Donnerstag, 18. April 2024

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Ausstellung "No Secrets!"
Reiz und Gefahr digitaler Selbstüberwachung

Mit Apps, Trackern und Sensoren kontrollieren wir bereitwillig uns selbst. Künstler in München verhandeln die Themen Überwachung und Big Data - mit vielen Kameras und aufreibenden Bildern.

Von Julian Ignatowitsch | 24.03.2017
    Ein Schild mit der Aufschrift "Dieser Bereich wird vom Polizeipräsidium München videoüberwacht" steht am 20.03.2017 in München (Bayern).
    Video-Überwachung auf einem öffentlichen Platz in München (Picture Alliance / dpa / Peter Kneffel)
    Ein großer Videowürfel - 48 Bildschirme, drei Kameras - hängt in der Mitte des Raums, filmt uns, zeigt aufgenommene Bilder und macht dazu seltsame Geräusche.
    Matthias Oostrik: "What you see is everything from now to one year ago. It makes sounds based on your movement".
    Neben mir reckt eine Gruppe junger Frauen ihre Arme und Beine in die Luft, auf dem Screen streckt ein Mann die Zunge heraus. Künstler Matthias Oostrik steht ganz ruhig neben seiner Installation, die er einen Anti-Überwachungsapparat nennt:
    "Ich benutze Überwachungstechnologie, mit der wir tagtäglich an Flughäfen, Bahnhöfen oder Plätzen in der Stadt ausspioniert werden. Dafür werden Algorithmen eingesetzt, um herauszufinden, ob sich Personen abweichend verhalten. Nach dem Motto: 'Der da verhält sich komisch, schickt mal die Polizei.' Und ich mache mit meiner Maschine genau das Gegenteil, ich will damit abweichendes Verhalten provozieren!"
    Unser Gesicht in den Händen von wildfremden Menschen
    Sehen und gesehen werden. Oostriks Anti-Überwachungsapparat schafft zwei Dinge gleichzeitig: Zum einen holt er die allgegenwärtige Überwachung im öffentlichen Raum in unser Bewusstsein, macht sie sichtbar, wirft sie auf uns zurück. Zum anderen konfrontiert er uns mit der Selbstauslieferung, unserem freiwilligen Exhibitionismus, wenn wir scheinbar privat vor Handy- und PC-Kameras treten, uns selbst aufnehmen und diese Aufnahmen mit unseren Freunden, dem Internet und der ganzen Welt teilen. Unsere Daten, unser Gesicht in den Händen von wildfremden Menschen. Oostrik lacht:
    "Es weiß ja auch keiner, was ich mit diesen Daten hier machen werde. Vielleicht stelle ich sie irgendwann ins Internet oder ich verkaufe sie an einen russischen Pharmakonzern. Genau darum geht es ja: Wir wissen nicht, was mit den gesammelten Daten passiert, wohin sie gehen. Dieser Kontrollverlust ist gleichbedeutend mit einem Verlust an Demokratie."
    Kontrolle, Selbstkontrolle, (Selbst-)Kontrollverlust? Die Ausstellung in München verhandelt dieses Thema intelligent, anschaulich und abwechslungsreich. Immer wieder Kameras, vor die wir, mal mehr, mal weniger freiwillig treten. Natürlich sind Video und Bewegtbild erste Wahl, eine kritische Haltung die Regel, wenn es um Selbstüberwachung und Big Data geht.
    Filmausschnitt: "The will to win, the desire to succeed, the urge to reach your full potential, these are the keys to unlock the door.”
    Selbstoptimierung im Online-Modus. Die britische Künstlerin Susan Morris hat das am eigenen Körper ausprobiert: Drei Jahre lang ließ sie sich von einer "Actiwatch" vermessen und hat aus den Ergebnissen stille, abstrakt anmutende Wandteppiche angefertigt.
    "Je länger ich die Uhr anhatte, desto mehr dachte ich: es geht nicht um mich als Individuum, sondern um mich als Teil der Gesellschaft. Ich lebe in London, die Arbeit bestimmt mein Leben, nine to five, teilweise arbeite ich an den Abenden, am Wochenende habe ich frei. Jeder macht das Gleiche. Ich bin wohl nur eine von vielen Kreaturen, die tagtäglich über diesen Planeten kriechen."
    Kamera einfach mal zuhalten
    Fast schon wissenschaftlich setzt sich das Künstlerkollektiv "Tactical Tech" mit dem Thema auseinander und präsentiert seine Ergebnisse, wie im Apple Store, auf glatten, weißen Tischen. Kuratorin Sabine Adler über ein Ausstellungsstück:
    "Wir sehen hier ein Haus unter einer Glaskuppel. Das ist das Haus von Mark Zuckerberg, Gründer von Facebook, der 2010 das Ende der Privatsphäre erklärt hat und sich gleichzeitig dieses Haus in Kalifornien gekauft hat. Damit er selbst nicht in seiner Privatsphäre gestört wird, hat er gleich noch die vier Grundstücke drum herum gekauft, von denen man in sein Haus schauen könnte. Das zeigt diese Paradoxie."
    Eine Paradoxie, der wir wohl nicht mehr entkommen können, darin sind sich alle Arbeiten einig - die wir aber kommunizieren und mitgestalten können, das zeigen die künstlerischen Positionen. Egal, ob der selbstbestimmte Akt nun darin besteht, eine Kamera einfach mal zuzuhalten oder vor ihr einen hemmungslosen Robo-Dance aufzuführen.
    Die Ausstellung ist vom 24. März bis 16. Juli 2017 im Stadtmuseum München zu sehen.