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Ausstellungskatalog zeigt Rechtfertigungsdruck

Die Warteschlangen vor der Gastausstellung des Museum of Modern Art hatten sich noch kaum aufgelöst, da wurde vor einigen Wochen die Berliner Kunstszene schon von einem neuen Großereignis in Atem gehalten: der Präsentation von Friedrich Christian Flicks Sammlung zeitgenössischer internationaler Kunst. Genauer gesagt, von Teilen seiner über zweitausend Werke von hundertfünfzig Künstlern umfassenden Privatsammlung, die der in der Schweiz ansässige Erbe des Flick-Vermögens seit Mitte der achtziger Jahre zusammengetragen hat. Bei ihrem rasanten Wachstum hatte die Kollektion schon bald auf verschiedene Depots verteilt werden müssen und Flick suchte nach geeigneten Möglichkeiten, sie in ihrer Gesamtheit öffentlich zugänglich zu machen. Seine Pläne für ein Privatmuseum in Zürich scheiterten am vehementen Protest gegen seine Familiengeschichte und gegen die Herkunft seines Besitzes, der aus dem mächtigsten deutschen Industrieimperium zur Zeit des Nationalsozialismus stammt.

Von Martina Wehlte | 13.12.2004
    Eine Tuchfühlung Flicks mit Berlin ist seit Anfang 2002 aktenkundig. Dass sich die Nationalgalerie für eine Präsentation dieser bedeutenden Sammlung zeitgenössischer europäischer und amerikanischer Kunst verwandte, hat im Hinblick auf ihre museale Aufgabe vollkommen überzeugende Gründe; ergänzen doch die Arbeiten von Nam June Paik, Bruce Nauman, Paul McCarthy, Dieter Roth oder Martin Kippenberger, die Fotozyklen von Thomas Struth, Thomas Ruff und Wolfgang Tilmans, die Inszenierungen von Jeff Wall oder die Rauminstallationen von Jason Rhoades hervorragend die lückenhaften eigenen Bestände. Diese werden seit Jahren umspielt von den Sammlungen Heinz Berggruens zur Klassischen Moderne im Stüler-Bau sowie den Sammlungen von Erich Marx und Egidio Marzona mit ihren Werkkomplexen von Beuys und Kiefer, der Concept und Minimal Art sowie der Arte povera in den Hallen des Hamburger Bahnhofs. So gesehen ist es ein außergewöhnlicher Glücksfall, dass die umfangreiche Flick-Collection nun für vorerst sieben Jahre als Dauerleihgabe in den umgebauten Rieckhallen und – für die derzeitige Erstpräsentation – im leer geräumten Hamburger Bahnhof zu sehen ist.

    Was für ein Politikum aber diese öffentliche Präsentation ist, wurde nach den Diskussionen im Vorfeld noch einmal bei der vom Fernsehsender Phoenix life übertragenen Pressekonferenz anlässlich der Eröffnung deutlich. Dort stellten sich Peter-Klaus Schuster, der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, und Friedrich Christian Flick der internationalen Presse, von deren Vertretern einige der Veranstaltung den Charakter eines Inquisitionstribunals gaben.

    Der mehrere Pfund schwere Ausstellungskatalog ist im Kölner DuMont Verlag erschienen, und die Beiträge von Peter-Klaus Schuster und Eugen Blume, dem Leiter des Hamburger Bahnhofs, zeigen, wie schwer tatsächlich der Rechtfertigungsdruck auf den Verantwortlichen lastete. Ausführlich legen beide Autoren die enge Verknüpfung von deutscher Geschichte und Berliner Museumsgeschichte dar, die sich für die Nationalgalerie seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts als besonders problematisch erwies. Denn hier sollte von Staats wegen durch die Kunst eine nationale Identität vermittelt werden, die es im wirklichen politischen Leben nicht gab. Gerade weil der Gedanke der Nation so eng mit der Nationalgalerie verknüpft wurde, waren der Ankaufspolitik schon zu Zeiten Kaiser Wilhelms des Zweiten und erst recht dann im Nationalsozialismus so enge Fesseln angelegt, dass die dadurch klaffenden Lücken im Bestand an internationaler moderner Kunst nur durch private Schenkungen und Leihgaben geschlossen werden konnten.

    Warum ein so ausführlicher historischer Rückblick? Um die Entscheidung für die Flick-Sammlung aus der Museumsgeschichte heraus verständlich und als einmalige Chance ersichtlich zu machen. Die Werke werden als Leihgabe an die Berliner Nationalgalerie für sieben Jahre in wechselnder Auswahl in den eigens umgebauten Rieckhallen gezeigt. Doch nicht allein im Defilee internationaler Kunstwerke ist die Chance zu sehen, sondern auch in einem siebenjährigen Diskussionsmoratorium zur unzureichenden Entnazifizierung in Deutschland, das nach Schusters Vorstellungen im Hamburger Bahnhof seinen Ort haben sollte und dessen Ergebnis niemand voraussagen könne. Der langjährigen Zusammenarbeit zwischen den Staatlichen Museen zu Berlin und dem Kölner DuMont Verlag, die durch das Signum SMB DuMont der gemeinschaftlichen Bände geradezu nobilitiert wird, dieser Zusammenarbeit hat die Debatte um die Familiengeschichte Flicks offenkundig keinen Abbruch getan. Zu einem Interview war man seitens des Verlages nicht bereit, weil sich der kunstgeschichtliche nicht vom politischen Aspekt des Projektes trennen lasse.

    Dass zeitgleich mit dem Ausstellungskatalog noch die beiden ersten Bände einer groß angelegten monographischen Reihe zu den präsentierten Künstlern erschienen sind, wirkt freilich wie ein Paukenschlag. Herausgeber ist die Friedrich Christian Flick Collection, deren Name sich mit demjenigen des Verlages emblematisch auf dem Buchdeckel vereint. Der Titel der auf deutsch und englisch erscheinenden Reihe Collector’s Choice Künstlermonographien macht unmissverständlich klar, dass Flicks Auswahl von zwanzig Künstlern privatissime getroffen worden ist und nicht zur Disposition steht. Die anspruchsvollen Bände über Rodney Graham von Dorothea Zwirner und über Thomas Schütte von Ulrich Loock entwickeln denn auch das Gesamtwerk der Künstler aus der Werkbegegnung in der Sammlung Flick heraus. Das ist ein individueller, durchaus reizvoller Zugang zum künstlerischen Schaffen. Dass dies letztlich auf eine gute Positionierung der Sammlung zielt und das Renommee des Sammlers auch beim breiten Publikum fördern soll, ist unübersehbar. Das wiederum ist auch ein Stück Verlagspolitik.