auf ihre - in Deutschland seit 1871 gewährten - Bürgerrechte kamen sie gar nicht auf den Gedanken, dass sie da auch auf ihre eigenen Glaubensbrüder schossen.
    Der Patriotismus gerade der deutschen Juden wird aber verständlich, wenn man sich klarmacht: Der Erste Weltkrieg war eine Gelegenheit zu beweisen, dass sie als Juden ihre "nationalen Pflichten" zu erfüllen gedachten - als Gegenleistung für ihre rechtliche Gleichstellung. Die allgemeine Kriegsbegeisterung tat ein Übriges. Aber die Münchner Ausstellung erzählt dann gleich auch die Kehrseite dieser Euphorie mit: Man betritt eine Art Soldatengalerie, einen Wald aus großen Soldatenfotos, um die man herumgehen kann. Auf der Rückseite der Fotos ist verzeichnet, wo der Lebensweg endete: entweder auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs - oder später dann im KZ oder in der Emigration.
    Jüdische Perspektive
    Die liebevolle, recherche-aufwändige, mit vielen verschiedenen Inszenierungs-Ansätzen arbeitende Ausstellung setzt konsequent auf eine innerjüdische Perspektive, auf das Ausleuchten einzelner Biografien. Nicht der Krieg selbst, sondern das Erleben des Kriegs wird vor allem mit Briefen, Tagebüchern und Fotos deutlich gemacht. Und die Kuratorin Ulrike Heikaus setzt sich den vielen Widersprüchen ganz bewusst aus: einerseits forschten überloyale jüdische Chemiker wie Fritz Haber und Richard Willstätter im Dienste des Militärs zur Optimierung von Giftgas, andererseits schrieben Ernst Toller, Erich Mühsam und Kurt Tucholsky Anti-Kriegsgedichte. Der Berliner Medizinprofessor Max Rathmann bot seinen 15-jährigen Sohn zur Kadettenausbildung an und nahm sich das Leben, als der Junge aus offenkundig antisemitischen Gründen nicht genommen wurde.
    Aber viele Juden hatten schon in den 1890er-Jahren den einjährigen Freiwilligendienst gemacht, und im Ersten Weltkrieg gab es ganz offiziell Feldrabbiner und jüdische Gebetbücher. Jedoch: Je länger der Krieg dauerte, desto stärker suchte die politische Rechte nach Schuldigen für den ausbleibenden Erfolg. 1916 fand deshalb in der Reichswehr eine sogenannte Judenzählung statt, um die Anzahl der kämpfenden Juden zu ermitteln. Kuratorin Ulrike Heikaus:
    "Der Vorwurf war, dass sich die jüdischen Deutschen zahlenmäßig nicht ausreichend zum Krieg gemeldet haben und sich also drücken. Diese jüdische Drückebergerei, dieses Stereotyp kam wieder zum Tragen. Und 1916 begannen also diese antisemititschen Organisationen, die Politiker und auch das Militär enorm unter Druck zu setzen; und diese Verantwortlichen reagierten und fanden diese Idee, eine Erhebung zu machen, um das Mal zu belegen, sinnvoll."
    Die Ausstellung hat das schön nachinszeniert: Es gibt eine Zählstelle, an der Original-Listen ausgehängt sind. Das Ergebnis der Zählung wurde nie veröffentlicht – denn es diente genau derselbe jüdische Bevölkerungs-Anteil wie bei der Restbevölkerung.
    In der Gesamtansicht kann man sagen, dass die deutschen Juden in dem Moment erkannt haben: Wir können tun und lassen, was wir wollen; wir werden, wenn es hart auf hart kommt, immer wieder stigmatisiert und ausgegrenzt.
    Reichsbund jüdischer Frontsoldaten
    Fast 100.000 Juden kämpften im Ersten Weltkrieg für Deutschland, 12.000 ließen dabei ihr Leben - der "Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" veröffentlichte 1932 alle 12.000 Namen, um erneuten Diffamierungen zu begegnen. Viele Frontkämpfer beriefen sich in den 1930er-Jahren, als sie von der Gestapo abgeholt wurden, auf ihre Tapferkeits-Medaillen - es nutzte nichts.
    Die Ausstellung führt uns in ausgesuchten Soldaten-Biografien vor, wie es dann weiterging: vom Medizinprofessor Siegfried Oberndorfer, der vor den Nazis nach Istanbul floh und Türkisch lernte, bis zum Komponisten Erich Eisner, der im Exil in Südamerika seine berühmte Kantate auf Bolivien schrieb. In all der Trübsal ist die Ausstellung auch ein Zeugnis jüdischer Lebenswillens und Neuanfangs. Bei dem deutschen Betrachter freilich hinterlässt sie eine tiefe Scham.