Marode Infrastruktur

Die Verkehrspolitik in NRW sorgt für Aufregung

Die 700 Meter lange Leverkusener Rheinbrücke überspannt den Rhein auf der A1 zwischen Leverkusen-Wiesdorf und Köln-Merkenich. Die 1965 in den Dienst gestellt Brücke ist die meistbefahrene in Nordrhein-Westfalen und muss abgerissen werden.
Die 700 Meter lange Leverkusener Rheinbrücke überspannt den Rhein auf der A1 zwischen Leverkusen-Wiesdorf und Köln-Merkenich muss abgerissen werden. © picture alliance / Horst Ossinger
Von Vivien Leue · 10.05.2017
Die Verkehrslage rund um die Millionenstadt Köln ist angespannt. Die Landesregierung hat das Thema lange vor sich her geschoben. Jetzt steht mehr Geld zur Verfügung als je zuvor - es reicht trotzdem nicht. Besonders betroffen sind die Mitarbeiter von Ford.
"8 Uhr 8, die Verkehrslage. A 1 Euskirchen Richtung Dortmund, zwischen Gleuel und Köln-Niehl 8 Kilometer …"
Es ist ein gewöhnlicher Mittwochmorgen auf der Autobahn 1 bei Köln. Vor der Leverkusener Brücke häufen sich die Bremslichter: Es ist Stau. Gut 100.000 Autos werden hier tagtäglich gezählt, offenbar zu viele für das veraltete Verkehrsnetz. Die morgendlichen Pendler sind genervt.
"Katastrophe, weil es viel zu voll ist."
"Die A1 ist jeden Morgen zu."
"Ja, rund um Köln ist es eine Katastrophe. So viele Baustellen, so viele Leute, die rein und raus wollen."
Besonders betroffen von der angespannten Verkehrslage rund um die Millionenstadt Köln sind unter anderem die Mitarbeiter von Ford. In Köln-Niehl und -Merkenich, direkt an der Leverkusener Brücke, beschäftigt der Autobauer mehr als 18.000 Menschen, laut Betriebsrat müssen allein 5.000 von ihnen täglich über den Rhein. Auf dem Mitarbeiterparkplatz von Ford erzählen sie von ihrem Frust.
"Es ist eigentlich rund um die Uhr komplettes Chaos."
"Wenn man zu spät losfährt, wird’s verdammt schwierig, man sollte schon um halb 7 losfahren, sonst steht man definitiv im Stau, aber alles was später ist, kann man vergessen."
Denn nicht nur die Leverkusener Brücke ist marode und zum Teil gesperrt, auch viele andere Rheinbrücken sind nicht mehr komplett befahrbar, wie der stellvertretende Geschäftsführer des Verbands Verkehrswirtschaft und Logistik in NRW, Marcus Hover, erklärt.
"Unsere Straßen gehen schneller kaputt als wir sie reparieren im Moment und als Geld zur Verfügung steht."

"Es ist jahrzehntelang zu wenig passiert"

Dabei steht zurzeit allein in NRW so viel Geld wie noch nie bereit, um Bundesstraßen und die Infrastruktur generell zu modernisieren. Aber es reicht nicht.
"Es ist jahrzehntelang zu wenig passiert und zwar auf allen Verkehrsträgern. Wir haben 2.000 Schienenbrücken in NRW, die dringend sanierungsbedürftig sind. Also es ist nicht so, dass wir einen Verkehrsträger hätten, der toll ausgebaut ist. Nehmen Sie das Kanalnetz, da haben wir noch hier und dort Schleusen aus der Kaiserzeit."
Der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion in NRW, Hendrik Wüst, sieht hier die rot-grüne Landesregierung in der Pflicht. Sie habe es seit ihrer Regierungsübernahme 2010 versäumt, Modernisierungsmaßnahmen voran zu treiben.
"Die Attraktivität des Standorts ist durch die Infrastrukturpolitik schwer gefährdet, teilweise hat sie auch schon einen Knacks. Weil Unternehmen schon heute Teile ihrer Produktion, Endmontage auslagern aus dem Siegerland. Weil man da große Maschinenteile nicht mehr transportiert kriegt, wird dann die Endmontage woanders gemacht, irgendwo an einem Seehafen in Holland oder Belgien und die Arbeitsplätze sind weg."
NRWs Wirtschaftsminister Garrelt Duin zeigt sich in diesem Punkt selbstkritisch. Das Thema Straßenausbau habe lange Jahre nicht wirklich für Begeisterung gesorgt.
"Ich kann mich an viele Veranstaltungen erinnern, wo gesagt wurde: Wir wollen in Bildung statt Beton investieren. Man muss aber beides machen. Die Politik früherer Jahre muss da korrigiert werden und das haben mein Kollege Mike Groschek und ich in den letzten Jahren auch ganz tatkräftig getan."
Groschek leitet das NRW-Verkehrsministerium – und hat mittlerweile tatsächlich viele Infrastrukturmaßnahmen in Angriff genommen. Auch die Leverkusener Brücke soll bis 2020 neu gebaut werden. Nur: Diese Projekte dauern, Straßen, Schienen und Brücken sind nicht von heute auf morgen saniert. Bis eine Entlastung tatsächlich spürbar ist, dürften weitere Jahre vergehen.

"Ein parteiübergreifendes Versagen"

Für Verbandssprecher Hover sind in NRW mehrere Landesregierungen für den Verkehrskollaps verantwortlich.
"Es war das generelle Verhältnis zur Infrastruktur, was das Problem war und das war ein parteiübergreifendes Versagen. Wir freuen uns, dass die Politik da umdenkt, dass jetzt wesentlich mehr Gelder für den Infrastrukturausbau zur Verfügung gestellt werden, als es jemals zuvor der Fall war. Dummerweise reicht es immer noch nicht."
Denn: Wenn die Wirtschaft in NRW weiter wachsen soll, wird auch der Verkehr weiter zunehmen und dann die neuen Straßen an ihre Grenzen bringen.
"Schuld ist natürlich auch unser Konsum, alles was wir verbrauchen, das will bewegt werden und über 80 Prozent davon geht über die Straße."
Was also tun gegen das tägliche Verkehrschaos? Für Hover liegt die Antwort in einer besseren Vernetzung und Digitalisierung der Verkehrswege.
"Es ist ja heute immer noch schwierig zu sagen, dass da jetzt ein Stau ist wo er ist. Wir müssen aber eigentlich dahin kommen, dass ich weiß, wo morgen die Staus sein werden. Dann kann ich mir die Disposition ein bisschen anders legen, dann kann ich gucken, dass ich später los fahre oder ein bisschen früher – das wär’s natürlich."
Zurück zum Mitarbeiterparkplatz von Ford. Der Autobauer überlegt mittlerweile, seinen Mitarbeitern, ein Firmen-Rad zu überlassen. Vielleicht könnte auch eine Fähre über den Rhein Entlastung bringen. Hauptsache, weg von der Straße. Doch bis es soweit ist, haben die Angestellten keine andere Wahl, als sich mit dem Verkehrschaos zu arrangieren.
"Früher Aufstehen ist eigentlich das einzige, was man machen kann, glaube ich. Sonst hat man wenig Möglichkeiten."
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