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Ausstellung in Wien
"Die Vielfalt der Kabbala"

Von Madonna bis David Bowie hat die Kabbala Stars in ihren Bann gezogen. Doch die jüdische Mystik ist viel mehr als ein hippes Accessoire der Popkultur. Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Wien widmet sich jetzt Geschichte und Gegenwart der Kabbala.

Von Tobias Kühn | 30.10.2018
    Madonna präsentiert eine Hommage an Aretha Franklin bei den MTV Video Music Awards in der Radio City Music Hall.
    Auch die Musikerin Madonna fühlt sich der Kabbala verbunden (dpa-Bildfunk / AP / Invision / Chris Pizzello)
    "Am Anfang, als der Wille des Königs zu wirken begann, grub er Zeichen in die himmlische Aura. Ein Licht von undurchdringlicher Dunkelheit entsprang aus dem Allerverborgensten, aus dem Geheimnis des Ungrunds, wie ein Nebel, der sich im Gestaltlosen bildet."
    So heißt es im "Sohar", dem Hauptwerk der jüdischen Mystik, der Kabbala. Das Buch entstand im 13. Jahrhundert in Spanien und verbindet jüdisches Gedankengut mit uralten mystischen Vorstellungen. Es geht um Spekulationen über den Namen Gottes, um Zahlenmystik und Buchstabendeutungen sowie um Theorien über die Seelenwanderung.
    Heute wird die Kabbala oft in Zusammenhang mit New Age gesehen. Man nimmt sie vor allem wahr, weil sie von popkulturellen Größen propagiert wird – etwa von Madonna, David und Victoria Beckham oder Demi Moore. Sie alle haben die Kabbala als eine Art Ersatzreligion entdeckt.
    "Die Kabbala ist eine Art Uroffenbarung der Menschheit"
    Das Jüdische Museum Wien zeigt in einer Ausstellung, was sich hinter dem Begriff "Kabbala" verbirgt. Kurator Klaus Davidowicz, Professor für Judaistik an der Universität Wien, erklärt, warum er eine Auseinandersetzung mit der Kabbala heute wichtig findet:
    "Wir leben in einer Zeit, in der Religionen teilweise einen extremen Fundamentalismus an den Tag legen. Auf der einen Seite gibt es diese säkulare Gesellschaft. Auf der anderen Seite gibt es eine, wenn religiös, dann sehr religiöse Gesellschaft. Wir wollen mit dieser Ausstellung zeigen, dass die Kabbala eine Art Uroffenbarung der Menschheit ist, eine paradiesische, gemeinschaftliche Urreligion oder, wenn man so will, die Blaupause aller späteren Religionen."
    In der Altstadt von Jerusalem: das kunstvolle Eingangstor einer 1755 gegründeten Lehreinrichtung für sephardische Kabbala-Studien
    In der Altstadt von Jerusalem: das kunstvolle Eingangstor einer 1755 gegründeten Lehreinrichtung für sephardische Kabbala-Studien (picture alliance / dpa / Matthias Tödt)
    Ausgangspunkt kabbalistischer Traditionen ist die Suche des Menschen nach einer Beziehung zu Gott. Im Zentrum der Kabbala steht die Idee, Gott sei grenzenlos und für den menschlichen Verstand nicht fassbar.
    "Es gibt verschiedene Spielarten der Kabbala
    Kennzeichnend für die Welt sind nach dieser Anschauung zehn Sphären der göttlichen Entfaltung, die zehn Sefirot. Sie fassen ethische Werte zusammen wie Weisheit, Verstand, Barmherzigkeit, Stärke und Beständigkeit. In diese Bereiche ist der kabbalistische Lebensbaum Etz Chajim aufgeteilt, der Mensch und Gott verbindet. Nach Ansicht der Kabbala steht der Mensch unter der Macht universaler Kräfte – die er jedoch selbst beeinflussen kann.
    Die Wiener Ausstellung zeigt, dass im Laufe der Jahrhunderte sehr vielfältige kabbalistische Traditionen entstanden sind, erklärt Davidowicz:
    "Es gibt die traditionelle jüdische Kabbala, die sich im Mittelalter entwickelt hat. Es gibt die christliche Kabbala, die sich seit der Renaissance entwickelt hat, darauf dann wieder aufbauend magische Strömungen, die sich ebenfalls an kabbalistischen Strukturen orientiert haben und dann später die New-Age-Bewegung, die zurückgeht auf ältere jüdische Texte. Also es gibt verschiedene Spielarten der Kabbala, die mehr oder weniger alle für sich reklamieren, authentisch zu sein. Man kann also nicht einfach sagen: Nur die traditionell-jüdische Kabbala ist die echte Kabbala. Wenn ein Künstler, ein Filmemacher, ein Buchautor mit seinem Werk anknüpft an uralte kabbalistische Texte oder Ideen, dann ist das genauso eine authentische Form von Kabbala in der Gegenwart."
    Ein Bild von David Bowie in New York
    Ein Bild von David Bowie in New York - der Musiker setzte sich künstlerisch mit der Kabbala auseinander (imago stock&people)
    Das Wort "Kabbala" geht auf den hebräischen Wortstamm K – B – L zurück und bedeutet so viel wie Überlieferung, Weiterleitung oder Tradition. Die Kabbalisten glauben, Gott habe Adam, dem ersten Menschen, im Paradies die uralte mystische Weisheit geoffenbart. Diese Weisheit werde seitdem immer weiter überliefert.
    "Geheimschriften und alte Schriftrollen"
    Doch tatsächlich entstand die Kabbala seit dem 12. Jahrhundert in Südfrankreich und Spanien. Die jüdischen Gemeinden dieser Region waren damals hoch entwickelt. Ihre geografische Lage förderte einen regen Austausch von Ideen: Die Gemeinden lagen an einem Schnittpunkt, an dem aschkenasisches und sephardisches Judentum einander begegneten, und das islamische Spanien war nicht weit entfernt. Zudem verband sie der Seehandel über die benachbarten Mittelmeerhäfen mit dem Orient.
    Die Ausstellung versucht, die Kabbala anhand von etwa 120 Objekten zu erklären. Chefkurator Domagoj Akrap sagt, man wolle einen Bogen schlagen von den Anfängen bis heute:
    "Die Ausstellung ist so konzipiert, dass wir thematisch vorgehen, nicht strikt chronologisch. An der jeweiligen Station werden traditionelle Objekte – das, was man zuerst mit Kabbala verbindet: Geheimschriften und alte Schriftrollen – modernen zeitgenössischen Kunstwerken, Filmen, Gemälden, Installationen gegenübergestellt."
    Auch "Mr. Spock" war Kabbalist
    Eines der wertvollsten Objekte der Wiener Ausstellung ist eine mittelalterliche Handschrift des Kabbalisten Rabbi Awraham Abulafia, eine Leihgabe der Vatikanischen Bibliothek. Neben den zentralen kabbalistischen Texten zeigt die Ausstellung unter anderem Amulette und sogenannte Ilanot, also kabbalistisch geschriebene Schriftrollen über die göttlichen Welten.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Ein Amulett der Rosenkreuzer mit kabbalistischen Elementen (Jüdisches Museum Wien)
    Auf der anderen Seite sind Werke berühmter zeitgenössischer Künstler wie Anselm Kiefer zu sehen, die sich in ihrem Werk mit kabbalistischen Elementen auseinandersetzen. Außerdem werden Ausschnitte aus Spielfilmen gezeigt, in denen kabbalistische Ideen vorkommen, wie der Thriller "Black Swan" von Darren Aronofsky.
    "Das alles vermittelt den Besuchern die Vielschichtigkeit der Kabbala: Wir haben die traditionellen Elemente, wir haben die modernen Künstler, wir haben Magier wie Aleister Crowley, wir haben Musiker wie David Bowie und Schauspieler und Fotografen in einem wie Leonard Nimoy, der als Spock berühmt geworden ist. Sie alle haben sich in ihrem Leben und Werk mit Kabbala oder mit kabbalistischen Ideen auseinandergesetzt", sagt der Judaist Klaus Davidowicz.
    "Das Thema ist nur bedingt religiös"
    Chefkurator Domagoj Akrap betont, man habe die Inhalte bewusst so ausgewählt, dass die Ausstellung sowohl religiöse als auch säkulare Besucher anspricht:
    "Ich glaube, das Thema ist nur bedingt religiös. Diese Fragen: Woher kommen wir? Was ist der Sinn? Oder: Wie ist das Weltall beschaffen? - die beschäftigen jeden in irgendeiner Form, jeden Interessierten. Und die Leute werden sicher die eine oder andere Überraschung und neue Erfahrung machen hier, losgelöst von dem traditionellen Bild der Religion, denn das ist es definitiv in der Ausstellung nicht, was wir machen."
    Eines der Exponate allerdings könnte vor allem religiöse Juden in die Ausstellung locken die Gebetsriemen des Baal Schem Tov, des legendären Begründers des Chassidismus. Von ihnen, so sagt man, gehe eine besondere Heiligkeit aus.