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Ausstellung
Von der Freiheit der sexuellen Entfaltung

Alles, was es über die Sexualforschung zu wissen gibt: Das zeigt die Ausstellung "The Institute of Sexology" in der Londoner Wellcome Galerie. Sie beleuchtet die Arbeit der Pioniere der Sexualforschung - von denen erstaunlich viele aus dem deutschsprachigen Raum stammen.

Von Jochen Spengler | 20.11.2014
    Buchstabensteine mit dem Wort "Sex"
    Eines der Hauptziele dieser Ausstellung liegt darin, zu zeigen, dass die Freiheit, sich als sexuelle Wesen zu entfalten, nicht selbstverständlich ist. (picture alliance / Romain Fellens)
    "Natürlich geht es auch allgemein um Sex, aber wir konzentrieren uns auf jene, die Sex wissenschaftlich über die letzten 150 Jahre untersucht haben," sagt Chefkurator James Peto, der aber auch keine plausible Erklärung dafür hat, warum erstaunlich viele dieser ersten Pioniere aus dem deutschsprachigen Raum kamen. Doch ob Magnus Hirschfeld, Sigmund Freud oder Wilhelm Reich:
    "Ich glaube, eine der interessanten Erkenntnisse ist, das viele von ihnen Sammler waren; vielleicht mussten sie Beweise für sexuelle Praktiken und Einstellungen zusammentragen. Die Ausstellung beleuchtet ihre Methoden, wie sie Sexualität untersuchten, aber zeigt auch die wissenschaftlichen und kulturellen Objekte, die sie sammelten. So präsentieren wir eine ganze Anzahl von Filmen, Skulpturen, Zeichnungen und Bilder, die das Studium und die Praxis von Sexualität zeigen. "
    Zu sehen sind erotische Kunstwerke aus allen Epochen und Regionen - aus Persien, Japan, Indien und Europa: sich begattende Tiere, weibliche und männliche Genitalien und kopulierende Paare beider Geschlechter. Die Ausstellung ist chronologisch angeordnet und beginnt mit einer Würdigung des deutschen Arztes Magnus Hirschfeld; sein in der Weimarer Republik gegründetes "Institut für Sexualwissenschaft" gab der Ausstellung sogar ihren Namen.
    "Sie beginnt mit ihm, denn er war ein außerordentlicher Pionier mit einem radikalen Ansatz der Sexualmoral und großem Interesse uns von sexueller Unterdrückung zu befreien."
    Hirschfeld, selbst homosexuell, entwickelte die Lehre der sexuellen Zwischenstufen und kämpfte für ihre Gleichberechtigung. Als Jude und Sozialist musste er vor den Nazis fliehen, sein Institut wurde verwüstet und seine Bibliothek Opfer der Bücherverbrennung, die als Film von der Wand flimmert. Die Mitkuratorin Kate Forde betont:
    "Eines der Hauptziele dieser Ausstellung liegt darin, zu zeigen, dass die Freiheit uns als sexuelle Wesen zu entfalten, nicht selbstverständlich ist. Und dass jene, die auf diesem Feld tätig waren, oft große persönliche Risiken eingegangen sind."
    Moderne Verhütungsmittel und altertümliche Sexspielzeuge
    Wilhelm Reich, der Prediger der radikalen sexuellen Befreiung, geriet mit den US-Behörden in Konflikt und landete im Gefängnis. Seine Lehre über den Orgon-Akkumulator wurde als Scharlatanerie gebrandmarkt, auch seine Bücher verbrannt. Ein Nachbau dieser mit Metall ausgeschlagenen simplen Holzbox findet sich in der Ausstellung.
    Angeblich soll der Akkumulator Orgon-Energie erzeugen, womit sexuelle Lust stimuliert werde - doch selbst bei den Ausstellungsmachern hat es bislang nicht funktioniert.
    Etwa weniger umstritten als Reich war Alfred Kinsey; seine Nachfolger gewissermaßen, Masters und Johnson, sind im Videointerview zu hören und in einer Vitrine werden die Messinstrumente ausgestellt, mit denen die Forscher in den 60er-Jahren den weiblichen Orgasmus durchleuchteten.
    Ob moderne Verhütungsmittel oder altertümliche Sexspielzeuge - manche Ausstellungsstücke sind unmissverständlich, andere verführen zum Schmunzeln, etwa wenn ein französisches Buch aus dem 19. Jahrhundert in Wort und Bild die Vorzüge der Masturbation preist, während ein englisches Werk aus derselben Zeit sie verdammt als Weg zum Schwachsinn.
    "Jede Generation gefällt sich darin zu glauben, dass sie den Sex erfunden habe. Aber ein kurzer Rundgang in unserer Ausstellung wird den Glauben erschüttern, dass wir experimentierfreudiger oder aufgeklärter als unsere Vorfahren sind - tatsächlich könnten wir eine Menge von ihnen lernen."