Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Auswärtiges Amt
Steinmeiers Ringen um Außenwirkung

"Bloße Beschwörung des Bewährten" reiche nicht mehr, sagte Frank-Walter Steinmeier (SPD) zum Antritt seiner zweiten Amtszeit als Bundesaußenminister und versprach selbstkritische Überprüfung. Die Ergebnisse will er morgen vorstellen. Wie lässt sich Außenpolitik im Schatten eines mächtigen Kanzleramts verkaufen?

Von Klaus Remme | 24.02.2015
    Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), aufgenommen am 24.01.2015 in Tunis (Tunesien), bevor er das Bundesverdienstkreuz an den tunesischen Ministerpräsidenten Jomaa verleiht. Steinmeier befindet sich auf einer viertägigen Reise durch die Maghreb-Länder in Nordafrika.
    Frank-Walter Steinmeier (SPD) ist bereits zum zweiten Mal Bundesaußenminister. (picture alliance / dpa / Lukas Schulze)
    Am 17. Dezember 2013 stand Frank Walter Steinmeier am Rednerpult im Weltsaal des Auswärtigen Amts. Der Koalitionsvertrag war unterschrieben, die Regierung gebildet, das Kabinett vereidigt. Nach den Jahren als Außenminister von 2005 bis 2009 konnte nun Steinmeier II beginnen. Er habe sich über viele Jahre nicht vorstellen können, dass es einen Rückweg in das Amt geben könne, sagte Steinmeier, außerdem sei er in seiner politischen und beruflichen Laufbahn nie dorthin zurückgegangen von wo er gekommen sei.
    "Wenn ich mit diesem Grundsatz heute breche, dann nur deshalb, weil das eine wirkliche Ehre und eine Auszeichnung ist für dieses Land Außenpolitik zu gestalten und in meinem Falle eben das Werkstück an dem man in der Vergangenheit schon ein bisschen hat schmieden dürfen, dieses Werkstück jetzt in Zukunft weiter zu schmieden und in diesem Sinne, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, freue ich mich wirklich von Herzen auf die Zusammenarbeit mit Ihnen allen."
    Soweit die freundlichen Worte. Wenige Minuten später, der Amtsvorgänger Guido Westerwelle, war noch im Raum, nahm Steinmeier das Werkstück in die Zange:
    "Zu den Gemeinplätzen in den Antrittsreden deutscher Außenminister gehört, Kontinuität zu beschwören. Weil ich hier zum zweiten Mal stehe, darf ich mir vielleicht ein paar Freiheiten erlauben und deshalb sage ich, ja, die Grundkoordinaten der deutschen Außenpolitik, die stehen natürlich fest, die haben sich bewährt, dennoch, verzeihen Sie mir, ich bin der Auffassung, mit der bloßen Beschwörung des Altbekannten und des Bewährten kommen wir da in der Zukunft nicht mehr ganz durch."
    14 Monate später sitzt Steinmeier in einem Besprechungszimmer im Auswärtigen Amt. Am Vortag ist er aus Lateinamerika zurückgekommen, am Abend beginnt eine längere Afrika-Reise, gleichzeitig versucht er, die Reste des Abkommens von Minsk zu retten, nutzt lange Flüge für Telefonate, mal mit dem russischen, mal mit dem amerikanischen Außenminister. Der Krieg in der Ukraine ist allgegenwärtig und auch die Frage, die ihn bei seiner Antrittsrede beschäftigte: Was kann, was soll, was muss die deutsche Außenpolitik leisten? Für Steinmeier steht fest: Nach vier Jahren Regierungsverantwortung war die dann folgende Perspektive aus der Opposition heraus sicher hilfreich:
    "Das hat in mir die Überzeugung reifen lassen, dass die Entscheidungen, wie wir unsere eigene Außenpolitik aufstellen, keine Entscheidung des Außenministers oder seines engeren Führungstabs bleiben darf, sondern dass wir darüber einen öffentlichen Diskussionsprozess brauchen und den haben wir vor einem Jahr gestartet und kommen jetzt mit Vorschlägen und Schlussfolgerunen aus diesen Diskussionen an die Öffentlichkeit und das wird auch Folgen haben für das Ministerium selbst."
    Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier will in den Irak reisen.
    Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier will in den Irak reisen. (AFP / John MacDougall)
    "Selbstkritischer Überprüfungsprozess"
    Einen selbstkritischen Überprüfungsprozess des Auswärtigen Amts hatte Steinmeier versprochen. "Review 2014 – Außenpolitik weiter denken", so wurde das Projekt benannt. Morgen will er Ergebnisse und Schlussfolgerungen bekannt geben. Als externen Berater holte er sich Christoph Bertram, den ehemaligen Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Bertram sagt, der Prozess war überfällig:
    "Wir haben ja in Deutschland eine Dekade der strategischen Gleichgültigkeit hinter uns, wir haben vieles von dem, was den Rahmen unserer Sicherheit und Außenpolitik ausmachte einfach hingenommen, aber nicht weiterentwickelt, wir haben Europa nicht mehr als strategische Notwendigkeit verstanden, wir haben das Verhältnis zu Russland einfach hingenommen, ohne es zu gestalten, wir haben den Atlantik eigentlich nicht mehr als wichtig für uns empfunden. Diese Phase der strategischen Gleichgültigkeit aufzubrechen, durch öffentliche Debatte und dadurch, dass Angehörige des Auswärtigen Amts rauskommen aus ihren Amtsstuben und sich mit der Öffentlichkeit austauschen, das war ein entscheidendes Motiv, auf jeden Fall war es eins, was mich sehr beschäftigt hat."
    Es gab sicher auch andere Motive. Der Außenminister als eine der zentralen Figuren am Kabinettstisch, ein politisches Amt, dass in Umfragen zur Popularität von Politikern einen der vorderen Plätze quasi garantiert, ein Ministerium mit Gewicht, diese Konstanten vergangener Jahrzehnte waren in der letzten Legislaturperiode fraglich geworden. Constanze Stelzenmüller hat die deutsche Außenpolitik bis Kurzem beim German Marshall Fund begleitet, jetzt arbeitet sie in der Denkfabrik Brookings in Washington:
    "Richtig ist sicher, dass im Auswärtigen Amt und auch jenseits davon über die Jahre das Gefühl entstanden war, dass das Amt ins Abseits der Entwicklung gedrängt wurde, einerseits durch ein sehr mächtiges Kanzleramt, das natürlich auch die Europa-Themen vollständig beherrschte, wie das immer der Fall ist, und auch durch praktische politische Entscheidungen wie die Enthaltung im Libyen Konflikt. Das ist auch zu verstehen, als ein Versuch, die intellektuelle, aber auch praktische Oberherrschaft wiederzugewinnen über den außenpolitischen Diskurs in Berlin."
    Auch Omid Nouripour, der außenpolitische Sprecher der Grünen, sieht nicht nur hehre Motive für den Review-Prozess:
    "Das Kanzleramt hatte sich relevante Stücke des Kuchens geholt, und auch das Finanzministerium hat das heftig mitgemischt, es gab ja einzelne Leute, denen nachgesagt wurde, dass die überhaupt nicht mehr Außenminister werden wollten, weil das Amt so unwichtig sei. Und da gilt es natürlich, dass man das Renommee wiederherstellt, das Selbstbewusstsein wiederbringt und sehr klar sagt, was denn nun eigentlich die Aufgaben des Auswärtigen Amts sind."
    Zentrale Figur im Ringen mit Moskau
    Eines steht fest. Frank Walter Steinmeier wollte noch mal Außenminister werden. Und um Aufmerksamkeit für sein Ministerium muss er nach einem guten Jahr im Amt nicht werben, im Gegenteil. Spätestens seit den dramatischen Verhandlungen vor fast genau einem Jahr in Kiew ist Steinmeier neben der Bundeskanzlerin die zentrale Figur im Ringen mit Moskau. Niemand fragt mehr nach der Relevanz des Auswärtigen Amts. Der Review-Prozess war vor diesem Hintergrund alles andere als eine akademische Übung. Gut so, meint Constanze Stelzenmüller:
    "Es war das, was man in Amerika einen Reality-check nennen würde, die Wirklichkeit, mit der man nicht rechnen konnte, als dieser Review-Prozess begonnen wurde, hat bewiesen, wie notwendig es ist, sich über die strategischen Grundlagen deutscher Außenpolitik Gedanken zu machen, und insbesondere ist da zum ersten Mal klar geworden, dass man wieder über Kategorien reden muss, von denen man glaubte vor 25 Jahren, man könne sie jetzt begraben, die Vorstellung eines echten Gegenspielers, die Notwendigkeit von Abschreckung, die Notwendigkeit von Landes- und Bündnisverteidigung, all das ist wieder intellektuell und praktisch Realität geworden."
    Review, das war ein Prozess in drei Phasen. Und wenn es ein Spannungsverhältnis gibt, das dieses Projekt dominiert hat, dann die Kluft zwischen internationalen Erwartungen an die deutsche Außenpolitik einerseits und die in allen Schichten der deutschen Bevölkerung verbreitete Skepsis zur stärken Übernahme von Führungsverantwortung andererseits. Fragt man in- und ausländische Experten, wie in der ersten Projektphase geschehen, nach Anforderungen, denen eine deutsche Außenpolitik gerecht werden sollte, dann gibt es kein Halten mehr, dann entsteht ein Katalog von Pflichten, die aus Sicht des Außenministers in Gänze eine klare Überforderung darstellen:
    Sonntagsspaziergang der Außenminister zum Ukraine-Konflikt (v.l.n.r.): Laurent Fabius, Pawel Klimkin, Frank-Walter Steinmeier, Sergej Lawrow
    Sonntagsspaziergang der Außenminister zum Ukraine-Konflikt (v.l.n.r.): Laurent Fabius, Pawel Klimkin, Frank-Walter Steinmeier, Sergej Lawrow (AFP / Tobias Schwarz)
    "Deutschlands Bestimmung, heißt es in manchen der Beiträge, ist es, "to lead Europe and to lead the world", Deutschland solle, Zitat, die Europäische Union revitalisieren und es solle, wiederum Zitat, Russland europäisieren und, noch mal Zitat, Amerika multilateralisieren."
    Christoph Bertram, der ehemalige Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, kennt diesen Katalog gut. Nach dem feedback von Fachleuten aus aller Welt in der ersten Projektphase empfiehlt Bertram eine klare Beschränkung:
    "Neben der Kritik an der deutschen Außenpolitik wie sie sich aufgestaut hatte, in den Jahren bevor diese neue Regierung antrat, diese Kritik war sehr klar und eindeutig, ihr seid nicht berechenbar, wir wissen nicht, was ihr wollt, ihr legt euch nicht fest, ihr handelt nach wirtschaftlichen Interessen, aber was sind eigentlich eure strategischen Interessen, neben dieser Kritik kam natürlich auch: Ihr seid ein so starkes Land, ihr seid das wichtigste Land Europas, da niemand anders da ist, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen, müsst ihr das jetzt machen. Ich bin selbst immer sehr kritisch gewesen gegenüber dem Begriff, wir müssen mehr Verantwortung übernehmen, der klingt so, als ob wir etwas tun müssen, weil andere uns eine Verantwortung auferlegt haben oder es eine moralische Pflicht gebe. Ich habe deshalb immer versucht, zu argumentieren, nicht immer mit großem Erfolg, konzentrieren wir uns auf unsere Interessen. Was sind deutsche Interessen, nicht mit der Verantwortung gleich wedeln, sondern fragen: Warum müssen wir das eigentlich aus eigenem Interesse tun, ich glaube, das würde uns auch in der öffentlichen Diskussion sehr viel weiter helfen."
    Was halten die Deutschen von der stärkeren Rolle ihres Landes?
    Was die Deutschen von einer stärkeren Rolle ihres Landes in der Welt halten, das wurde in einer Umfrage der Körber-Stiftung zu Beginn von review2014 überdeutlich. Thomas Paulsen, Mitglied des Vorstands der Körber-Stiftung:
    "Die größte Überraschung in der Umfrage war, dass sich in den letzten 20 Jahren die Bereitschaft der Deutschen, sich bei internationalen Krisen stärker zu engagieren, halbiert hat. Im Jahr 1994 waren zwei Drittel der Deutschen der Meinung, Deutschland solle sich stärker in internationalen Krisen engagieren, 20 Jahre später, im Jahre 2014, im April haben wir diese Umfrage durchgeführt, waren es nur noch knapp dreißig Prozent und genauso umgekehrt, hat sich der Prozentsatz derer verdoppelt, die sagen, Deutschland solle sich in internationalen Krisen eher zurückhalten. Das ist eine Steilvorlage für so einen Prozess wie review 2014, denn es zeigt, wie wichtig es ist, über Außenpolitik zu diskutieren."
    Und diskutiert wurde in der zweiten Phase bundesweit in über 60 Veranstaltungen. Am Ende entscheiden ja ohnehin die Deutschen insgesamt darüber, wo und wie sich das Land engagieren soll, sagt Thomas Bagger, der Chef des Planungsstabs im Auswärtigen Amt. Die Diplomaten des Ministeriums haben sich den Veranstaltungen den Fragen der Bürger gestellt. Engagiert, manchmal konfrontativ, oft nachdenklich – so beschreibt Bagger die Atmosphäre aus seiner Sicht.
    "Ich glaube, die Erfahrung, die wir als Diplomatinnen und Diplomaten gemacht haben bei diesen Veranstaltungen, ist eben, dass Außenpolitik zu vermitteln, keine Verkaufsaufgabe ist, das Diplomatie keine Schwarz-Weiß Entscheidung ist sondern dass das ein Abwägen von schwierigen Optionen ist, von Wahlmöglichkeiten von denen keine wirklich befriedigend ist, aber denen man auch nicht unbedingt ausweichen kann, es geht nicht immer, gar nicht zu handeln, auch damit übernimmt man am Ende Verantwortung und wir haben eigentlich dann auch ein Verständnis und auch eine Wertschätzung für unsere Arbeit erfahren, selbst dort, wo die Menschen vielleicht nicht mit der Entscheidung oder der Politik selber einverstanden waren, aber wo man ihnen trotzdem vermitteln konnte, dass dahinter eine echte und in vielen Fällen eine sehr schwierige Abwägung steht."
    Auch Steinmeier selbst hat sich den Diskussionen gestellt, hier bei einem Facebook-Talk in Berlin. Ein vornehmlich junges Publikum befragte den Außenminister entweder persönlich oder online, Telefondiplomatie, wie geht das eigentlich? Wie spricht man da miteinander, wer ruft wen an, es ging auch um ganz praktische Aspekte eines ungewöhnlichen Jobs:
    "Es ist nicht so, dass man nachts oder kurz vorm Aufstehen sich überlegt, wen könnst'e heute mal anrufen sondern es ist eher umgekehrt, dass man den eigenen Mitarbeitern sagen muss, wen wir heute mal nicht anrufen, weil das nicht ganz so dringend ist, wie denjenigen, den man dringend braucht."
    Die Fragen an Frank Walter Steinmeier waren so oder ähnlich in vielen Foren zu hören:
    "Welche konkreten Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, um die Einhaltung des Völkerrechts aktiv zu fördern? Die Ukraine braucht die jungen Menschen vom Maidan, was kann das Auswärtige Amt konkret tun, um diese jungen Menschen nicht zu verlieren? Wenn IS mit uns sprechen möchte, sprechen wir dann mit IS und was sagen wir ihnen? Ich wollte Sie fragen, warum Deutschland erst jetzt begonnen hat, in den Ebola geplagten Ländern zu helfen? Wie kann die deutsche Außenpolitik mit Blick auf den Mittleren Osten und die Jahre seit 2011 besser ausgerüstet sein, um zu reagieren?"
    In der Außenpolitik wenig griffig
    Eine bessere Ausrüstung, was das heißt, das ist beim Thema Verteidigung etwa für die Bundeswehr schnell beantwortet. In der Außenpolitik ist das weniger griffig. Steinmeier redet dennoch gern vom Werkzeugkasten der Diplomatie. Mit der Auswärtigen Kulturpolitik setzt er ein Instrument deutlich stärker ein als sein Vorgänger im Amt. Musiker, Schriftsteller, Regisseure – sie gehören auf längeren Auslandsreisen so selbstverständlich zur Ministerdelegation wie etwa Vertreter der Wirtschaft.
    "Damit nehme ich etwas auf, womit ich in meiner ersten Periode gute Erfahrungen gemacht habe. Wir haben eben doch einige sehr typische Konflikte, die in vielfacher Weise überlagert sind durch ethnische, kulturelle oder religiöse Konflikte. Wenn wir diese auch nur verstehen wollen, brauchen wie die Expertise derjenigen, die viel tiefer hineinschauen in die Gesellschaft, die uns erklären können, wo liegen die Ursachen, ohne diese Expertise können wir in diesem 21. Jahrhundert keine aufgeklärte Außenpolitik betreiben, deshalb ist das nicht nur ein nice-to-have, ich betrachte das als notwendigen Bestandteil einer klugen Außenpolitik."
    Das der Minister per facebook-Forum gerade mit jungen Deutschen diskutiert, ist kein Zufall. Die Umfrage der Körber-Stiftung zeigte auch deutlich, in dieser Altersgruppe ist Überzeugungsarbeit besonders gefragt, so Thomas Paulsen:
    Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sitzt im Flugzeug auf dem Weg nach Athen.
    Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Flugzeug (dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka)
    "Ein generationsspezifischer Unterschied ist, dass die junge Generation eher weniger interessiert ist, an außenpolitischen Themen als der Durchschnitt der Bevölkerung aber eher bereit ist, sich international zu engagieren. Das war die einzige Altersgruppe, die gesagt hat: Im schlimmsten Fall muss Deutschland etwa bei Völkermord auch eingreifen ohne eine Resolution der Vereinten Nationen."
    Diese öffentliche, bundesweite Phase von review gilt als Erfolg. Veranstaltungen wie im vergangenen Jahr, sollen unabhängig vom Ende des Projekts weitergeführt werden. In einer dritten und letzten Projektphase stand dann ab November des vergangenen Jahres das Auswärtige Amt selbst auf dem Prüfstand. Constanze Stelzenmüller von Brookings in Washington:
    "Natürlich ist auch ein Gespräch innerhalb der Institution notwendig, vor allem einer, die sich marginalisiert fühlt, es schafft Identität, einen gemeinsamen Zweck, eine Zweckbindung. Es ist ja ein Manko, dass von deutschen Diplomaten oft beklagt wird, dass man sich seit 25 Jahren im andauernden Krisenmanagement befindet, der nächsten Krise immer hinterher rennt und man darüber das langfristige Denken über die größeren institutionellen und strukturellen Fragen der Außenpolitik verdrängt oder sogar vergisst."
    In hausinternen Diskussionsforen wurde gestritten, auch online und zu unterschiedlichen Zeiten, um Mitarbeitern in den Botschaften weltweit Gelegenheit zur Teilnahme zu bieten. Als Konsequenz spricht der Minister von einem Umbau im Ministerium. Einzelheiten sollen morgen folgen. Planungschef Bagger ist sich sicher, die Umsetzung wird Monate, wenn nicht Jahre in Anspruch nehmen und auch Christoph Bertram glaubt in diesem Punkt nicht an schnelle Veränderungen:
    "Das ist, glaube ich, work in process, da wird es noch längere Zeit brauchen, bis die Hierarchie auch die notwendige Flexibilität entwickelt, dass es möglich ist, auch ad hoc Gruppen zusammenzustellen, dass es möglich ist, in der Direktorengruppe, die jeden Tag zusammentritt, auch über außenpolitische Fragen richtig zu diskutieren, nicht nur aus der eigenen Abteilung zu berichten, all diese Dinge stehen noch an, also: Mehr Strategiebewusstsein, mehr Kommunikationsbewusstsein, mehr Europabewusstsein, also der Gedanke, wie sind die Interessen der anderen, wie nehmen wir sie mit, dass sind die Dinge, die sich herausgeschält haben als die Aufgaben der nächsten Zeit."
    Von der Aufgabe, andere mitzunehmen
    Andere mitnehmen – Diese Aufgabe steht im Mittelpunkt, auch in einer Zeit, in der durch die aktuelle Berichterstattung in den Medien ohnehin täglich über Aufgaben und Grenzen deutscher Außenpolitik geredet wird. Denn wer denkt, die Umfrageergebnisse vom April des vergangenen Jahres könnten sich in der zentralen Aussage durch die Ereignisse des Krisenjahres 2014 wesentlich verändert haben, der denkt falsch, so Paulsen:
    "Wir haben eine Frage aktualisiert, jetzt Anfang des Jahres 2015, und wir haben nochmal nach der Bereitschaft zum größeren Engagement in internationalen Krisen gefragt, es hat sich gezeigt, dass die Werte stabil geblieben sind, dass sich also in den letzten neun Monaten, bemerkenswerterweise, wie ich finde, angesichts der Krisen in Osteuropa und in der südlichen Nachbarschaft, die wir erleben, wenig verändert hat, das scheint also ein stabiles Meinungsbild in der Bevölkerung zu sein, dass sich nicht innerhalb weniger Monate verändern lässt."
    In diesem Versuch von review, die Diskussion breit und transparent anzulegen, liegt für Constanze Stelzenmüller das wichtigste Plus. Wie so häufig bei solchen Entwicklungen, ist der Prozess mindestens genauso wichtig gewesen, wie das Papier, dass am Ende steht:
    "Das war eine Reaktion auf die Einsicht, dass man heutzutage ohne die breite Öffentlichkeit in einer mündigen Bürgergesellschaft keine Außenpolitik mehr machen kann, ein ganz wichtiges Zeichen, finde ich."
    Für einen Oppositionspolitiker ist der Blick von Omid Nouripour auf das Auswärtige Amt ungewöhnlich milde. Eines der besser geführten Häuser, konzediert der außenpolitische Sprecher der Grünen. Sein wichtigster Kritikpunkt an review: Die mangelnde Vernetzung mit anderen Ministerien.
    "Wir haben ganz wenig Kooperation zwischen Häusern die miteinander sprechen müssten, es gibt einen review-Prozeß, der geht jetzt zu Ende und quasi gleichzeitig beginnt das Verteidigungsministerium einen Weißbuch-Prozess. Das ist absurd. Ich wünschte mir, dass das Kanzleramt sich die Frage, welche Rolle soll Deutschland in der Welt spielen, tatsächlich selbst anziehen und alle Ressorts mit an einen Tisch setzen würde."
    Politik-Berater Christoph Bertram winkt ab:
    "Wenn wir das von Anfang an als inter-ministeriellen Prozess angelegt hätten, dann wäre das alles abgeschliffen worden, dann müssten ständig Koordinationen stattgefunden haben, dann würde das Ministerium für X sagen, damit sind wir nicht einverstanden. Es ist ja auch ganz wichtig, dass das Auswärtige Amt es für sich selbst gemacht hat, sich selbst zu fragen, wie stehen wir eigentlich da in der Welt, was muss sich im Amt selbst ändern. Das sind ganz wichtige Dinge, die das Amt erledigen muss, bevor es sich mit anderen zusammensetzt."