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Ausstellung in Zürich
Chaos, das irgendwie mit Europa zu tun hat

"Wie kann man ein solch kuratorisches Chaos anrichten", fragt sich unser Kritiker Christian Gampert beim Museumsgang in Zürich, wo gerade eine Ausstellung zum Thema Europa stattfindet. Sein Urteil: Das Kunsthaus Zürich hat den Weggang der erfahrenen Kuratoren Christian Klemm und Tobia Bezzola nicht kompensieren können.

Von Christian Gampert | 13.06.2015
    "Ach, Europa!", seufzte Hans Magnus Enzensberger schon 1987 nach längeren Recherchereisen, und nach dem Besuch der Züricher Ausstellung möchte man ebenfalls Ach und Och sagen – oder gleich in lautes Wehklagen ausbrechen. Wie, bitte, kann man im Jahre 2015 nach Christus ein solches kuratorisches Chaos anrichten, dies und das und jenes aus dem Kanon, garniert von ein bisschen engagierter Gegenwartskunst? Alle Exponate haben von Ferne mit dem Thema Europa zu tun, sind aber wild durcheinandergeschüttelt wie bei einer Kunstmesse. Soll das eine Ausstellung sein?
    Die Kuratorin Cathérine Hug hat sich Hilfe bei dem Wiener Schriftsteller Robert Menasse geholt, der als künstlerischer Beirat fungierte, und der wartete auf der Pressekonferenz mit einer kühnen These auf.
    "Die Künstler haben immer schon, die Geschichte seit der Aufklärung, transnational gearbeitet und das geschaffen, was man wirklich einen großen europäischen Kultur- und Zivilisationsraum nennen kann."
    Sprich: Die Künstler sind viel hellsichtiger als die politischen Eliten. Nun, die Künstler müssen auch nicht entscheiden, ob Griechenland mehr Kredite erhält oder den Euroraum besser verlässt. Künstler üben Kritik und suchen nach neuen Ausdrucksformen, und in der Tat hat die Avantgarde sich um nationale Grenzen nie geschert. Es gab allerdings auch allerhand faschistische Nationalkünstler, die in Zürich aber durchs Raster fallen. Was also kann man zeigen?
    "Europa und den Stier", möglichst gleich mehrfach (ist dann auch so, von Valotton, Welti und Lipchitz). Arnold Böcklin feiert "die Freiheit", Ferdinand Hodler "die Wahrheit". Max Ernst malt "Europa nach dem Regen" und Meret Oppenheim sieht "Drei Wolken über dem Kontinent".
    Schön, aber auch herzlich unergiebig
    Das ist schön, aber auch herzlich unergiebig. Man brauche mehr Europäisierung, sagt da Robert Menasse, und weniger Nationalismen. Und mehr Offenheit gegenüber den Migranten, mit denen sich ein Großteil der aktuelleren Arbeiten befasst, meist sind es Videos.
    "Wir haben Objekte gesucht, die diese Aspekte zeigen: die Kritik an den politischen Verwerfungen und die Fehler der politischen Eliten, sowie Kritik an Nationalismus, Kritik an Kriegstreiberei, Rassismus, Hetze, Imperialismus."
    Bei aller Achtung vor Robert Menasse: das klingt ein wenig wie früher in der studentischen Vollversammlung. Natürlich kann man auch in dieser Ausstellung originelle Arbeiten finden – Artur Zmijewskis Videoinstallation über politische Demonstrationen (von Polen bis zum Nahen Osten!) führt uns vor Augen, dass Politik in der Hauptsache Gewalt ist. Aber hat das nur mit Europa zu tun? Die Schweizer Künstlerin Nives Widauer zeigt eine Serie großartiger Sprach-Tapeten zu Stefan Zweigs "Die Welt von Gestern", aber das Ganze steht beziehungslos neben anderen Werken. Anna Jarmolaewa rückt die Aufräumarbeiten der Wegwerfgesellschaft ins Bild, Herlinde Koelbl fotografiert europäische Schlafzimmer, Adrian Paci Migrantenfamilien. Da kann man andocken.
    Aber ein Thema wie "Europa" will eingegrenzt sein, formal, zeitlich, inhaltlich. Das Kunsthaus Zürich hat den Weggang der erfahrenen Kuratoren Christian Klemm und Tobia Bezzola nicht wirklich kompensieren können; manche der Nachrückerinnen üben offenbar noch. Und manchmal scheint es, als spiegele die Wirrheit der Ausstellung unbewusst auch das Chaos der europäischen Politik. Aber dieses unerträgliche Durcheinander von Klassikern von Klee bis Kabakov, die irgendeinen Europa-Bezug haben, macht diese Schau zu einem Desaster. Munch malt den Hafen von Lübeck und Monet den Leuchtturm von Honfleur. Na und? Die Ausstellung spielt in Zürich, wo das illegale Geld lagert. Auch dazu gibt es einen Beitrag (von Thomas Imbach) – immerhin.