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Ausstellung "Virtual Body"
Ein verpixeltes Häufchen Elend

Was macht die digitale Welt, das Virtuelle mit uns? Wie ändert sich die Darstellung des Körpers durch sie? Für die Ausstellung "Virtual Body", zu deutsch virtueller Körper, im NRW-Forum Düsseldorf sind Künstler diesen Fragen nachgegangen.

Von Sabine Oelze | 14.03.2016
    Huang Siying schafft mit ihrer Animation so etwas wie eine virtuelle Geburtsstunde. Sie verwandelt Hormonlevel neugeborener Säuglinge mit Hilfe eines Algorithmus in eine animierte Grafik. Wie bei einem Kaleidoskop bilden sich ornamentartige Formen, mal sind sie geometrisch, mal floral. Alles ist im Fluss. Dazu ertönt ein elektronisch erzeugtes Didgeridoo-Brummen. Huang Siying ist mit 25 Jahren die jüngste Künstlerin in der Ausstellung "Virtual Body", und vielleicht die ernsteste.
    "Jeder Mensch hat einen anderen Hormonlevel bei der Geburt. Die Daten, mit denen ich arbeite, stammen aus einer Internet-Datenbank. Mit Hilfe des Algorithmus kann ich unendlich viele Formen generieren. Dazu hört man diesen archaischen Sound der Didgeridoos. Ich möchte versuchen, den Schmerz und das Lebendige des Geburtsprozesses in meiner Kunst zusammenzubringen."
    Wie verändert sich die Darstellung des Körpers im Digitalzeitalter? Die Ausstellung "Virtual Body" stellt neun Künstler vor. Für sie ist der Körper Thema und Werkzeug, um die Verheißungen neuer Technologien auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Zeitlich spannt die Ausstellung den Bogen vom Ende der 70er Jahre bis heute. Der Kurator Wolf Lieser ist einer der wenigen Galeristen für digitale Kunst in Europa. Wenn er durch die Ausstellung führt, dann redet er nicht von Farbauftrag und Pinselduktus, sondern benutzt Wörter wie GIF-Datei, ASCII, ein Verschlüsselungscode, oder Second Life.
    "Was wir hier aufgreifen, ist der Einfluss, den das Virtuelle hat, denn wir wissen, dass das Internet und die Darstellung des Körpers im Internet sehr stark die Menschen beeinflusst hat und beeinflusst in der Art und Weise, wie sie sich präsentieren oder ein Image aufbauen."
    Eine Tatsache, die auch schon den US-Amerikaner Laurence Gartel Ende der 70er Jahre beschäftigte. Gartel gilt als Vater der digitalen Kunst.
    "Das, was wir hier sehen, sind ganz frühe Arbeiten von ‘79 bis ‘82, wo er die Möglichkeit hat, mit Geräten, die von Nam Jun Paik entwickelt wurden, sogenannte Coloriser, Videomaterial zu manipulieren."
    Gartel nahm ein Foto mit Video auf, manipulierte es grafisch und fotografierte es wieder. In der Ausstellung sind seine Aktstudien zu sehen. In den unscharfen, bunten Fotografien geht es nicht um die Erotik nackter Frauen, sondern um ihre immergleichen Posen. Ein ähnliches Thema hat auch die Kunst von Mark Napier. Der New Yorker zeigt uns das Sex-Symbol Pamela Anderson, wie wir es noch nie gesehen haben.
    Pamela Anderson, in Einzelteile zerlegt und wieder zusammengesetzt
    In den 90er Jahren war das Pin Up-Girl die meist geklickte Frau im Internet. Mark Napier war damals gerade knapp 30 Jahre alt und ausgebildeter Maler. Er wechselte vom Analogen ins Digitale und entwickelte ein Programm, mit dem er Andersons Körperteile aus hunderten von Internetbildern von ihr in eine Venus 2.0. transformierte, in ein virtuelles Schönheitskonstrukt.
    "Was er gemacht hat, er hat hat einzelne Körperteile zusammengesucht, und dann werden diese Körperteile auf ironische Weise immer wieder neu zusammengesetzt."
    Nichts passt mehr zusammen. Pamela Anderson sieht aus, als wäre sie geschreddert und wieder zusammengeklebt worden.
    Das Düsseldorfer Duo Giulia Bowinkel und Friedemann Banz versuchen die heutigen Möglichkeiten des Computers voll auszuschöpfen. Auf großen Digitaldrucken sind rote, grüne, gelbe Farbschlieren zu sehen, erzeugt durch ein 3D-Programm.
    "Wir haben uns aufgezeichnet, unsere Bewegungen, mit vielen Kameras und der Computer kann aus den Aufzeichnungen einen Avatar berechnen, der sich so bewegt, wie wir uns bewegen, und über diesen digitalen Avatar, dieses Abbild, steuern wir diese Flüssigkeitssimulationen."
    Flüssigkeitssimulationen, die an gestische Malerei denken lassen.
    Etwas schaffen, was ein realer Mensch nicht schaffen kann. Darum geht es auch bei der italienischen Künstlerin Gazira Babeli. Die Künstlerin sorgte in den 90ern mit Performances im Second Life für Furore. Second Life- so hieß eine 3D-Welt, in der sich jeder Mensch einen Avatar, eine künstliche Figur, gestalten konnte, um in Second Life ein digitales Leben zu führen. "Come to heaven", komm in den Himmel, nannte Barbeli eine virtuelle Performance, in der sie den Avatar, mit 100 km/h in Richtung Himmel fliegen ließ. Wolf Lieser:
    "Das ist natürlich absurd, denn wir haben keinen Himmel im virtuellen Raum. Das sind nur Programme, dadurch haben sie die Verzerrung der Person."
    Übrig bleibt vom fliegenden Körper des Avatars nur ein verpixeltes Häufchen Elend.