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Ausstellung in Überlingen
"Mystik ist unabhängig von Zeit und Ort"

"Mystik am Bodensee" heißt eine Ausstellung im Städtischen Museum Überlingen, die am 1. April öffnet. Das Phänomen der Mystik, der Erfahrung der Innenwelt, gebe es in allen Kulturen und Religionen, sagte Kurator und Benediktinermönch Bruder Jakobus Kaffanke im DLF. In der Ausstellung beschränke man sich nicht auf christliche Mystik, sondern gehe darüber hinaus.

Bruder Jakobus Kaffanke im Gespräch mit Michael Köhler | 28.03.2015
    Der Kirchturm von Überlingen (Baden-Württemberg) wird am 24.08.2013 von der untergehenden Sonne angestrahlt. Im Hintergrund ist der Bodensee zu sehen.
    Abendstimmung in Überlingen am Bodensee (Felix Kästle / dpa )
    Michael Köhler: Heiligenerscheinungen, Marienerscheinungen, Stigmatisationen, sie gehören zu den klassischen Großereignissen der Mystik. Meister Eckhart oder Nikolaus von Kues im ausgehenden Mittelalter, Hildegard von Bingen, Birgitta von Schweden, sie berichten davon, auch in der Kunstgeschichte vielfach festgehaltene Ereignisse. Morgen am Palmsonntag beginnt mit einer „Langen Nacht der Mystik“ im Städtischen Museum Überlingen eine Schau, die dann offiziell am 1. April eröffnet wird: „Mystik am Bodensee. Vom Mittelalter bis zur Moderne“. Und den Kurator, Benediktinermönch Bruder Jakobus, habe ich gefragt: Was ist mystische Erfahrung denn eigentlich in heutigen Ohren, eine geheimnisvoll unüberprüfbare Gnadenerfahrung? Was verstehen Sie heute darunter?
    Jakobus Kaffanke: Mystik, so wie ich es jedenfalls verstehe - und ich befasse mich seit 40 Jahren mit dieser Thematik -, das ist etwas zeit- und ortloses. Das ist unabhängig von Zeit und Ort. Das ist ein Humanum, das betrifft den Menschen. Der Mensch hat eine äußere Sphäre, wo er die Welt erkundet, und er hat eine innere Sphäre, wo er sein Inneres erkundet - die Seele, könnte man auch sagen. Und dieses Phänomen der Mystik, der Erfahrung der Innenwelt, das gibt es in allen Kulturen und Religionen und so auch im Christlichen natürlich, und Sie haben gerade die vielen Namen aufgezählt. Wir beschränken uns jetzt nicht auf christliche Mystik, sondern gehen auch sanft darüber hinaus, wie das am Bodensee heute auch schon spürbar ist.
    Der dritte Schritt der Mystik
    Köhler: Ihre Ausstellung heißt „Mystik am Bodensee. Vom Mittelalter bis zur Moderne“. Was zeigen Sie? Und vor allem mich interessiert: Wie ist das erfahrbar, wenn ich nämlich voraussetze, dass Mystik ja eigentlich ein Verfahren zur Annäherung an das nicht Wissbare ist? Wie vermittelt sich das?
    Kaffanke: Das wäre jetzt der dritte Schritt der Mystik, davon, von dieser inneren Erfahrung zu künden, davon mitzuteilen, und da gibt es verschiedene Wege. Man kann einen Text verfassen; da zeigen wir alte Schriften, die im Bodensee-Raum in Bibliotheken vorliegen, Schriften von Heinrich Seuse zum Beispiel, der über diese inneren Erfahrungen berichtet hat in seiner Vita, in seiner Lebensbeschreibung. Eine andere Möglichkeit, ein anderes Medium wäre jetzt zum Beispiel die Malerei, dass man das ins Bild setzt, diese innere Erfahrung. Da haben wir ein Bild von Jawlensky aus der Moderne. Der hat gesagt, er malt das, was er im Inneren bei sich auffindet, nach außen, seine innere Erfahrung, sein inneres Bild. Er hat das Bild Christi gesucht. Er war ja ein russischer Mensch, er war russisch-orthodoxer Christ und er hat die Ikone, die er in seiner Kindheit gesehen hat in den orthodoxen Gottesdiensten in St. Petersburg, am Ende seines Lebens als Expressionist in den 30er-Jahren als verfemter und als entarteter Künstler 600fach in zwei, drei Jahren gemalt, immer sozusagen in einem Prozess. Das ist eine andere Möglichkeit, seine innere Erfahrung ins Bild zu setzen, und das ist bei einem Expressionisten, wenn der so eine Christus-Ikone malt, kryptisch, es ist verborgen.
    Köhler: Das heißt, Sie spannen einen Bogen vom romanischen Kruzifix über die typischen Stigmatisierungen des Heiligen Franziskus in der Malerei des 15., 16. Jahrhunderts bis hin in die Moderne des 20. Jahrhunderts?
    Schwangerschaftsübungen zur Geburt in die Ewigkeit
    Kaffanke: Genau. Jetzt könnte man natürlich fragen, was hat der Jawlensky mit dem Bodensee zu tun, mit der Bodensee-Region. Das geht über eine Freundschaft mit einem Mönch hier aus Beuron, mit Verkade, und der hat ihm gegen Ende seines Lebens einen Brief geschrieben über seinen menschlichen Weg in dieser Ausweglosigkeit der Nazi-Zeit, in seiner Verfolgtheit, in seiner Krankheit. Da hat er ihm einen Brief geschrieben und hat da diesen malerischen mystischen Prozess als Lebensprozess bei sich beschrieben, und dieses Bild haben wir in die Ausstellung eingebracht. Und auch ein zweites Bild der Moderne von Otto Dix, dem man jetzt auch nicht gerade christliche Motive zutrauen würde, aber der solche gemalt hat.
    Köhler: Das Schöne an der Mystik ist unter anderem: Man muss nicht tot sein, um vom Jenseits was zu erfahren.
    Kaffanke: Ja, genau. Ich begreife die geistlichen Übungen, wenn man zum Beispiel pilgert oder fastet oder betet, dann sage ich immer ein bisschen salopp auch dazu, das sind Schwangerschaftsübungen zur Geburt in die Ewigkeit. Man kann im Hier und Jetzt durch diese inneren Prozesse, durch diese inneren geistlichen Übungen, die aber jetzt nicht nur Stundengebet sind, sondern die innere Reinigung, die die Purgativa betrifft, alles das tun, was man kann, um der Ewigkeit entgegenzukommen.
    Köhler: Wenn die Mystik kreist - der Benediktiner-Mönch Jakobus zur Ausstellung „Mystik am Bodensee“.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.