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Ausstellung zur Reformationsgeschichte
Wider den Wucher

Luther war nicht allein. Er hatte Mitstreiter und Widersacher, die auch den Titel "Reformator" verdienen. Thomas Müntzer und Jakob Strauß zum Beispiel. Die Ausstellung "Luthers ungeliebte Brüder" im thüringischen Mühlhausen erinnert an jene, die für eine Änderung der sozialen Verhältnisse kämpften.

Von Henry Bernhard | 27.10.2016
    Mitglieder des DDR-Jugendverbandes Freie Deutsche Jugend (FDJ) während einer Zeremonie im Ferienlager "Thomas Müntzer" am Kyffhäuser in Thüringen. Im Hintergrund ein großes Porträt des evangelischen Theologen und Reformators Thomas Müntzer
    Thomas Müntzer als Ikone der DDR Jugend (dpa / gerig)
    Besser als in Mühlhausen hätte die Ausstellung kaum platziert sein können. Die Stadt gehörte im frühen 16. Jahrhundert zu den bedeutendsten in Mitteldeutschland. Außerdem wirkten viele Reformatoren, die nicht mit Luther auf einer Linie lagen, in und um Mühlhausen. Der Direktor der Mühlhäuser Museen, Thomas Müller, möchte gerade sie im Reformationsjahr aus dem Schatten Luthers herausheben:
    "Die Evangelische Kirche hat ja lange gerungen: Heißt das Ganze nun 'Reformationsjubiläum', heißt es 'Lutherjubiläum?' Offiziell heißt es ja 'Reformationsjubiläum'. Nichtsdestotrotz findet sich überall immer wieder nur Luther oder fast nur Luther. Und ein wenig scheint es mir, als ob dieses Reformationsjubiläum wieder zu einer Lutherzentrierung zurückgekehrt ist, wie es sie schon in den Jahrhunderten vorher gegeben hat. Und das ist ein bisschen schade. Weil: Luther allein hat keine Reformation gemacht, er hat sie angestoßen; gemacht haben sie die vielen Leute vor Ort. Und dass es da durchaus Leute gab, die andere Auffassungen gehabt haben, das ist uns wichtig, einfach mal darzustellen."
    Die Ausstellung in der schon 1802 säkularisierten Kornmarktkirche präsentiert zunächst die Quellen der Reformation: Die Kritik am heuchlerischen Klerus, am Ablasshandel, an der Volksferne des lateinischen Gottesdienstes, aber auch die Erfindung des Buchdrucks und damit die Möglichkeit, sowohl die Bibel als auch polemische Streitschriften massenhaft unters Volk zu bringen. Die Schau rückt sodann die spezifischen lokalen sozialen Verhältnisse, die Ausbeutung der Bauern, die ungerechte Verteilung der Güter ins Verhältnis zur neuen Theologie und zeigt, wie die Reformation mit einer sozialen Frage aufgeladen wurde.
    Zinssenkungen erzwungen
    "Jakob Strauß in Eisenach hat beispielsweise den Wucher massiv angeprangert und ist darüber hinaus natürlich auch mit der Obrigkeit in Probleme geraten. Und er ging sogar so weit zu sagen: Nicht nur Wucher zu nehmen ist sträflich und wider Gottes Wort, sondern auch den zu bezahlen, wenn er verlangt wird. Also, er hat sozusagen zur Verweigerung von Abgaben aufgerufen. Das ist natürlich eine Sache, die hat man nicht gerne gesehen."
    Viele Eisenacher Bürger verweigerten daraufhin zunächst die Zahlung jeglicher Zinsen. Immerhin gelang es Jakob Strauß, dem Prediger an der Eisenacher Georgenkirche, in Verhandlungen mit dem Weimarer Hof die Zinsen auf fünf Prozent herabzusetzen - erstmalig in einer deutschen Stadt. Aber auch theologisch gingen "Luthers ungeliebte Brüder", wie die Ausstellung sie nennt, eigene Wege. Die Ausstellung zeigt Bilderstürmer, die Heiligenbilder und Gemälde schändeten und Altäre zerstörten, und Theologen, die Luther mitunter voraus waren.
    "Thomas Müntzer hat beispielsweise noch vor Luther ein deutsches evangelisches Kirchenamt geschrieben und danach auch Gottesdienst gehalten, hat eine eigene evangelische Messe gemacht und hat die Gemeinde sehr stark mit einbezogen, in Allstedt, aber auch in Mühlhausen."
    Müntzer wollte weiter gehen als Luther
    Gerade Thomas Müntzer sollte zum populären reformatorischen Gegenspieler Luthers aufsteigen, als späterer Anführer der Bauern im Bauernkrieg, aber auch als Theologe, der weiter gehen wollte als Luther. Müntzer schmähte den Rivalen als "gottlos", als Marionette des Adels, als "sanft lebendes Fleisch zu Wittenberg". Luther wiederum bezeichnete Müntzer als "falschen Propheten", als "Erzteufel" und legitimierte die Fürsten theologisch, die aufständischen Bauern rücksichtslos niederzumetzeln, wie es im Mai 1525 in Frankenhausen geschah, als tausende Bauern starben. Hier liefert die die Ausstellung keine Rechtfertigung, aber doch eine Erklärung Luthers.
    Thomas Müller: "Und ich bin heute der festen Überzeugung, dass das ein ganz wichtiger Schritt war, um die eigene Idee von Reformation zu retten, ein realpolitischer Schritt, den Luther allerdings mit enormer Vehemenz gegangen ist. Wenn man Luthers Schrift 'Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern' liest, dann wird einem schon ganz blümerant; also, er spart da nicht mit heftigen Worten. Und Müntzer scheint mir das erste innerevangelische Propagandaopfer zu sein."
    Die Mühlhäuser Ausstellung zeigt Seiten- und Nebenstränge der Reformation, mit lokalem Schwerpunkt, aber auch deutschlandweiter Bedeutung. Schlaglichtartig werden Protagonisten und wichtige Ereignisse wie Bilderstürme oder der Bauernkrieg beleuchtet, am Ende aber auch die Rezeption Thomas Müntzers und des Bauernkriegs durch den Nationalsozialismus und später durch die DDR, die Luther ebenso wie seinen ungeliebten Bruder Müntzer als einen der ihren reklamierten.